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BVerfG - Entscheidung vom 22.12.2006

1 BvQ 41/06

Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
BVerfGG § 32 Abs. 1

Fundstellen:
NVwZ 2007, 574

BVerfG, Beschluss vom 22.12.2006 - Aktenzeichen 1 BvQ 41/06

DRsp Nr. 2007/2538

Verfassungsmäßigkeit eines Versammlungsverbotes am Heiligen Abend

Da das nordrhein-westfälische Feiertagsgesetz ein Versammlungsverbot nur für die Zeiträume bis 11.00 Uhr und ab 16.00 Uhr enthält, kann ein Versammlungsverbot für die Zeit von 11.00 bis 16.00 Uhr nicht darauf gestützt werden, dass die Zahl der erwarteten Teilnehmer der Versammlung in keinem Verhältnis zu der Anzahl der Einwohner stehe, die hierdurch in Mitleidenschaft gezogen würden. Weiterhin kann das Totalverbot einer Versammlung auch nicht darauf gestützt werden, der Veranstalter sei hinsichtlich der Versammlungsdauer nicht zu einer Kooperation bereit gewesen.

Normenkette:

GG Art. 8 Abs. 1 ; BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

Gründe:

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die behördlich angeordnete sofortige Vollziehung einer Verbotsverfügung, mit der eine für Sonntag, den 24. Dezember 2006 für den Zeitraum ursprünglich von 10.30 Uhr bis 22.00 Uhr, nunmehr von 11.00 Uhr bis 16.00 Uhr, in Minden geplante Demonstration untersagt worden ist. Laut Anmeldung soll sie unter dem Thema stehen: "Gegen Repressionen und Polizeiwillkür".

Das Verwaltungsgericht Minden hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von dem Antragsteller eingelegten Widerspruchs mit Beschluss vom 21. Dezember 2006 - 11 L 904/06 - abgelehnt. Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt, die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 - 5 B 2706/06 - zurückgewiesen hat.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 [161]; 88, 185 [186]; 91, 257 f.; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.

Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Demonstration in vollem Umfang bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so wäre der Antragsteller um die Möglichkeit gebracht worden, von dem ihm zustehenden Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl von ihr erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen.

a) Die Versammlungsbehörde und die Gerichte führen zur Begründung des ausgesprochenen Versammlungsverbots an, die Durchführung der Versammlung verstoße gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe a in Verbindung mit § 7 Abs. 2 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Sonn- und Feiertage, soweit die Versammlung vor 11.00 Uhr und nach 16.00 durchgeführt werden solle. Ein Totalverbot der Versammlung sei gerechtfertigt, da der Antragsteller sich Kooperationsgesprächen über eine zeitliche Beschränkung der Versammlung verweigert habe. Zudem müsse die Versammlungsfreiheit gegenüber den gleichfalls grundrechtlich geschützten Interessen zahlreicher Kirchgänger zurücktreten, die sich auch in der Zeit von 11.00 Uhr bis 16.00 Uhr mit ihren Kindern und Familien auf das bevorstehende Weihnachtsfest vorbereiten und Gottesdienste besuchen wollten.

b) Diese Gesichtspunkte tragen den Sofortvollzug des Verbots nicht in vollem Ausmaß.

Die angeführten Regelungen des nordrhein-westfälischen Feiertagsgesetzes enthalten ein Versammlungsverbot nur für die Zeiträume bis 11.00 Uhr und ab 16.00 Uhr. Ob die von der Versammlungsbehörde und den Gerichten vertretene Auffassung verfassungsrechtlich tragfähig ist, der Schutz religiöser Gefühle könne unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtskollision ein Versammlungsverbot an einem religiös geprägten Feiertag über die zeitlichen Beschränkungen des Feiertagsgesetzes hinaus rechtfertigen, kann hier offen bleiben. Die Versammlungsbehörde hat jedenfalls selbst ausgeführt, dass wenigstens in der Zeit zwischen 11.00 Uhr und 13.30 Uhr eine erhebliche Störung solcher Gefühle von Kirchgängern auf dem Weg zum Gottesdienst nicht zu besorgen ist, und ausdrücklich erwogen, ob der geplante Aufzug in dieser Zeit stattfinden könne. Das hat sie mit der Begründung verworfen, die Anzahl der vom Antragsteller erwarteten Teilnehmer des Aufzugs stehe in keinem Verhältnis zu der Anzahl Mindener Einwohner, welche durch diese Veranstaltung in Mitleidenschaft gezogen würden. Eine solche Erwägung widerspricht dem Charakter des Grundrechts der Versammlungsfreiheit als Minderheitenschutzrecht.

Die weiter vorgetragene Auffassung der Versammlungsbehörde, eine Ausnahme von dem Versammlungsverbot für den Zeitraum zwischen 11.00 Uhr und 13.30 Uhr entspreche nicht dem der Anmeldung zugrunde liegenden Anliegen des Antragstellers, kann das Verbot der Versammlung für diesen Zeitraum ebenfalls nicht rechtfertigen. Die Definition seines Anliegens obliegt dem Antragsteller. Ebenso hängt von seiner Einschätzung ab, ob das Ziel der Versammlung noch erreicht werden kann, wenn deren zeitlicher Umfang reduziert wird, oder ob er von ihrer Durchführung stattdessen absehen will.

Das Totalverbot der Versammlung kann auch nicht damit begründet werden, der Antragsteller sei hinsichtlich der Versammlungsdauer nicht zu einer Kooperation bereit gewesen. Der Grundsatz vertrauensvoller Kooperation ist nicht als Rechtspflicht zur Kooperation ausgestaltet (vgl. BVerfGE 69, 315 [354 ff.]). Die Weigerung des Veranstalters zur Teilnahme an einem vorbereitenden Kooperationsgespräch ist für sich allein keine hinreichende Grundlage einer seine Person betreffenden belastenden rechtlichen Wertung (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 1. März 2002 - 1 BvQ 5/02 -, NVwZ 2002, S. 982).

Ob die von dem Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung weiter zugrunde gelegte Annahme zutrifft, das Grundrecht des Antragstellers stehe unter einem Schikanevorbehalt, bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dies unterstellt wird und die Versammlung ferner tatsächlich - wovon das Oberverwaltungsgericht ausgeht - dem Zweck dienen sollte, die Polizeibeamten dazu zu zwingen, überplanmäßig an Heiligabend Dienst zu verrichten, und sie zu hindern, das Fest im Kreise der Familie zu verbringen, könnte ein Totalverbot der Versammlung auf diese Weise nicht gerechtfertigt werden. Wird die Versammlung auf den Zeitraum von 11.00 Uhr bis 13.30 Uhr begrenzt, so verwirklicht sich bei ihrer Durchführung lediglich das allgemeine Dienstrisiko von Polizeibeamten, sonntags einen Einsatz leisten zu müssen. Dieses Risiko aber hat die Behörde zutreffend nicht als hinreichend angesehen, um die für 11.00 Uhr geplante Gegendemonstration zu verbieten.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 22.12.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 5 B 2706/06
Vorinstanz: VG Minden, vom 21.12.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 11 L 904/06
Fundstellen
NVwZ 2007, 574