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BSG - Entscheidung vom 23.05.2007

B 6 KA 85/06 B

Normen:
SGB V § 72 Abs. 2 § 85 Abs. 4

BSG, Beschluss vom 23.05.2007 - Aktenzeichen B 6 KA 85/06 B

DRsp Nr. 2007/12995

Honorarverteilung in der vertragsärztlichen Versorgung, Festlegung von Vergleichspunktwerten, Angemessenheit der Vergütung

1. Nach einer Erhöhung der Zahl der ärztlichen Leistungserbringer aus einem bestimmten Honorartopf muss eine Kassenärztliche Vereinigung diesen Topf nicht erhöhen und Ausnahmen festlegen. 2. Der Vergleichspunktwert für die Prüfung, ob die Bildung fester arztgruppenbezogener Honorarkontingente für einzelne Arztgruppen zu einem gravierenden Punktwertabfall geführt hat, kann unter den Bedingungen der Praxisbudgets nicht unterschiedslos für budgetierte und nicht budgetierte Arztgruppen ermittelt werden. 3. Bei der Prüfung, ob die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen in einem bestimmten Quartal insgesamt dem Gebot der Angemessenheit entsprochen hat, müssen Einnahmen aus Strukturverträgen einbezogen werden. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGB V § 72 Abs. 2 § 85 Abs. 4 ;

Gründe:

I. Der als fachärztlicher Internist an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger begehrt höheres Honorar für das Quartal I/1999. Insbesondere beanstandet er unzumutbare Punktwertrückgänge in Relation zum Quartal IV/1998.

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wies seinen Widerspruch mit der Begründung zurück, für das Quartal I/1999 habe ein Übergangshonorarverteilungsmaßstab (HVM) gegolten, weil die Verteilungsregelungen des bis zum vierten Quartal 1998 geltenden HVM im Hinblick auf die Vorgaben des zum 1.1.1999 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz [GKV-SolG]) nicht hätten fortgeführt werden können. Die Bildung eines Honorartopfs für die Leistungen aller nicht budgetierten Facharztgruppen, zu denen auch die fachärztlichen Internisten gehörten, sei ebenso wenig zu beanstanden wie das auf die Abrechnungswerte des Quartals IV/1996 zurückgehende Volumen dieses Honorarkontingentes.

Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das sozialgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Bildung eines Honorartopfs für die "sonstigen Leistungen" ua der nicht budgetierten Facharztgruppen gebilligt und auch nicht beanstandet, dass die Aufteilung der Vergütungsanteile zwischen den verschiedenen Honorarfonds auf der Basis der Abrechnungswerte des Quartals IV/1996 erfolgt ist. Das LSG hat den Vergleich mit den Punktwerten im streitbefangenen Quartal I/1999 mit denjenigen des Quartals IV/1998 für nicht aussagekräftig gehalten, da in diesem Quartal besondere Honorarverteilungsregelungen (Regelleistungsvolumina) gegolten hätten, die unter Geltung des GKV-SolG nicht hätten fortgeführt werden können. In der längerfristigen Perspektive und unter Berücksichtigung der Nachzahlungen im Ersatzkassenbereich für das Quartal I/1999 habe sich der Punktwertrückgang nur auf 16,8 % bei den Regional- und 7,8 % bei den Ersatzkassen belaufen. Derartige Rückgänge müssten zumindest für einen kürzeren Zeitraum hingenommen werden. Im Übrigen sei die Beklagte jedenfalls im streitbefangenen Quartal nicht verpflichtet gewesen, den Honorartopf im Hinblick auf die Erhöhung der Zahl der fachärztlichen Internisten in Relation zum Referenzquartal IV/1996 zu erhöhen (Urteil vom 31.5.2006).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das berufungsgerichtliche Urteil weiche von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ab (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ), und im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Soweit der Kläger die Zulassung der Revision wegen der Abweichung des Berufungsurteils von der Entscheidung des BSG vom 7.2.1996 (6 RKa 83/95 = USK 9685) begehrt, ist die Beschwerde unzulässig. Sie entspricht insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG . Danach muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, die auf den Zulassungsgrund der Divergenz gestützt wird, ein Rechtssatz des berufungsgerichtlichen Urteils bezeichnet werden, der von einer Rechtsaussage in einem höchstrichterlichen Urteil abweicht, und dargelegt werden, dass die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Die Beschwerde bezeichnet indessen keinen Rechtssatz des Berufungsurteils, den der Senat daraufhin prüfen könnte, ob er von dem Urteil vom 7.2.1996 abweicht. Das Berufungsurteil bezieht sich bei der Wertung der Zunahme der Leistungsmenge zwischen dem Referenzquartal IV/1996 und dem streitbefangenen Quartal I/1999 (S 19 des Urteils) ausdrücklich auf dieses Senatsurteil vom 7.2.1996. Unter Anführung der in diesem Urteil zur Wesentlichkeit einer Steigerung des Leistungsbedarfs angenommenen Grenze von 10 % legt das Berufungsgericht dar, weshalb es in der hier zu beurteilenden Situation nicht davon ausgeht, dass der Anstieg der Leistungsmenge auf einem echten Mehrbedarf an fachärztlichen internistischen Behandlungen beruht. Ob dies zutreffend ist oder nicht, betrifft nur die Tatsachenlage und kann nicht eine Abweichung divergenzgeeigneter Aussagen iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG begründen, die allein eine Revisionszulassung wegen Rechtsprechungsabweichung ermöglicht.

