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BSG - Entscheidung vom 29.08.2007

B 6 KA 41/07 B

Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
PsychThRL Abschn B UAbschn III Nr. 2 S. 1, Abschn B UAbschn III Nr. 2 S. 2
SGB V § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 § 92 Abs. 6a

BSG, Beschluss vom 29.08.2007 - Aktenzeichen B 6 KA 41/07 B

DRsp Nr. 2007/18129

Rechtmäßigkeit des Gutachterverfahren nach den Psychotherapie-Richtlinien

Unter Berücksichtigung der Maßstäbe der Rechtsprechung von BVerfG und BSG ist das Gutachterverfahren nach den Psychotherapie-Richtlinien mit höherrangigem Recht vereinbar. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 12 Abs. 1 ; PsychThRL Abschn B UAbschn III Nr. 2 S. 1, Abschn B UAbschn III Nr. 2 S. 2; SGB V § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 § 92 Abs. 6a ;

Gründe:

I. Streitig ist die Befreiung von der Pflicht, beim Gutachterverfahren für psychotherapeutische Kurzzeittherapien den dafür erforderlichen Antrag auch zu begründen.

In den Psychotherapie-Richtlinien wurde zum 1.1.2000 auch für die Bewilligung von Kurzzeittherapien durch die Krankenkassen ein Gutachterverfahren vorgeschaltet. Seit diesem Zeitpunkt war auch für solche Therapien ein Gutachten zu beantragen und der Antrag vom Psychotherapeuten zu begründen (PsychThRL idF vom 23.10.1998, DÄ 1998, A-3309, Abschnitt F II 1 iVm III 1). Dieser konnte von der Begründungspflicht befreit werden, sofern er bereits 35 Therapiegenehmigungen in Gutachterverfahren erhalten hatte (aaO III 2).

Der Kläger, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, beantragte im Mai 2000, von dieser Begründungspflicht befreit zu werden. Er machte dazu insbesondere geltend, die Vorlage von Therapiegenehmigungen im Gutachterverfahren könne nicht verlangt werden; er habe bisher - aus Wirtschaftlichkeitsgründen - nahezu ausschließlich Kurzzeittherapien und fast keine Langzeittherapien durchgeführt, für die das Gutachterverfahren bis 1999 allein vorgeschrieben gewesen war.

Die Beklagte lehnte die Befreiung ab (Bescheid vom 20.7.2000). Der Kläger ist auch im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren erfolglos geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, die Regelung der PsychThRL über die Begründungspflicht sei wirksam. Sie sei mit Art 12 Abs 1 GG vereinbar. Die Ermächtigung des § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 6a SGB V für den Erlass der Richtlinien durch den (damaligen) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen reiche aus. Das Erfordernis, einen Gutachtensantrag zu begründen, diene wie das gesamte Gutachterverfahren der Qualitätssicherung. Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz seien gewahrt. Die gewährte Übergangsfrist (seit dem Beschluss der PsychThRL vom 23.10.1998 bis zum Inkrafttreten der hier umstrittenen Bestimmungen zum 1.1.2000, siehe Abschnitt I 1 PsychThRL) habe ausgereicht. Ein Anspruch, von neuen und rechtmäßigen Qualitätssicherungsforderungen unbehelligt zu bleiben, bestehe nicht. Auch Art 3 Abs 1 GG sei nicht verletzt.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Die aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung.

Eine grundsätzliche Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, und ebenso dann, wenn zwar noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne Weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13).

Nach diesen Maßstäben haben die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung.

Diese lauten - verkürzt - dahin,

- ob das Gutachterverfahren gemäß Abschnitt F III PsychThRL bei Kurzzeittherapien rechtmäßig und mit höherrangigem Recht vereinbar ist und

- ob der Ausschluss jeder anderen Befreiungsmöglichkeit über die in Abschnitt F III 2 Satz 1 und 2 PsychThRL genannten Regelungen hinaus auch für solche Erbringer von Kurzzeittherapien, die über langjährige Berufserfahrung in der Durchführung und Abrechnung dieser Therapien verfügen, gilt oder insoweit mit höherrangigem Recht unvereinbar ist.

Bei diesen Rechtsfragen fehlt jeweils die Klärungsbedürftigkeit, weil sich die Antwort auf sie ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt.

