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BGH - Entscheidung vom 28.04.2006

StB 1/06

Normen:
StPO § 55 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2006, 239
StV 2006, 508

BGH, Beschluß vom 28.04.2006 - Aktenzeichen StB 1/06

DRsp Nr. 2006/12112

Verfolgungsgefahr bei Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung trotz rechtskräftiger Aburteilung

1. Trotz der rechtskräftigen Aburteilung als Mitglied einer terroristischen Vereinigung kann Verfolgungsgefahr im Sinn des § 55 Abs. 1 StPO gegeben sein, wenn der Zeuge weiterer Straftaten verdächtig ist, für die ein Strafklageverbrauch nicht eingetreten ist. 2. Dabei können Erkenntnisse über die konkrete Beteiligung eines Mitglieds der Vereinigung an einer bestimmten Tat vielfach auch Rückschlüsse über seine und die Beteiligung von weiteren Mitgliedern an einer anderen Tat der Vereinigung zulassen und somit "Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude" werden. Bei der Beantwortung entsprechender Fragen kann daher Verfolgungsgefahr zu bejahen sein.

Normenkette:

StPO § 55 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Beschwerdeführerin am 28. Juni 1988 unter anderem des 43fach versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und des schweren Raubes, jeweils begangen in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, schuldig gesprochen. Diesem Urteil lagen der versuchte Sprengstoffanschlag auf die NATO-Schule in Oberammergau am 18. Dezember 1984, ein Waffenraub am 5. November 1984 in Maxdorf und die Mitgliedschaft in der "RAF" von Februar 1984 bis 2. August 1986 zugrunde. Am 28. April 1994 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Beschwerdeführerin wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub sowie eines weiteren Mordes an zwei Menschen in Tateinheit mit versuchtem Mord an zwei weiteren Menschen und mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion verurteilt. Diesem Urteil lagen die Ermordung des US-Soldaten P. am 7./8. August 1985 und der Sprengstoffanschlag auf die Rhein-Main-Airbase in Frankfurt am Main am 8. August 1985 zugrunde. Beide Urteile sind rechtskräftig.

Wegen der genannten Anschläge führt die Bundesanwaltschaft auch weiterhin Verfahren gegen Unbekannt. In diesem Zusammenhang wurde die Beschwerdeführerin am 15. Dezember 2005 vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs als Zeugin vernommen. Dabei wurden ihr folgende Fragen gestellt:

"Bitte schildern Sie im Zusammenhang den Anschlag auf die US-Air Base in Frankfurt am Main sowie den Ablauf der Ermordung des US-Soldaten P., soweit Ihnen das bekannt ist."

"Waren Sie an dem Anschlag beteiligt?"

"Waren G. und M. an den oben genannten Taten beteiligt?"

Nachdem die Beschwerdeführerin die Beantwortung aller Fragen unter Berufung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht abgelehnt hatte, hat der Ermittlungsrichter der Zeugin - nach Hinweis auf die Grundlosigkeit ihrer Weigerung und deren möglichen Folgen gemäß § 70 StPO - auf Antrag der Bundesanwaltschaft durch Beschluss die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt und gegen sie ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von fünf Tagen festgesetzt, sowie Erzwingungshaft, längstens bis zur Dauer von sechs Monaten, angeordnet. Der von der Zeugin hiergegen eingelegten Beschwerde, mit der sie sich gegen die Festsetzung des Ordnungsgeldes und die Anordnung von Erzwingungshaft wendet, hat der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen.

II. Die - hinsichtlich der Erzwingungshaft zulässige (§ 304 Abs. 5 StPO ) - Beschwerde hat Erfolg. Der Antrag der Bundesanwaltschaft war zurückzuweisen, weil der Beschwerdeführerin hinsichtlich aller Fragen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO zustand.

1. Allerdings besteht eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Strafklage daher verbraucht ist und deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er sich durch seine Antwort der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt.

