Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 13.03.2007

4 StR 606/06

Normen:
StGB § 212 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2007, 199

BGH, Beschluß vom 13.03.2007 - Aktenzeichen 4 StR 606/06

DRsp Nr. 2007/7750

Bedingter Tötungsvorsatz bei gefährlichen Gewalthandlungen

1. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. 2. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen.

Normenkette:

StGB § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Zutreffend hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

"Die zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Kammer hat aus den drei Stichen der Angeklagten in den Oberkörper ihres Ehemannes geschlussfolgert, dass die Angeklagte angesichts der Gefährlichkeit der Tathandlung damit rechnete und billigte, dass ihr Ehemann aufgrund der Stiche versterben könnte (UA S. 11, 27, 44). Diese Schlussfolgerung steht im Widerspruch zu dem von der Kammer festgestellten Vorstellungsbild der Angeklagten nach der Tat. In diesem Zusammenhang hat die Kammer ausgeführt: 'Da es ihr unmöglich schien, dass sie seinen Tod verursacht haben könnte, geriet sie nunmehr in Panik ...' (UA S. 14). Dieses Vorstellungsbild kurze Zeit nach der Tatbegehung ist ohne nähere Erläuterung nicht mit der Feststellung für die Tatzeit vereinbar, dass die Angeklagte einen tödlichen Erfolg für möglich hielt.

Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (vgl. Senat NStZ-RR 2004, 204 f.). Die entsprechende Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGHSt 36, 1 , 10) hat das Landgericht nicht vorgenommen. Zwar hat sich die Kammer mit der hohen Alkoholisierung der Angeklagten auseinandergesetzt (UA S. 44). Sie hat aber nicht ausreichend das Nachtatverhalten der Angeklagten in ihre Erwägungen mit einfließen lassen. Dieses Nachtatverhalten ist in Kombination mit der hohen Alkoholisierung und dem Handeln aufgrund einer Notwehrlage geeignet, die Schlussfolgerung der Kammer zum bedingten Tötungsvorsatz in Zweifel zu ziehen. Mit dem bedingten Tötungsvorsatz ist nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen, dass die Angeklagte ihren Ehemann nach den Stichen aufforderte: 'Geh raus. Lass mich endlich in Ruhe!' (UA S. 10) und erst nach dem Auffinden des toten Ehemannes in Panik geriet, das Tatmesser entsorgte und sich durch Notizen psychisch Entlastung verschaffte (UA S. 14). Dieses Verhalten lässt es auch möglich erscheinen, dass sie bewusst fahrlässig darauf vertraute, dass ihre Stiche nicht tödlich enden werden. Diese Möglichkeit hätte die Kammer jedenfalls erörtern müssen."

Die Revision beanstandet zudem zu Recht die Annahme des Landgerichts, der Alkoholkonsum der Angeklagten vor Begehung der Tat habe lediglich eine "leichtgradige Alkoholisierung" bewirkt (UA 41), die die Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit der Angeklagten nicht beeinträchtigt habe (UA 43). Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet insbesondere die Annahme des Landgerichts, die Blutalkoholkonzentration der Angeklagten habe zur Tatzeit - unter Berücksichtigung eines Nachtrunks von 1,122 Promille - "um die 2 Promille" betragen (UA 37). Zwar war von der im Wege der Rückrechnung ermittelten Blutalkoholkonzentration "von mehr als 3 Promille" (richtig: 3,35 Promille) der Anteil des Nachtrunks der Angeklagten, die zweimal je einen "Schluck" aus einer mit einem 40-prozentigen alkoholischen Getränk gefüllten Flasche getrunken hat, abzuziehen. Das genaue Ausmaß des Nachtrunks hat das Landgericht jedoch offen gelassen, weil die Zeugin K. und die Angeklagte aus der im Jahre 2004 mit einer Art Rumverschnitt aufgefüllten Flasche nach der Aussage der Zeugin "wohl auch einige Male etwas aus dieser Flasche - und zwar 'pinnchenweise' - getrunken" haben. Letzteres ist rechtsfehlerhaft; vielmehr hätte nach dem Zweifelsgrundsatz nicht die bezogen auf die Originalfüllmenge von 0,5 l errechnete "maximal mögliche Nachtrunkmenge von 108 ml" bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zu Grunde gelegt werden dürfen, sondern nur die sicher feststehende Mindestmenge. Zudem hätte in Anwendung des Zweifelssatzes bei der Berechnung ein Resorptionsverlust von 30 % in Ansatz gebracht werden müssen (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 10).

Die fehlerhafte Berechnung der Blutalkoholkonzentration kann Auswirkungen auf die Beurteilung sowohl des Tötungsvorsatzes als auch der Schuldfähigkeit der Angeklagten haben.

Der Generalbundesanwalt hat weiter ausgeführt:

"Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Rechtfertigung der Stiche der Angeklagten gemäß § 32 StGB erneut zu prüfen. Gegen die Auffassung der Kammer, die Stiche der Angeklagten wären nicht erforderlich gewesen, um den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Ehemannes von sich abzuwenden (UA S. 46), bestehen Bedenken. Das Argument der Kammer, die Angeklagte habe zunächst den Einsatz des Messers androhen müssen, ist angesichts der Feststellung, dass ihr der Griff des Ehemannes am Hals teilweise die Luft nahm (UA S. 10), so nicht nachvollziehbar. Der alternative Hinweis der Kammer auf die Möglichkeit, mit dem Messer auf die Hand oder den Arm des Geschädigten einzustechen (UA S. 46) überzeugt ebenfalls nicht. Es versteht sich auch vor dem Hintergrund der früheren folgenlosen Angriffe des Geschädigten nicht von selbst, dass Stiche in weniger sensible Körperregionen den Angriff beendet hätten. Als nahe liegende und daher zu erörternde Geschehensalternative kam in Betracht, dass der Ehemann durch solches Verhalten der Angeklagten womöglich zusätzlich gereizt worden wäre und nicht ohne Erfolgschance versucht hätte, der Angeklagten das Messer gewaltsam abzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 264). Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte sich die Angeklagte angesichts der erheblichen körperlichen Überlegenheit ihres Ehemannes (UA S. 46) nicht einzulassen (vgl. BGH NStZ 2002, 140 ).

Der Revision ist zudem zuzugeben, dass die Begründung, mit der die Kammer einen Notwehrexzess gemäß § 33 StGB abgelehnt hat, widersprüchlich ist. Die Argumentation der Kammer, die Angeklagte habe in der von ihr als bedrohlich empfundenen Situation nicht das Falsche getan, sondern ein ihr zur Verfügung stehendes Mittel adäquat eingesetzt (UA S. 48), steht nicht im Einklang mit der Wertung, dass die Verteidigung der Angeklagten nicht erforderlich war (UA S. 46)."

Auch insoweit tritt der Senat der Stellungnahme des Generalbundesanwalts bei.

Vorinstanz: LG Essen, vom 06.09.2006
Fundstellen
NStZ-RR 2007, 199