Soweit der Kläger die Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen erstrebt (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), genügt die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG , hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die angeführten Rechtsfragen sind nicht (mehr) entscheidungsbedürftig bzw haben keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (mehr).

Der Kläger hält zunächst für klärungsbedürftig, ob die Zunahme der Arztzahlen zwischen dem Referenzquartal IV/1996 und dem streitbefangenen Quartal I/1999 der Beklagten hätte Anlass geben müssen, das Kontingent für die Honorierung der Leistungen ua der fachärztlichen Internisten zu erhöhen. Die Frage, wie eine KÄV im System der Honorarverteilung nach festen arztgruppenbezogenen Honorarkontingenten auf den Anstieg der Zahl der Leistungserbringer zu reagieren hat, ist jedoch in der Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 20.10.2004 ( B 6 KA 30/03 R, BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 § 85 Nr 12) zu der Verpflichtung einer KÄV Stellung genommen, die Entwicklung von Honorartöpfen zu beobachten, wenn sich Veränderungen im Leistungsbedarf bzw in der Leistungsanforderung der Vertragsärzte ergeben. In dem damals entschiedenen Fall ging es um den Honorartopf für strahlentherapeutische Leistungen, also einen Honorartopf, dem nur eine geringe Zahl von Leistungserbringern zugeordnet und der zudem in besonderem Maße von Leistungsausweitungen infolge des medizinisch-technischen Fortschritts betroffen war. In einem solchen Sonderfall ist eine KÄV in besonderer Weise verpflichtet zu prüfen, ob eine mit der Erhöhung der Arztzahl einhergehende Steigerung der Leistungsmenge einem gestiegenen Bedarf infolge medizinisch-technischen Fortschritts und damit verbundener weiter entwickelter Strahlentherapie mit schonenderen und zugleich effektiveren Methoden zuzurechnen ist, sodass die Verantwortung für die Steigerung der Leistungsmenge möglicherweise nicht den Strahlentherapeuten selbst, sondern dem Gesamtsystem der GKV zuzuordnen ist (aaO, RdNr 32). Abgesehen davon, dass hier ein solcher Sonderfall nicht gegeben ist, widerspräche es dem Ziel der Honorarverteilung auf der Grundlage fester, arztgruppenbezogener Honorarkontingente, wenn eine Fachgruppe ihre Leistungsmenge zu Lasten der Honorarvolumina anderer Fachgruppen ausweiten könnte, wenn nämlich die Erhöhung der Arztzahl dieser Fachgruppe unabhängig davon, ob damit eine bedarfsbedingte Ausweitung der Leistungsmenge einhergeht, zwangsläufig eine Steigerung ihres Honorarvolumens zu Lasten anderer Arztgruppen nach sich zöge. Dies liefe auf die Anerkennung angebotsinduzierter - sich je nach Arztzahl ändernder - Honorarvolumina hinaus bzw trüge in sich die Tendenz zu einer auslastungsunabhängigen Alimentierung der Vertragsärzte. Dies stünde nicht mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit in Einklang (vgl Senatsbeschluss vom 22.6.2005 - B 6 KA 68/04 B -, in juris dokumentiert). Danach ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass eine KÄV auf die Erhöhung der Zahl der ärztlichen Leistungserbringer, deren Leistungen aus einem bestimmten Honorartopf vergütet werden, grundsätzlich nicht mit einer Erhöhung dieses Topfes reagieren muss, und andererseits, unter welchen näheren Voraussetzungen von diesem Grundsatz Ausnahmen anzuerkennen sind.

