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BVerwG - Entscheidung vom 19.07.2006

2 WD 13.05

Normen:
WDO § 16 Abs. 1 Nr. 2 § 58 Abs. 2 § 18 Abs. 2 § 44 Abs. 1 S. 2
StPO § 261

Fundstellen:
DVBl 2007, 132
NVwZ-RR 2007, 182

BVerwG, Urteil vom 19.07.2006 - Aktenzeichen 2 WD 13.05

DRsp Nr. 2007/11954

Soldatendisziplinarrecht; Soldatendisziplinarverfahrensrecht - Beweiswürdigung; früherer Soldat; Beförderungsverbot; Verhängungsverbot; körperliche Misshandlung; Kürzung der Dienstbezüge; Generalprävention

»1. Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung belastender Zeugenaussagen. 2. Zur Maßnahmebemessung bei einer außerdienstlichen Misshandlung der Ehefrau eines (früheren) Soldaten. 3. Das disziplinarrechtliche Verhängungsverbot des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO greift hinsichtlich jedes Anschuldigungspunktes nur insoweit ein, als die vorausgegangene rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung denselben Sachverhalt betrifft.«

Normenkette:

WDO § 16 Abs. 1 Nr. 2 § 58 Abs. 2 § 18 Abs. 2 § 44 Abs. 1 S. 2 ; StPO § 261 ;

Tatbestand:

Dem nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils aus der Bundeswehr ausgeschiedenen früheren Soldaten auf Zeit im Dienstgrad eines Feldwebels d.R. war in der Anschuldigungsschrift vorgeworfen worden, während seiner Dienstzeit außerdienstlich seine Ehefrau zweimal körperlich misshandelt (Anschuldigungspunkt 1), einen Ladendiebstahl begangen (Anschuldigungspunkt 2) sowie ohne gültigen Fahrausweis ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt zu haben (Anschuldigungspunkt 3). Das Truppendienstgericht hatte ihn in allen drei Anschuldigungspunkten für schuldig befunden und gegen ihn ein Beförderungsverbot auf die Dauer von 36 Monaten verhängt sowie seine jeweiligen Dienstbezüge um ein Zwanzigstel auf die Dauer von neun Monaten gekürzt. Auf die (volle) Berufung des früheren Soldaten stellte der 2. Wehrdienstsenat den früheren Soldaten vom Anschuldigungspunkt 3 frei, hob das Beförderungsverbot auf und wies die Berufung im Übrigen zurück.

Entscheidungsgründe:

Nach § 261 StPO hat das Gericht (als Tatsacheninstanz) über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dies schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufes nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden tatsächlichen Umstände ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche (volle) persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - DVBl 2003, 750 und vom 3. Juli 2003 - BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO Nr. 1 = NZWehrr 2004, 166; BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - NStZ 1988, 236 [237]; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. 2005, § 261 Rn. 2 m.w.N.). Zur Überführung eines Angeschuldigten ist dabei keine "mathematische" Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und muss erschöpfend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinander zu setzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen sowie diese Tatsachen und deren Würdigung in den Urteilsgründen darzulegen. Allein damit wird die Unschuldsvermutung widerlegt (vgl. Urteile vom 12. Februar 2003 aaO. und vom 3. Juli 2003 aaO.).

Nach Maßgabe dieser Anforderungen hat der Senat die volle persönliche Überzeugung gewonnen, dass der frühere Soldat die festgestellten Handlungen am ... gegen seine (frühere) Ehefrau, die Zeugin T., begangen hat. ...

Für die Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Zeugin T. zum Kerngeschehen am sprechen bereits der authentische Detailreichtum ihrer Aussagen ...

