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BGH - Entscheidung vom 07.06.2006

VIII ZR 229/04

Normen:
BGB § 133 § 157
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 07.06.2006 - Aktenzeichen VIII ZR 229/04

DRsp Nr. 2006/19381

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Streiten die Parteien darum, ob für Essenslieferungen ein Differenzbetrag zwischen Mehrwertsteuersätzen von 7% bzw. 16% zu leisten ist und legt eine Partei in einem Schriftsatz nach der mündlichen Verhandlung ein Ausschreibungsangebot vor, voraus sich ergibt, dass die Mehrwertsteuer zusätzlich zu dem Grundpreis berechnet werden soll, so ist das rechtliche Gehör verletzt, wenn das Berufungsgericht die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet.

Normenkette:

BGB § 133 § 157 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten aus zwischen ihnen geschlossenen Essenslieferungsverträgen die Nachzahlung des Differenzbetrages zwischen einer Mehrwertsteuer von 7% und einer solchen von 16% für das Jahr 1999.

Im Jahr 1999 stellte die Klägerin dem Beklagten für ihre Essenslieferungen auf der Basis einer Mehrwertsteuer von 7% einen Betrag von 53.233,76 DM in Rechnung, den der Beklagte auch bezahlte. Das Finanzamt S. stellte am 28. Juni 2001 fest, dass für die Essenslieferungen 16% Mehrwertsteuer zu bezahlen war. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2001 übersandte die Klägerin dem Beklagten deshalb eine Nachberechnung der Mehrwertsteuer für das gesamte Jahr 1999 in Höhe von 68.443,40 DM. Wegen dieser Forderung beantragte die Klägerin am 31. Dezember 2001 gegen den Beklagten den Erlass eines Mahnbescheids, gegen den der Beklagte Widerspruch erhob.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe die Essenslieferung öffentlich ausgeschrieben und die Ausschreibungsunterlagen erstellt, in welche die Klägerin dann handschriftlich die einzelnen Preise sowie die sich daraus ergebende Höhe der in den Unterlagen vorgegebenen Mehrwertsteuer von 7% eingetragen habe. Der Beklagte hat demgegenüber behauptet, die Mehrwertsteuer sei von ihm nicht vorgegeben worden; beide Parteien hätten sich keine Gedanken über die Mehrwertsteuerhöhe gemacht, sich vielmehr auf Bruttopreise und nicht auf Nettopreise zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer geeinigt.

Mit Urteil vom 5. Februar 2004 hat das Landgericht der Klage in Höhe eines Betrages von 28.462,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2002 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf die geltend gemachte Differenz zwischen der gezahlten Mehrwertsteuer in Höhe von 7% und der geforderten Mehrwertsteuer in Höhe von 16% zu. Die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung stehe der Geltendmachung der Forderung zwar nicht entgegen. Der Klägerin stehe aber aus keinem Rechtsgrund ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Mehrwertsteuerdifferenz zu. Zwischen den Parteien seien Bruttopreise vereinbart worden. Die Frage, wer eine Umsatzsteuer zu tragen habe, sei zwischen den Parteien nicht verhandelt worden. Die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung seien nicht gegeben. Von den Parteien sei eine Mehrwertsteuer unterstellt und in den Vertrag der Klägerin aufgenommen worden. Die Klägerin habe sich aber über die Höhe der von ihr zu entrichtenden Mehrwertsteuer geirrt. Das falle in ihren Risikobereich. Der Beklagte sei der Behauptung, es habe ein beiderseitiger Irrtum über die Mehrwertsteuerpflicht vorgelegen, stets entgegengetreten. Die - hinsichtlich des Vorliegens eines gemeinschaftlichen Irrtums, der der Klage unter dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung zum Erfolg verhelfen könnte - beweisbelastete Klägerin habe für ihre gegenteilige Behauptung Beweis nicht bzw. nicht rechtzeitig angetreten. Das gelte insbesondere für die bestrittene Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung auch die Höhe der Mehrwertsteuer vorgegeben. Das Vorbringen und die Beweisantritte in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 28. Juni 2004 hätten nicht berücksichtigt werden dürfen. Soweit die Klägerin geltend mache, der Senat hätte ihr, weil er erst in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2004 auf die mögliche Erheblichkeit des entsprechenden Vortrags und die Beweisfälligkeit der Klägerin hingewiesen habe, Gelegenheit zur Äußerung hierzu einräumen müssen, so sei dies zwar grundsätzlich zutreffend. Indessen habe die anwaltlich vertretene Klägerin hierzu in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gehabt. Sie habe in der Verhandlung aber weder zu erkennen gegeben, dass sie sich zu diesem Hinweis überhaupt noch äußern wolle, noch geltend gemacht, eine Äußerung sei ihr nicht möglich oder zumutbar. Schließlich habe sie auch keinen Schriftsatznachlass beantragt.