In Bezug auf den hier betroffenen HVM, der von vornherein als Übergangsregelung gedacht war und dementsprechend auch nur für das hier streitbefangene Quartal I/1999 galt, sodass das LSG auch die Maßstäbe für Anfangs- und Erprobungsregelungen herangezogen hat (LSG-Urteil S 23), besteht kein Bedarf für eine Weiterentwicklung der Grundsätze der Rechtsprechung des Senats zur Anpassungsverpflichtung der KÄV hinsichtlich der Größe der Honorarkontingente. Dies gilt umso mehr, als die Auffassung der Beschwerdebegründung, es sei "rechtskräftig festgestellt", dass die Zunahme der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden fachärztlichen Internisten zwischen dem Quartal IV/1996 und dem Quartal I/1999 auf einem besonderen Versorgungsbedarf beruht habe, nicht zutrifft. Das LSG hat sich mit der Bedarfsfrage ausdrücklich auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb auf der Grundlage seiner Beurteilung der vorliegenden statistischen Unterlagen nicht gefolgert werden könne, dass die Erhöhung der Zahl der fachärztlichen Internisten einschließlich der ermächtigten Ärzte zwingend auf einen gestiegenen Bedarf zurückzuführen sei (LSG-Urteil S 19 f). Soweit der Kläger demgegenüber einwendet, im Hinblick auf die für Bayern festgestellte Überversorgung mit fachärztlichen Internisten von 117 % könne jede Erweiterung des Kreises der berechtigten Leistungserbringer nur auf bedarfsabhängigen Sonderbedarfszulassungen oder Ermächtigungen beruht haben, belegt dies keinen tatsächlichen Mehrbedarf an internistischen Leistungen. Es ist nicht festgestellt worden und liegt auch nicht auf der Hand, dass der Anstieg der Leistungsmenge bei den fachärztlichen Internisten vor allem auf dem Abrechnungsverhalten der wegen Sonderbedarfs zugelassenen und/oder ermächtigten Ärzte beruhte.

Ebenfalls weder klärungsbedürftig noch über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist die Frage, welcher Punktwert der Maßstab für die Prüfung ist, ob die Bildung fester arztgruppenbezogener Honorarkontingente für einzelne Arztgruppen zu einem gravierenden Punktwertabfall geführt hat. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der insoweit heranzuziehende Vergleichspunktwert unter den Bedingungen der Praxisbudgets nicht unterschiedslos für budgetierte und nicht budgetierte Arztgruppen ermittelt werden kann. Der Punktwert für diejenigen Arztgruppen, deren Honorar durch die Vorschriften über das Praxisbudget begrenzt wurde, ist "künstlich erhöht" worden, weil die vergütungsfähigen Punktmengen unter Geltung der Praxisbudgets reduziert wurden (BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 § 85 Nr 12, jeweils RdNr 27). Davon ist das Berufungsgericht ersichtlich ausgegangen. Im Übrigen hat es dargelegt, dass auf der Grundlage seiner - für den Senat gemäß § 163 SGG grundsätzlich bindenden - Feststellungen der Punktwert für den Vergütungstopf der nicht budgetierten fachärztlichen Internisten, bezogen auf Regional- und Ersatzkassen, die Grenze eines Abfalls um 15 % zu dem vom LSG für maßgeblich gehaltenen Vergleichspunktwert jedenfalls nicht nachhaltig überschritten hat (LSG-Urteil S 21).

Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig ist schließlich die Frage, inwieweit Honorarrückgänge infolge des Absinkens des Punktwertes für die aus einem bestimmten Honorartopf zu vergütenden Leistungen durch vertragsärztliche Einnahmen aus Strukturverträgen ausgeglichen werden können. Zum einen entzieht sich diese Frage grundsätzlicher Klärung, weil sie ersichtlich nicht für alle Arztgruppen und für alle denkbaren Strukturverträge einheitlich beantwortet werden kann. Zum anderen liegt die Antwort auf diese Frage zumindest teilweise auf der Hand. Sie ist dahin zu beantworten, dass die Einnahmen aus Strukturverträgen jedenfalls dann, wenn diese Bestandteil der Gesamtvergütung sind und von der KÄV gezahlt werden, bei der Prüfung, ob die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen in einem bestimmten Quartal insgesamt dem Gebot der Angemessenheit (§ 72 Abs 2 SGB V ) entsprochen hat, nicht nur einbezogen werden können, sondern einbezogen werden müssen. Der Senat hat in einem Verfahren, das die angemessene Honorierung chirurgischer Leistungen zum Gegenstand hatte, näher dargelegt, dass insoweit sogar Einnahmen aus der chirurgischen Tätigkeit im Rahmen des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens (D-Arzt, H-Arzt) heranzuziehen sind (Beschluss vom 31.8.2005 - B 6 KA 22/05 B). Der hier zu beurteilende Rechtsstreit bietet keinen Anlass, die Frage der Berücksichtigung zusätzlicher Einnahmen - sei es aus besonderen vertragsärztlichen Tätigkeiten, sei es aus anderen Tätigkeiten im Rahmen des Sozialversicherungssystems - weiter zu entwickeln.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier im Hinblick auf die Klageerhebung im Jahre 2000 noch anzuwendenden Fassung.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 31.05.2006 - Vorinstanzaktenzeichen L 12 KA 166/03
Vorinstanz: SG München, vom 20.05.2003 - Vorinstanzaktenzeichen S 42 KA 2842/00