... (wird ausgeführt) sowie die Konstanz und Widerspruchsfreiheit ihres Aussageverhaltens. ...(wird ausgeführt)

Das Aussageverhalten der Zeugin T. war auch frei von sprachlichen oder inhaltlichen Strukturbrüchen, die auf unwahre Bekundungen hindeuten könnten. Bei der Beantwortung an sie gestellter Fragen ist sie zu keinem Zeitpunkt ausgewichen oder in bloße Andeutungen oder leere Redensarten geflüchtet. Verbleibende Erinnerungslücken hat sie offen eingeräumt. Einwänden hat sie sich gestellt. Sie ist hierauf nach Maßgabe ihres Erinnerungsvermögens konkret und nachvollziehbar eingegangen. Dabei hat sie sich auch offen zu Umständen geäußert, die sie dem Risiko aussetzten, dass ihre Persönlichkeit in einem eher ungünstigen Licht erscheinen konnte. ... (wird ausgeführt)

Die von der Zeugin in ihren Aussagen dem früheren Soldaten angelasteten Handlungen fügen sich dabei homogen in das Bild ein, das sie von seinem Charakter und seinem Vorverhalten ebenfalls detailreich und plastisch dem Senat vermittelt hat. Sie hat dies an Hand einzelner konkreter Beispiele illustriert. ... (wird ausgeführt)

Für die Glaubhaftigkeit der den früheren Soldaten belastenden Kernaussagen der Zeugin T. spricht des Weiteren auch die individuelle Prägung ihrer Aussagen. ... (wird ausgeführt)

Das Aussageverhalten der Zeugin T. zeigte auch keinerlei "Belastungseifer". Es war dadurch geprägt, dass sie ersichtlich durchweg um wahrheitsgemäße Aussagen bemüht war. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die inhaltliche Richtigkeit ihrer Bekundungen durch persönliche Wut oder nachhaltigen Zorn auf den früheren Soldaten beeinträchtigt war. Bei aller starken emotionalen Betroffenheit war sie in der Berufungshauptverhandlung durchweg bemüht, ihrem früheren Ehemann nicht feindselig gegenüberzutreten oder ihn "in Grund und Boden zu verdammen". ... (wird ausgeführt)

Für die Glaubhaftigkeit der den früheren Soldaten belastenden Kernaussagen der Zeugin T. sprechen schließlich auch die vorliegenden und zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten ärztlichen und zahnärztlichen Atteste über die unmittelbar nach der Rückkehr nach R. festgestellten Verletzungen sowie ferner die Aussagen der Zeugen K., Dr. W., P. und G.

... (wird ausgeführt)

Nachdem das Dienstverhältnis des früheren Soldaten mit Ablauf des 31. Dezember 2005 geendet hat, ist das von der Truppendienstkammer verhängte Beförderungsverbot aufzuheben. Denn nach § 58 Abs. 2 WDO können gegen frühere Soldaten, die gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 WDO als Soldaten im Ruhestand gelten, nur die in der Vorschrift abschließend aufgeführten Disziplinarmaßnahmen verhängt werden. Dazu gehört nicht die Verhängung eines Beförderungsverbotes. Der frühere Soldat zählt zu der von § 1 Abs. 3 WDO erfassten Personengruppe, weil er keinen Anspruch auf Ruhegehalt, jedoch einen sonstigen Anspruch auf Dienstzeitversorgung oder auf Berufsförderung hat. Zur Dienstzeitversorgung eines Soldaten auf Zeit gehören unter anderem die Übergangsgebührnisse (§ 11 SVG ) und die Übergangsbeihilfe (§§ 12 , 13 SVG ). Diese Ansprüche sind beim früheren Soldaten noch nicht erloschen, weil die Leistungen, die gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 WDO als Ruhegehalt gelten, noch nicht vollständig ausgezahlt worden sind.

Der Senat ist aufgrund der getroffenen Feststellungen und angesichts des vom früheren Soldaten gewonnenen persönlichen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt, dass jedenfalls die von der Truppendienstkammer verhängte Kürzung der jeweiligen Dienstbezüge bzw. Übergangsgebührnisse (§ 135 Abs. 2 Satz 2 WDO) um ein Zwanzigstel auf die Dauer von neun Monaten als Disziplinarmaßnahme geboten und unverzichtbar ist. Einer schwereren Disziplinarmaßnahme steht, weil allein der frühere Soldat Berufung eingelegt hat, das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO) entgegen. ... (wird ausgeführt)

Bei Abwägung aller für und gegen den früheren Soldaten sprechenden Umstände kommt eine mildere Disziplinarmaßnahme als die von der Truppendienstkammer verhängte Kürzung seiner jeweiligen Dienstbezüge um ein Zwanzigstel auf die Dauer von neun Monaten nicht in Betracht.