1. Zur ersten Rechtsfrage ergibt sich die Antwort ohne Weiteres aus der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art 12 Abs 1 GG . Zwar haben sich bisher weder das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch das Bundessozialgericht (BSG) ausdrücklich mit der Rechtmäßigkeit speziell des Gutachterverfahrens nach den PsychThRL befasst. Dessen Recht- und Verfassungsmäßigkeit ist aber nach den Maßstäben der Rechtsprechung von BVerfG und BSG nicht zweifelhaft.

Das LSG hat die maßgebliche Rechtsprechung des BVerfG zum Erfordernis einer Rechtsgrundlage, zur Differenzierung zwischen Berufswahl und -ausübung, zur Unterscheidung von statusrelevanten und nicht statusrelevanten Berufsausübungsregelungen sowie zur Begrenzung auf verhältnismäßige Eingriffe angeführt und die sich daraus ergebenden Rechtsmaßstäbe dargestellt. Das Gutachterverfahren hat seine Rechtsgrundlage in § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Abs 6a SGB V iVm den PsychThRL (Abschnitt F III 1). Es bewirkt keinen generellen Ausschluss von der Möglichkeit, Kurzzeittherapien durchzuführen, sondern bindet die Erbringung nur an die formale Voraussetzung der Durchführung des Gutachterverfahrens mit entsprechender Antragstellung und Begründung. Somit betrifft es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, lediglich die Berufsausübung im nicht statusrelevanten Bereich. Dem Erfordernis liegt, wie das LSG ebenfalls zu Recht dargelegt hat, das Ziel zugrunde, der Durchführung von Therapien, die nicht angezeigt sind, entgegenzuwirken (vgl hierzu LSG-Urteil S 12 und S 13 unten). Es dient also der Qualitätssicherung sowie der Absicherung wirtschaftlicher Leistungserbringung und damit Zielen von hohem Stellenwert, die zur Rechtfertigung von Berufsausübungsregelungen im nicht statusrelevanten Bereich ohne Weiteres ausreichen.

Der Annahme des Normgebers, das Gutachterverfahren sei zur Sicherung von Qualität und wirtschaftlicher Leistungserbringung geeignet, kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Eignung in Kreisen der Therapeuten in Zweifel gezogen worden sein soll (vgl dazu Beschwerdebegründung S 6 und S 7/8). Die Eignung könnte nur verneint werden, wenn die Annahme des Normgebers - ungeachtet des ihm zustehenden Prognosespielraums - von vornherein erkennbar objektiv fehlsam war, das Verfahren also offensichtlich zweckuntauglich ist (zu diesen Anforderungen s zB BVerfGE 71, 206 , 215 f; 81, 156, 192; 100, 313, 373). Dies ist weder festgestellt worden noch ersichtlich.

Unzutreffend ist die Ansicht des Klägers, der Eingriff sei für die betroffenen Psychotherapeuten unverhältnismäßig bzw unzumutbar. Wie erkennbar ist und das LSG (Urteil S 11 ff) zu Recht ausgeführt hat, ist die Verhältnismäßigkeit gegeben. Dies liegt bei Langzeittherapien mit ihren erheblichen Implikationen für die psychische Verfassung des Versicherten und angesichts der mit ihnen verbundenen hohen Kosten ohne Weiteres auf der Hand. Eine Verhältnismäßigkeit des Gutachterverfahrens mit Antrags- und Begründungspflicht besteht aber auch bei Kurzzeittherapien (von bis zu 25 Therapiestunden) im Hinblick auf die damit ebenfalls verbundenen therapeutischen Risiken und die anfallenden Kosten. Zudem ist bei Kurzzeittherapien der Eingriff dadurch abgemildert, dass der Psychotherapeut sich von der Pflicht, den Gutachtensantrag zu begründen, befreien lassen kann, wenn er 35 Therapiegenehmigungen in Gutachterverfahren vorlegt (Abschnitt F III 2 PsychThRL).

