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BVerfG - Entscheidung vom 06.04.2006

1 BvQ 10/06

Normen:
BVerfGG § 32 Abs. 1
StGB § 130 Abs. 3

Fundstellen:
NJW 2006, 3053
NVwZ 2006, 815

BVerfG, Beschluss vom 06.04.2006 - Aktenzeichen 1 BvQ 10/06

DRsp Nr. 2006/10957

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gegen ein ordnungsbehördliches Versammlungsverbot

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass ein Versammlungsverbot darauf gestützt wird, dass vier der weltweit prominentesten Leugner des Holocaust an einer rechtsgerichteten Versammlung teilnehmen und dass damit die Gefahr besteht, dass Straftaten nach § 130 StGB begangen werden.

Normenkette:

BVerfGG § 32 Abs. 1 ; StGB § 130 Abs. 3 ;

Gründe:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung betrifft die behördlich angeordnete Vollziehung eines Versammlungsverbots.

I. Der Antragsteller meldete am 30. November 2005 für den 8. April 2006 eine Versammlung der "Freien Nationalisten Rhein Neckar" in der Mannheimer Innenstadt unter dem Motto "Schafft Meinungsfreiheit - Freiheit für Zündel, Rudolf, Verbeke und Irving" an. Mit Bescheid vom 28. Februar 2006 verbot die Stadt Mannheim die Versammlung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und stellte bei dem Verwaltungsgericht Karlsruhe einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs, welcher mit Beschluss vom 22. März 2006 - 11 K 632/06 - abgelehnt wurde. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 4. April 2006 - 1 S 732/06 - zurück. Der Antragsteller beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder herzustellen.

II. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Folgenabwägung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Eilrechtsschutz ist allerdings zu gewähren, wenn die für das Versammlungsverbot maßgebliche Gefahrenprognose auf Umstände gestützt worden ist, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt der Grundrechte offensichtlich widerspricht, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 111, 147 [153]; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschlüsse vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, S. 3053 [3054], sowie vom 25. September 2004 - 1 BvQ 42/04 - [juris]; BVerfGK 3, 97 [99]). So liegt es hier nicht.

Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob sämtliche der von dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen tragfähig sind. Nicht offensichtlich fehlsam ist jedenfalls die auf das Motto und darauf bezogene Reden gestützte Einschätzung, dass auf der Versammlung Straftaten nach § 130 Abs. 3 StGB begangen werden, die der Versammlung zuzurechnen sind. Die vier im Versammlungsmotto genannten Personen gehören zu den weltweit prominentesten Leugnern des Holocaust. Gegen sie sind darauf gestützte strafrechtliche Verfahren durchgeführt worden oder werden gegenwärtig durchgeführt. Die Billigung oder Leugnung der rassisch motivierten Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus stellt eine Straftat dar, welche Rechtsgüter von erheblichem Gewicht beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 90, 241 [253]; EGMR , Entscheidung vom 24. Juni 2003 - Garaudy v. Frankreich -, NJW 2004, S. 3691 [3692 f.]).

Es ist nicht offensichtlich fehlsam, aus der Forderung zur Schaffung von Meinungsfreiheit und nach Freiheit für Personen, die wegen der Verletzung des Äußerungsdelikts aus § 130 Abs. 3 StGB verurteilt oder angeklagt sind, zu folgern, dass Inhalte Gegenstand der Reden und sonstigen Äußerungen auf der Versammlung sein werden, die § 130 Abs. 3 StGB unter Strafe stellt. Diese Annahme wird dadurch bestärkt, dass zu den vorgesehenen Rednern Personen zählen, die schon selbst wegen Volksverhetzung verurteilt worden sind. Angesichts der durch das spezifische Thema der Versammlung begründeten Erwartung, dass die Straftaten nach § 130 Abs. 3 StGB die Versammlung insgesamt prägen werden, ist auch die Einschätzung nicht offensichtlich fehlsam, dass Auflagen als milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot ausscheiden.

Bei der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmenden Folgenabwägung überwiegt das Gewicht der Gefahren bei Durchführung der Versammlung das der Folgen der Verletzung der Versammlungsfreiheit für den Fall, dass sich das Verbot bei einer nachfolgenden Überprüfung in der Hauptsache als rechtswidrig herausstellen sollte. Daher ist der Erlass der einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 04.04.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 732/06
Vorinstanz: VG Karlsruhe, vom 22.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 632/06
Fundstellen
NJW 2006, 3053
NVwZ 2006, 815