Der Umstand, dass der frühere Soldat aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschieden ist, steht der Verhängung der Disziplinarmaßnahme in Gestalt der Kürzung der jeweiligen Dienstbezüge nicht entgegen.

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO kommt zwar im Falle einer bereits unanfechtbar verhängten Strafe durch ein (Straf-)Gericht wegen desselben Sachverhalts eine Kürzung des Ruhegehalts und damit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 67 WDO der monatlichen Übergangsgebührnisse bzw. der Übergangsbeihilfe nur noch dann in Betracht, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten oder wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft (konkret) beeinträchtigt wurde. Das Verhängungsverbot des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO greift jedoch nur hinsichtlich des von Anschuldigungspunkt 2, nicht aber hinsichtlich des von Anschuldigungspunkt 1 erfassten Fehlverhaltens des früheren Soldaten.

§ 16 Abs. 1 WDO macht schon nach seinem Wortlaut die Rechtsfolge eines disziplinarrechtlichen Verhängungsverbotes allein von einer "wegen desselben Sachverhalts" zuvor erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung oder - hier nicht einschlägig - einer nach den genannten Vorschriften der Strafprozessordnung erfolgten Einstellung des betreffenden strafgerichtlichen Verfahrens abhängig. Fehlt es daran, greift das Verhängungsverbot für das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht. Die strafgerichtliche Strafe (oder Einstellung) muss mithin denselben Sachverhalt betreffen, der auch der disziplinarrechtlichen Beurteilung zugrunde liegt. Derselbe Sachverhalt liegt vor, wenn es sich um denselben historischen Geschehensablauf handelt. Der Begriff "Sachverhalt" ist insoweit weder auf den Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung noch auf einen strafrechtlichen Tatbestand beschränkt.

Diese Auslegung entspricht auch dem erkennbaren Zweck der Vorschrift. Sie ist kein Anwendungsfall des Verbots der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG , sondern ein vom Zweck des Disziplinarrechts abgeleitetes Verhängungsverbot, das rechtsdogmatisch auf das rechtsstaatliche Gebot der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck zurückzuführen ist (vgl. dazu die Einzelnachweise zur stRspr bei Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 16 Rn. 1). Bei ihrer Konzeption ging der Gesetzgeber ursprünglich von der Überlegung aus, dass es bei einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen einer Tat, die zugleich ein Dienstvergehen darstellt, nicht stets notwendig ist, noch zusätzlich eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen (vgl. dazu u.a. Dau, aaO., § 16 Rn. 1 m.w.N.). Die strafgerichtliche Verurteilung wurde unter bestimmten Voraussetzungen als Pflichtenmahnung als ausreichend erachtet, soweit nicht eine zusätzliche Disziplinarmaßnahme gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich war, um die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten oder wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde. Fehlt es hinsichtlich eines in Rede stehenden Fehlverhaltens eines Soldaten ("wegen desselben Sachverhalts") an einer darauf bezogenen unanfechtbaren Verhängung einer Strafe und ist insoweit auch keine Einstellung eines gerichtlichen Verfahrens nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO erfolgt, ist damit das in § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO normierte Verhängungsverbot nicht einschlägig.