II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG . Das Berufungsgericht hätte bei rechtmäßiger Ausübung seines Ermessens nach dem Vortrag der Klägerin in dem Schriftsatz vom 28. Juni 2004 die Verhandlung wiedereröffnen müssen (§ 156 Abs. 1 ZPO ). Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Diese Möglichkeit ist der Klägerin nicht in ausreichendem Maße eingeräumt worden.

Wie das Berufungsgericht allerdings zutreffend ausführt, ist der anwaltlich vertretenen Klägerin in der mündlichen Verhandlung zunächst hinreichend Gehör gegeben worden. Sie hatte Gelegenheit, zu der von der Vorinstanz abweichenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen und den danach nunmehr erforderlichen Beweis anzutreten; darauf, dass ein solches Beweisangebot fehlte, hat das Berufungsgericht sie aufmerksam gemacht. Wenn sie nicht zu erkennen gegeben hat, dass sie sich zu dem Hinweis äußern wollte oder sich hierzu im Augenblick außerstande sah, hat das Gericht nicht fehlerhaft gehandelt, als es die mündliche Verhandlung geschlossen und einen Termin zur Verkündigung einer Entscheidung anberaumt hat, ohne der Klägerin die Einreichung eines Schriftsatzes vorzubehalten. Nach § 139 Abs. 5 ZPO war es Sache der Klägerin, einen Antrag auf Schriftsatznachlass zu stellen, um den Beweisantritt in einem ihr nachzulassenden Schriftsatz vorzubringen, der nach § 296 a Satz 2 ZPO zu berücksichtigen gewesen wäre.

2. Das Berufungsgericht wäre jedoch im Rahmen des ihm nach § 156 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens verpflichtet gewesen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, um das Vorbringen der Klägerin in dem nachgereichten Schriftsatz vom 28. Juni 2004 noch berücksichtigen zu können. Nachdem die Klägerin Fotokopien des von dem Beklagten herrührenden Ausschreibungsangebotes für den Vertrag 1993 vorgelegt hatte, wurde offenbar, dass die Mehrwertsteuer zusätzlich zu dem Grundpreis berechnet werden sollte. Die Klägerin hat in dem Schriftsatz vorgetragen, dass die Angabe von 7 % Mehrwertsteuer Teil der vom Beklagten erstellten Ausschreibungsunterlagen war und deshalb ein beiderseitiger Irrtum über die Höhe der Umsatzsteuer vorliege, und sie hat hierfür Beweis durch Vernehmung zweier Zeugen angeboten. Zudem heißt es in den vom Beklagten formulierten und von der Klägerin nunmehr in Fotokopie eingereichten Vertragsbedingungen:

"Für die am Schluss des Angebotes anzugebende Mehrwertsteuer ist der zum Zeitpunkt des Angebotes gültige Steuersatz anzusetzen. Ändert sich der Steuersatz, so gilt für die Abrechnung der Leistung der zum Zeitpunkt der Ausführung gültige Steuersatz".

Danach war es übereinstimmender Wille der Parteien, dem Beklagten die von der Klägerin zu entrichtende Mehrwertsteuer zusätzlich zu dem Grundpreis aufzuerlegen, so dass die Berechnung der Mehrwertsteuer mit 7 % auf einem beiderseitigen Kalkulationsirrtum, jedenfalls aber auf einem dem Beklagten offen gelegten und damit beachtlichen Irrtum der Klägerin beruhte, der sie zu einer Nachforderung der Mehrwertsteuerdifferenz aus dem Gesichtspunkt der ergänzenden Vertragsauslegung berechtigte. Somit ergibt sich unter Heranziehung des Schriftsatzes vom 28. Juni 2004, dass der Beklagte im gesamten vorangegangenen Verfahren unter Verstoß gegen § 138 ZPO die Behauptungen der Klägerin zur vereinbarten Mehrwertsteuer bestritten und der Wahrheit zuwider behauptet hatte, es seien Bruttopreise vereinbart gewesen und die Mehrwertsteuer habe für ihn keine Rolle gespielt. Die Annahme des Berufungsgerichts, das bloße Bestreiten seitens des Beklagten sei zulässig gewesen, erwies sich daher im Nachhinein als unzutreffend, weil er wider besseres Wissen ohne Rücksicht auf seine eigenen Unterlagen vorgegeben hatte, die Behauptungen der Klägerin seien unrichtig. Unter diesen Umständen konnte das dem Berufungsgericht nach § 156 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen zur Wiedereröffnung der Verhandlung rechtsfehlerfrei nur dahingehend ausgeübt werden, dass es das Verfahren unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 28. Juni 2004 fortgesetzt hätte.

III. Die Verletzung der Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Vorinstanz: OLG Thüringen, vom 12.07.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 204/04
Vorinstanz: LG Erfurt, vom 05.02.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 878/03