Ein unverhältnismäßiger oder sonst wie rechtswidriger Eingriff liegt auch nicht gegenüber denjenigen Psychotherapeuten vor, die sich auf Kurzzeittherapien spezialisiert und bisher keine oder nur wenige Langzeittherapien mit Gutachterverfahren durchgeführt hatten. Bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit sowie des Bestands- und des Vertrauensschutzes ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Betroffenen eine ausreichende Übergangsfrist hatten, um sich auf die Einführung des Gutachterverfahrens auch für Kurzzeittherapien sowie auf die Vorgabe, dafür Anträge stellen und diese begründen zu müssen, einzustellen. Die Neuregelung in den PsychThRL wurde durch Beschluss vom 23.10.1998 eingeführt, das Inkrafttreten war aber erst zum 1.1.2000 vorgesehen (siehe Abschnitt I 1 PsychThRL - zu Übergangsregelungen vgl zB BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 15 S 78 f). Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass bei der Überprüfung eines normativen Eingriffs im Rahmen des Art 12 Abs 1 GG stets auf "den Berufszweig" abzustellen ist (s zB BVerfGE 70, 1 , 30; 77, 84, 105; 101, 331, 354), also insoweit die Befugnis des Gesetz- und Normgebers zur Pauschalierung, Typisierung, Generalisierung und Schematisierung zu beachten ist (vgl hierzu zB BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 27 RdNr 16 mit BVerfG- und weiteren BSG-Angaben). Dementsprechend kann der Gesetz- und Normgeber atypische Einzelkonstellationen außer Betracht lassen und die typische Fallgestaltung schematisierend als Ausgangspunkt seiner Regelung zugrunde legen. Dabei ist von dem Normkonzept auszugehen. Den vorliegend einschlägigen Regelungen liegt die Annahme zugrunde, dass ein Therapeut sowohl Kurzzeittherapien durchführt als auch - je nach dem konkreten Bedarf der Patienten - Langzeittherapien, für die auch schon vor dem Jahr 2000 Gutachterverfahren vorgeschrieben waren. Mithin durfte der Normgeber den - vom Normkonzept her atypischen - Fall vernachlässigen, dass ein Therapeut nur Kurzzeittherapien durchführt. Daher kann eine Unverhältnismäßigkeit nicht aus diesem Blickwinkel begründet werden.

Diese Bewertungen gelten nicht nur für Psychologische Psychotherapeuten sowie für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, sondern gleichermaßen für ärztliche Psychotherapeuten, zu denen der Kläger als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie gehört. Bei diesen ist der Eingriff von geringerem Gewicht, weil sie über ein insgesamt breiteres Leistungsspektrum verfügen, also erst recht verhältnismäßig. Der Normtext enthält im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Regelung sei dahingehend eingeschränkt zu verstehen, dass sie für ärztliche Psychotherapeuten keine Geltung habe. Das in diese Richtung argumentierende Vorbringen des Klägers (Beschwerdebegründung S 6/7) geht fehl.

2. Zur zweiten Frage - ob der Ausschluss jeder anderen Befreiungsmöglichkeit über die in Abschnitt F III 2 Satz 1 und 2 PsychThRL genannten Regelungen hinaus auch für solche Erbringer von Kurzzeittherapien, die über langjährige Berufserfahrung in deren Durchführung verfügen, mit höherrangigem Recht vereinbar ist - ergibt sich die Antwort ebenfalls ohne Weiteres aus der Rechtsprechung von BVerfG und BSG zu Art 12 Abs 1 GG . Die Begrenzung der Befreiungsmöglichkeit auf diejenigen Psychotherapeuten, die Erfahrungen mit Gutachterverfahren haben, ist nach den dargestellten Rechtsmaßstäben nicht zu beanstanden. Von dem Ziel her, durch ein Gutachterverfahren Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistung abzusichern, ist es sachgerecht, die Gewährung von Erleichterungen - wie hier der Befreiung von der Begründungspflicht - nur denjenigen zu gewähren, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie bereits umfängliche Erfahrung mit Gutachterverfahren haben und deshalb dessen Anforderungen ohnehin beachten werden. Es besteht keine Verpflichtung des Normgebers, eine Befreiung von der Begründungspflicht allen zu ermöglichen, die bereits über langjährige Berufserfahrung in der Durchführung und Abrechnung von Kurzzeittherapien verfügen, unabhängig davon, ob sie Erfahrung mit dem Gutachterverfahren vorweisen können.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 28.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen L 12 KA 570/04
Vorinstanz: SG München, vom 18.05.2004 - Vorinstanzaktenzeichen S 38 KA 176/01