Gegenteiliges folgt auch nicht im Wege der systematischen Auslegung aus der Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 2 WDO. Nach dieser Vorschrift ist jeder Disziplinarvorgesetzte befugt, einen Antrag auf Herabsetzung einer verhängten Disziplinarmaßnahme zu stellen, wenn bei mehreren Pflichtverletzungen, die (gemäß § 18 Abs. 2 WDO) als ein Dienstvergehen geahndet worden sind, bei einer die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 WDO vorliegen. Danach muss der Disziplinarvorgesetzte den Antrag auf Herabsetzung der Disziplinarmaßnahme, über den nach § 45 Abs. 1 WDO das zuständige Wehrdienstgericht entscheidet, stellen, wenn er den Soldaten im Hinblick auf diese Pflichtwidrigkeit für unschuldig hält oder der Auffassung ist, die Schuld könne ihm nicht nachgewiesen werden (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1); dagegen steht ein solcher Antrag in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2), wenn eine Pflichtwidrigkeit mit einer Strafe geahndet worden ist und eine disziplinare Ahndung an § 16 Abs. 1 WDO ausgerichtet unzulässig war (vgl. Dau, aaO., § 44 Rn. 14 m.w.N.). Die Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 2 WDO enthält somit keine eigenständige Definition des Regelungsgehalts des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO, sondern setzt diesen voraus, der mithin eigenständig zu ermitteln ist.

Im Übrigen sieht die - ohnehin nicht für das gerichtliche Disziplinarverfahren geltende - Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 2 WDO für den Fall, dass bei der Verhängung einer (einfachen) Disziplinarmaßnahme gegen einen Soldaten oder früheren Soldaten ein Verstoß gegen § 16 Abs. 1 WDO erfolgt ist, weil eine Pflichtwidrigkeit aus der disziplinaren Bewertung auszuscheiden war, keineswegs zwingend vor, dass die Disziplinarmaßnahme im Verfahren nach §§ 44, 45 WDO herabgesetzt werden muss; sie eröffnet lediglich die Möglichkeit einer entsprechenden Ermessensentscheidung. Ihr geht es um die Ausscheidbarkeit einzelner Pflichtverletzungen zum Schutz gegen doppelte Sanktionen. Scheidet eine Pflichtverletzung aus der disziplinaren Bewertung aus, kann die Disziplinarmaßnahme herabgesetzt werden, sie muss es aber nicht, wenn das Dienstvergehen im Übrigen die Disziplinarmaßnahme trägt (so auch Dau, aaO., § 44 Rn. 14 m.w.N.).

Mithin lässt sich der Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 2 WDO gerade nicht entnehmen, dass ein Fall "desselben Sachverhalts" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO bereits dann vorliegt und das Verhängungsverbot eingreift, wenn sich das Dienstvergehen aus verschiedenen Pflichtverletzungen zusammensetzt, von denen eine oder mehrere - jedoch nicht alle - durch eine rechtskräftige Strafe geahndet worden sind (so im Ergebnis auch Urteile vom 2. Oktober 1975 - BVerwG 2 WD 41.75 - BVerwGE 53, 68 = NZWehrr 1976, 67, 68 und vom 9. Mai 1978 - BVerwG 2 WD 56.77 - zur früheren Regelung in § 8 Satz 1 und § 40 Abs. 1 Satz 2 WDO).

Gegenteiliges ergibt sich zudem weder aus der in § 18 Abs. 2 WDO verankerten Regelung, wonach mehrere Pflichtverletzungen eines Soldaten oder früheren Soldaten, über die gleichzeitig entschieden werden kann, als ein Dienstvergehen zu ahnden sind, noch aus der in § 23 Abs. 1 SG verankerten "Einheit des Dienstvergehens". Danach ist das Urteil darüber, ob und wie ein Soldat oder früherer Soldat, der in mehrfacher Weise gegen seine Pflichten verstoßen hat, disziplinar zu maßregeln ist, nicht jeder einzelnen Pflichtverletzung zu entnehmen. Vielmehr ist auf die Summierung aller Pflichtverletzungen abzustellen, soweit Entscheidungsreife vorliegt (vgl. u.a. Urteil vom 12. Juli 1974 - BVerwG 2 WD 8, 9.74 - BVerwGE 46, 280 [283] = NZWehrr 1974, 235 - zur früheren Regelung in § 10 Abs. 2 WDO; Dau, aaO., § 18 Rn. 12 m.w.N.). Ist "wegen desselben Sachverhalts" bereits eine rechtskräftige Strafe verhängt worden und greift demzufolge insoweit im Einzelfall das Verhängungsverbot des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO ein, darf in die "Summierung aller Pflichtverletzungen" lediglich diejenige Pflichtverletzung nicht einbezogen werden, der ein von der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung erfasster Sachverhalt zugrunde liegt. Die Vorschriften des § 18 Abs. 2 WDO und § 23 Abs. 1 SG erfordern dagegen nicht, auch den von der strafgerichtlichen Verurteilung nicht erfassten Sachverhalt bei der disziplinargerichtlichen Beurteilung außer Betracht zu lassen.

