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BGH - Entscheidung vom 14.03.2006

VI ZB 69/04

Normen:
ZPO § 516 § 233 § 234

BGH, Beschluß vom 14.03.2006 - Aktenzeichen VI ZB 69/04

DRsp Nr. 2006/8545

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist; Berücksichtigung von Vorbringen vor Zustellung der die Wiedereinsetzung ablehnenden Entscheidung

Einen Wiedereinsetzungsantrag begründendes oder ergänzendes Vorbringen der antragstellenden Partei ist solange in Erwägung zu ziehen und zu berücksichtigen, bis das Gericht sich der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag in einer der Verkündung vergleichbaren Weise geäußert hat. Dies setzt voraus, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden. Dies ist noch nicht der Fall, wenn die an die Parteien zu versendenden Ausfertigung sich in der Kanzlei befinden, um die Fertigung von Empfangsbekenntnissen vorzubereiten.

Normenkette:

ZPO § 516 § 233 § 234 ;

Gründe:

I. Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 26. Mai 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Juni 2004, beim Landgericht eingegangen am 29. Juni 2004, Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 25. August 2004 begründet.

Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 1. September 2004 hat das Berufungsgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingelegt und beabsichtigt sei, gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verfahren. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 10 Tagen gegeben. Dieses Schreiben ist nur den Beklagten am 6. September 2004 förmlich zugestellt worden und bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers ebenfalls am 6. September 2004 formlos eingegangen. Mit Schriftsatz vom 15. September 2004, am selben Tage beim Berufungsgericht eingegangen, hat der Kläger um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis zum 21. September 2004 gebeten, da der zuständige Sachbearbeiter erst am 15. September 2004 aus dem Urlaub zurückgekehrt sei.

Mit Schriftsatz vom 17. September 2004, bei Gericht per Telefax und im Original jeweils am 20. September 2004 eingegangen, hat der Kläger sodann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen geltend gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen zu sein.

Mit Beschluss vom 20. September 2004 hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Es hat hierbei weder den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berücksichtigt noch den Antrag auf Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme.

Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 27. September 2004 hat das Berufungsgericht der Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass auf ihren Antrag auf Wiedereinsetzung nichts mehr habe veranlasst werden können. Als das Fax vom 20. September 2004 eingegangen sei, habe sich der Beschluss bereits "auf dem Postwege zur Zustellung" befunden. Innerhalb der unter dem 1. September 2004 gesetzten Frist zur Stellungnahme sei nur der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 20. Juli 2004 erneut übersandt worden.

Gegen den ihm am 23. September 2004 zugestellten Beschluss des Berufungsgerichts wendet sich der Kläger mit seiner am 19. Oktober 2004 eingegangenen und am 20. Dezember 2004 nach entsprechender Fristverlängerung begründeten Rechtsbeschwerde.

II. Die nach § 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Das Berufungsgericht hat durch die Nichtberücksichtigung des Antrags des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist den Kläger in seinen Rechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und effektiven Rechtsschutzes verletzt.

Die Rechtsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass die im Schreiben des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 27. September 2004 mitgeteilte Auffassung, auf den Wiedereinsetzungsantrag habe nichts mehr veranlasst werden können, rechtsfehlerhaft ist.

Nicht zu verkündende Entscheidungen wie der vorliegend angefochtene Beschluss im Sinne des § 522 Abs. 1 ZPO werden erlassen in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich ihrer in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat, was voraussetzt, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03 - NJW-RR 2004, 1575 m.w.N.). Dies ist entgegen der im Vermerk des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 27. September 2004 vertretenen Auffassung noch nicht der Fall, wenn sich der Beschluss vom 20. September 2004 bei Eingang des Wiedereinsetzungsantrages vom selben Tag in der Kanzlei befunden hat, um die an die Parteien zu versendenden Ausfertigungen mit den Empfangsbekenntnissen vorzubereiten, denn dies alles gehört noch zum inneren Geschäftsbetrieb (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03 - aaO.). Diesen hat der Verwerfungsbeschluss erst verlassen, nachdem er laut Aktenvermerk der Geschäftsstelle am 22. September 2004 ausgefertigt und an die Parteien abgesandt worden ist.

Da der Verwerfungsbeschluss vom 20. September 2004 mithin bei Eingang des Wiedereinsetzungsantrages erst in Vorbereitung, rechtlich jedoch noch nicht existent war, hätte das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist berücksichtigen und bescheiden müssen. Der Wiedereinsetzungsantrag war auch rechtzeitig im Sinne des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt, da die Frist erst mit dem bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 6. September 2004 eingegangenen Hinweis, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei, zu laufen begann (§ 234 Abs. 2 ZPO ).

Das Berufungsgericht wird mithin bei seiner neuen Entscheidung den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu berücksichtigen haben.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 20.09.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 58 S 241/04
Vorinstanz: AG Berlin-Mitte, vom 21.05.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 101 C 3014/04