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BGH - Entscheidung vom 10.01.2007

XII ZB 31/06

Normen:
ZPO § 520 Abs. 2 § 85 Abs. 2 § 233

BGH, Beschluß vom 10.01.2007 - Aktenzeichen XII ZB 31/06

DRsp Nr. 2007/4161

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bei Beauftragung eines EDV-Technikers mit der Übermittlung eines Schriftsatzes

Hat der Prozessbevollmächtigte einer Prozesspartei aufgrund fortdauernder Arbeiten am Netzwerk der Anwaltskanzlei den dort tätigen Techniker beauftragt, nach Abschluss der Arbeiten ihn überlassene Schriftsätze per Telefax zu übermitteln, wobei es sich um dringende Fristsachen handele, so liegt ein Organisationsverschulden darin, dass er sich nicht vergewissert, dass die Übermittlung der Schriftsätze wegen Übermüdung des Technikers am Abend unterbleibt.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 § 85 Abs. 2 § 233 ;

Gründe:

I. Die Beklagte hat gegen das ihr am 22. Juni 2005 zugestellte Endurteil des Landgerichts, mit dem sie zur Zahlung von 86.228,86 EUR verurteilt und ihre Widerklage abgewiesen wurde, am 4. August 2005 Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe den Berufungsschriftsatz am 22. Juli 2005 gefertigt und nach 18.00 Uhr den Zeugen K. beauftragt, nach Abschluss der vom Zeugen gerade ausgeführten Arbeiten an der Telefaxeinrichtung der Kanzlei den Berufungsschriftsatz noch vor 24.00 Uhr über das Faxgerät an das Oberlandesgericht Nürnberg zu übermitteln. Bei dem Zeugen K. handele es sich um einen "ingenieurartigen" selbständigen Kaufmann mit einer technischen und organisatorischen Erfahrung, die der Qualifikation z.B. einer kompetenten langjährig angestellten Rechtsanwaltsfachgehilfin zumindest ebenbürtig sei. Der Zeuge habe sich in der Vergangenheit nicht nur gegenüber dem Beklagtenvertreter, sondern auch in seinen eigenen rechtlichen und geschäftlichen Angelegenheiten als zuverlässig und vertrauenswürdig gezeigt. Tatsächlich habe es der Zeuge jedoch aufgrund einer Übermüdung wegen Arbeitsüberlastung verabsäumt, den Schriftsatz nach Abschluss der Arbeiten abzusenden.

Der Zeuge K. hat hierzu eidesstattlich versichert, dass er am 22. Juli 2005 beauftragt gewesen sei, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein neues Fotokopierkombinationsgerät mit Telefaxfunktion mit dem bereits bestehenden Kanzleinetzwerk zu verbinden und zu synchronisieren. Um den Kanzleibetrieb möglichst wenig zu stören, habe er am 22. Juli 2005 erst gegen 17.30 Uhr zu arbeiten begonnen. Als der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegen 18.00 Uhr einige Schriftstücke per Telefax habe versenden wollen, sei es ihm nicht gelungen, den Telefaxanschluss kurzfristig wiederherzustellen. Er habe daher dem Beklagtenvertreter, der eine Abendeinladung gehabt habe, vorgeschlagen, zunächst die Installation am Gerät in Ruhe durchzuführen und erst anschließend die Schriftstücke selbst zu übermitteln. Dem habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zugestimmt und ihm erklärt, dass es sich um eine wichtige Fristsache handele und er warten müsse, bis ein Empfangsprotokoll eingegangen sei. Für den Fall, dass das Gerät nicht bis 23.00 Uhr installiert sei, habe er die drei Seiten mit nach Hause nehmen und von dort aus faxen sollen, damit die letzte Seite bis spätestens 23.59 Uhr in Nürnberg sei. Er habe erklärt, dass er das schon schaffen werde, worauf der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegangen sei. Wegen unvorhergesehener Schwierigkeiten habe er seine Arbeit jedoch erst gegen 22.00 Uhr abgeschlossen. Da er an diesem Tag früh aufgestanden sei und fast nichts gegessen habe, sei er müde gewesen und habe deswegen vergessen, den Schriftsatz abzusenden.

Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Zwar komme es auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt - in der Regel gegenüber einem Kanzleiangestellten - eine konkrete Einzelanweisung erteilt habe, deren Befolgung die Frist gewahrt hätte. Ein Rechtsanwalt dürfe nämlich darauf vertrauen, dass Angestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hätten, derartige Weisungen befolgten; grundsätzlich bestehe daher keine Verpflichtung des Anwalts, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern. Die eigene Sorgfaltspflicht des Anwalts erhöhe sich jedoch, falls besondere Umstände den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebs gefährdeten. Solche besonderen Umstände lägen hier vor. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die für Kanzleiangestellte bestehende Rechtsprechung auch auf selbständige Unternehmer übertragen werden könne. Denn aufgrund der vorliegenden besonderen Umstände habe der Beklagtenvertreter seinen Sorgfaltspflichten jedenfalls nicht genügt, als er bei seinem Weggang aus der Kanzlei die Berufungsschrift dem Zeugen zur Übermittlung per Telefax überlassen habe. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe sich nicht darauf verlassen können, dass der Zeuge das Faxgerät rechtzeitig wieder in einen funktionsfähigen Zustand versetzen werde. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, das Auslaufen der Rechtsmittelschrift zu überwachen. Die Anforderung einer Vollzugsmeldung durch den Zeugen K. bis zu dem Zeitpunkt, der es erlaubt hätte, den Schriftsatz gegebenenfalls über ein anderes Faxgerät oder eine sonstige Stelle dem Gericht zu übermitteln, hätte genügt zu erfahren, dass die Absendung unterblieben sei.

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung lässt Rechtsfehler nicht erkennen, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Einzelanweisungen gegenüber Kanzleiangestellten und erschwert der Beklagten den Zugang zum Berufungsgericht nicht in unzumutbarer Weise.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat, bestand im vorliegenden Fall die nicht fern liegende Gefahr, dass der Zeuge K. nach Ausführung der Arbeit die Übersendung der Berufungsschrift vergessen könnte. Deswegen hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, Vorkehrungen gegen ein solches Vergessen treffen oder die Ausführung seiner Anweisung auf andere Weise sicherstellen oder kontrollieren müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2006 - XII ZB 103/06 - FamRZ 2006, 1663 , 1664). Im Absehen von jeglicher Kontrolle der Übermittlung liegt das Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten begründet. Dieses ist ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist geworden und nach § 85 Abs. 2 ZPO der Beklagten zuzurechnen.

Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat im Gegensatz zur Meinung der Rechtsbeschwerde das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht darin gesehen, dass dieser sich darauf verlassen habe, der Zeuge K. werde das Faxgerät bis 22.00 Uhr repariert haben. Es hat vielmehr den Prozessbevollmächtigten der Beklagten als verpflichtet angesehen, das Auslaufen der Rechtsmittelschrift zu überwachen, um dann, wenn der Zeuge nicht etwa bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Übermittlung der Berufungsschrift angezeigt hätte, die erforderliche Prozesshandlung notfalls anderweit sicherzustellen. Dies hätte er, wenn ihm der Zeuge K. nicht etwa bis 22.00 Uhr die Absendung der Berufungsschrift mitgeteilt hätte, durch einen Rückruf beim Zeugen erreichen oder auch dadurch sicherstellen können, dass er die Berufungsschrift selbst von einem anderen Faxgerät aus sendet.

Vorinstanz: OLG Nürnberg, vom 15.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 1615/05
Vorinstanz: LG Regensburg, vom 14.06.2005 - Vorinstanzaktenzeichen O 2924/04