Damit dürfen der von Anschuldigungspunkt 2 erfasste Sachverhalt und das insoweit in Rede stehende Fehlverhalten des früheren Soldaten bei der Bemessung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme, sofern eine Kürzung der Dienstbezüge in Betracht kommt, nicht berücksichtigt werden. Denn insoweit wurde durch das Amtsgericht T. mit dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 14. Juni 2001 bereits eine Geldstrafe verhängt. Eine weitere Ahndung (im Rahmen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens) wäre nur bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO ("um die militärische Ordnung aufrecht zu erhalten oder wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde") möglich.

Dagegen dürfen und müssen der von Anschuldigungspunkt 1 erfasste Sachverhalt und damit das insoweit festgestellte Fehlverhalten bei der Maßnahmebemessung Berücksichtigung finden. Denn es liegt insoweit weder eine unanfechtbare Bestrafung durch ein (Straf-)Gericht noch eine Einstellung nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO vor.

Auf die von der Truppendienstkammer vorgenommene Kürzung der jeweiligen Dienstbezüge des früheren Soldaten kann auch von der Sache her nicht verzichtet werden. Angesichts der erheblichen Auswirkungen seines Dienstvergehens sowie seiner strafrechtlichen Vorbelastungen bedarf es - auch aus generalpräventiven Gründen - einer für ihn spürbaren und nachdrücklichen Pflichtenmahnung. Dies gilt umso mehr, als er trotz erdrückender Beweislage bis zum Ende der Berufungshauptverhandlung nicht bereit war, sein nachhaltiges Leugnen der von Anschuldigungspunkt 1 erfassten kriminellen Handlungen aufzugeben und erkennen zu lassen, dass er die notwendigen Konsequenzen aus seinen Pflichtverletzungen gezogen hat. Er ist konstant uneinsichtig geblieben und hat damit zugleich auch das Opfer seines schwerwiegenden Fehlverhaltens, seine (frühere) Ehefrau, durchgängig bis zum Ende des Verfahrens zumindest konkludent weiterhin der Unwahrheit bezichtigt. Von der unter diesen Umständen notwendigen nachhaltigen Pflichtenmahnung darf nicht deshalb abgesehen werden, weil der frühere Soldat zwischenzeitlich aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschieden ist. Bei jedem Soldaten muss - zumal wenn er, wie vorliegend, im Tatzeitraum militärischer Vorgesetzter war - gerade auch im außerdienstlichen Bereich uneingeschränkt gewährleistet sein, dass er von kriminellen Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Personen Abstand nimmt und sich rechtstreu verhält. Das Disziplinarrecht, das darauf ausgerichtet ist, einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 2. Juli 1997 - BVerwG 2 WD 12.97 -, vom 13. Juli 1999 - BVerwG 2 WD 4.99 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 30, vom 21. Juni 2000 - BVerwG 2 WD 19.00 - Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 37 = NZWehrr 2001, 33 = ZBR 2001, 53 und vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 8.03 -), muss dazu mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln beitragen. Jeder Eindruck einer Bagatellisierung des in Rede stehenden Fehlverhaltens muss - gerade auch aus generalpräventiven Gründen - vermieden werden, zumal der frühere Soldat noch Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich 1 366,56 EUR netto von seinem Dienstherrn bezieht. ...

Vorinstanz: TDG Nord - TDG N 1 VL 23/04 - 12.4.2005,
Fundstellen
DVBl 2007, 132
NVwZ-RR 2007, 182