Eine solche Gefahr wird jedoch vielfach nicht auszuschließen sein, wenn zwischen der abgeurteilten Tat und anderen Straftaten, deretwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat die Gefahr der Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich bringt. Das ist in einem Fall angenommen worden, in dem der rechtskräftig verurteilte Täter eines Raubüberfalls als Zeuge zur Identität seiner Komplizen befragt werden sollte und die Auskunft im Hinblick darauf verweigerte, dass es im Tatzeitraum zu ähnlich gelagerten Überfällen gekommen war, eine bandenmäßige Begehung in Betracht kam und die Identität einzelner Tatbeteiligter noch nicht geklärt werden konnte (BGH StraFo 2006, 69 f.). Aus demselben Grunde wurde auch einem Betäubungsmittelhändler ein Auskunftsverweigerungsrecht zugestanden, der wegen mehrerer eigener Handelsgeschäfte abgeurteilt worden war und nach Rechtskraft seiner Verurteilung zur Identität seiner Lieferanten als Zeuge befragt wurde, obgleich er im Verdacht stand, in Verbindung mit diesem Personenkreis weitere, nicht vom Strafklageverbrauch umfasste Betäubungsmitteldelikte begangen zu haben (BVerfG NJW 2002, 1411 f.).

2. Ein entsprechender Zusammenhang kann auch bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung gegeben sein, wenn es weiterer Straftaten verdächtig ist, für die ein Strafklageverbrauch nicht eingetreten ist (vgl. dazu BGHSt 29, 288 , 294). Die von einer solchen Vereinigung begangenen Straftaten sind vielfach dadurch gekennzeichnet, dass sie vom gleichen Täterkreis mit weitgehend gleich bleibender Aufgabenverteilung begangen werden, wobei häufig die verwendeten Tatmittel sowie die Art und Weise der Planung und Ausführung Übereinstimmungen aufweisen. Daher liegt es auf der Hand, dass Erkenntnisse über die konkrete Beteiligung eines Mitglieds der Vereinigung an einer bestimmten Tat vielfach auch Rückschlüsse über seine und die Beteiligung von weiteren Mitgliedern an einer anderen Tat der Vereinigung zulassen und somit "Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude" werden können (vgl. BGH NJW 1999, 1413 m. w. N.).

3. Eine auf einem derartigen Zusammenhang beruhende Verfolgungsgefahr war auch für die Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen. Sie steht im Verdacht, als Mitglied der "RAF" an weiteren, bislang nicht abgeurteilten Straftaten beteiligt gewesen zu sein, für die ein Strafklageverbrauch nicht eingetreten ist. Bei Beantwortung von Fragen nach den Beteiligten an ihren abgeurteilten Taten bestünde für die Beschwerdeführerin die Gefahr, dass sie durch deren Preisgabe zugleich auch Tatbeteiligte an weiteren, noch verfolgbaren eigenen Straftaten offenbart. Bei dieser Sachlage ist es nicht ausgeschlossen, dass sich durch die begehrte Auskunft die konkrete Gefahr einer Strafverfolgung der Beschwerdeführerin ergibt (vgl. BGH StraFo 2006, 69 f.; BVerfG NJW 2002, 1411 f.).

Entsprechendes gilt indessen auch für jede andere weiterführende Erkenntnis zu den abgeurteilten Taten, die von der Befragung der Beschwerdeführerin erwartet wird. Auch bei solchen Erkenntnissen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Rahmen einer mosaikartigen Beweisführung Bedeutung für den gegen die Beschwerdeführerin bestehenden Tatverdacht hinsichtlich weiterer Taten erlangen können.

III. Diese Gründe stehen auch einer Festsetzung des beantragten Ordnungsgeldes entgegen. Daher hat der Senat seine Entscheidung, auch wenn eine (isolierte) Beschwerde gegen diese Anordnung nicht zulässig gewesen wäre, auf diese erstreckt und den Antrag der Bundesanwaltschaft insgesamt zurückgewiesen.

Fundstellen
NStZ-RR 2006, 239
StV 2006, 508