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BGH - Entscheidung vom 23.08.2006

5 StR 139/06

Normen:
StPO § 261 § 337 Abs. 1

BGH, Urteil vom 23.08.2006 - Aktenzeichen 5 StR 139/06

DRsp Nr. 2006/23172

Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung in der Revision, mögliche Schlussfolgerung

Eine nach den getroffenen Feststellungen mögliche tatrichterliche Schlussfolgerung ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; dass eine andere tatrichterliche Wertung ebensogut möglich gewesen wäre und womöglich gar näher gelegen hätte, begründet noch keinen revisiblen Rechtsfehler.

Normenkette:

StPO § 261 § 337 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in weiterer Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn vom Vorwurf der Vergewaltigung in vier Fällen, der Freiheitsberaubung und der versuchten Nötigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Nebenklägerin und die Staatsanwaltschaft erstreben mit ihren Revisionen eine Verurteilung wegen Mordes, die Staatsanwaltschaft zudem die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht. Schließlich greift die Staatsanwaltschaft den Teilfreispruch an. Beide Rechtsmittel bleiben erfolglos.

I. Nach den Urteilsfeststellungen tötete der damals 20-jährige Angeklagte im Juli 2004 die 18-jährige S. W. nach einer mit einverständlichem Geschlechtsverkehr und erheblichem Drogenkonsum verbrachten gemeinsamen Nacht. Das vom Angeklagten angegebene Tötungsmotiv - er habe ausschließen wollen, dass S. anderen von ihren sexuellen Erlebnissen mit ihm erzählt und sich seine Freundin aus diesem Grund von ihm trennt - hat die Kammer mit dem psychiatrischen Sachverständigen K. in Zweifel gezogen. Was dem eigentlichen Tötungsangriff - dem Erdrosseln S.s von hinten mit einem Halstuch, Schal oder zerschnittenen T-Shirt - im Einzelnen vorausging, konnte die Jugendkammer nicht feststellen. Sie hat sich deshalb, auch unter Berücksichtigung des Drosselns von hinten, keine sichere Überzeugung von einem objektiv heimtückischen Angriff zu verschaffen vermocht. Angesichts der Ausführungen des Sachverständigen K. zu möglichen drogenbedingten Beeinträchtigungen der Realitätswahrnehmung hat sie zudem nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Sicherheit feststellen können, dass der Angeklagte eine etwaige Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst ausgenutzt hätte. Sachverständig beraten, hat die Jugendkammer eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung infolge massiven Drogenkonsums (Ecstasy, Speed, Kokain und Haschisch) nicht auszuschließen vermocht.

Ebenfalls im Juli 2004 überfiel der Angeklagte unter Drogeneinfluss die Betreiberin eines Zeitungsladens unter Vorhalt eines Messers, wobei er die Überfallene mit Schnürsenkeln und einem Tuch fesselte und 2.250 Euro Bargeld entwendete.

Vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Getöteten S. W. und der dreifachen Vergewaltigung sowie Freiheitsberaubung und versuchten Nötigung zum Nachteil der Zeugin U. hat die Jugendkammer den diese Vorwürfe bestreitenden Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sie das Geschehen vor der Tötung von S. W. nicht hinreichend aufzuklären vermochte und der Zeugin U. aufgrund mehrerer Widersprüche in ihrer Aussage zum Kerngeschehen keinen vollen Glauben geschenkt hat.

II. Die Revisionen bleiben erfolglos.

1. Revision der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision auf die Freisprüche des Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung der getöteten S. W. und weiterer Taten zum Nachteil der Zeugin U., auf die rechtliche Würdigung der Tötung von S. W. als Totschlag, auf die Anwendung des Jugendstrafrechts und die Strafzumessung beschränkt; die Bundesanwaltschaft hat diese Revision ursprünglich nur hinsichtlich des Freispruchs von Taten zum Nachteil der Zeugin U. und hinsichtlich der Nichtannahme eines Heimtückemordes zum Nachteil der S. W. vertreten und vertritt sie nunmehr auch hinsichtlich der Anwendung von Jugendstrafrecht.

a) Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft nicht vertreten wird, kann sie aus den von der Bundesanwaltschaft genannten Gründen keinen Erfolg haben. Dass sich das Landgericht keine hinreichende Überzeugung von einer Vergewaltigung der S. W. bilden konnte, ist angesichts des Fehlens hinreichend aussagekräftiger Anhaltspunkte für eine solche Tat nicht zu beanstanden. Dies gilt namentlich, weil das Landgericht insoweit die Aussage des sich im Übrigen selbst schwer belastenden Angeklagten zur Einvernehmlichkeit sexueller Handlungen vor dem Hintergrund der Persönlichkeit des Opfers nachvollziehbar als glaubhaft gewertet hat. Die Ablehnung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist angesichts des psychiatrischen Befundes zur Tatzeit vor dem Hintergrund massiver Drogenbeeinflussung und der Erwägung des psychiatrischen Sachverständigen, das vom Angeklagten genannte Motiv sei wahrscheinlich nicht das wahre, sondern nur vorgeschoben, ebensowenig zu beanstanden wie die Strafzumessung; die Erwägung zur hypothetischen Strafrahmenverschiebung bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHSt 49, 239 , 248).

b) Auch soweit die Revision der Staatsanwaltschaft von der Bundesanwaltschaft vertreten wird, deckt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

aa) Dass das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke abgelehnt hat, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Zutreffend hat die Jugendkammer gesehen, dass die vom Angeklagten selbst geschilderte Tötungsart - Erdrosseln von hinten mittels Halstuch, Schal oder zerschnittenem T-Shirt - angesichts des Tatorts (Uferstelle am Kanal) und der Tatzeit in den frühen Morgenstunden ganz erheblich für eine heimtückische Tötung der S. W. spricht. Diesem gewichtigen Gesichtspunkt hat es auf objektiver Seite den Umstand entgegengestellt, dass sich keinerlei sichere Feststellungen zum Geschehen unmittelbar vor Beginn der Drosselhandlungen treffen ließen, also auch ein Vorgeschehen nicht ausgeschlossen werden konnte, das zuvor vorhandene Arglosigkeit beseitigt haben könnte. Dass der Angeklagte S. W. nach Verlassen der Wohnung bewusst in Tötungsabsicht zu dem einsamen Tatort geführt hat, konnte die Kammer ebensowenig feststellen.

Entscheidend hat das Landgericht sodann darauf abgestellt, dass angesichts der Ausführungen des Sachverständigen K. zu möglicherweise erheblichen Wahrnehmungseinschränkungen des unter massivem Drogeneinfluss stehenden Angeklagten nicht hinreichend sicher festgestellt werden könne, dass dieser eine etwaige Arglosigkeit von S. W. zutreffend erkannt und in feindlicher Willensrichtung ausgenutzt hätte. Dieser tatrichterliche Schluss ist auf der Grundlage der Feststellungen jedenfalls möglich und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. Dass eine andere tatrichterliche Wertung ebensogut möglich gewesen wäre und womöglich - worauf die Bundesanwaltschaft zutreffend hinweist - gar näher gelegen hätte, begründet noch keinen revisiblen Rechtsfehler. Wesentliche Erörterungsdefizite deckt die Revision der Staatsanwaltschaft insoweit nicht auf.

Dies gilt auch für die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO . Die Beanstandung, die verlesenen technischen Gutachten seien nicht erörtert worden, zeigt keine Diskrepanz oder Lücke auf (vgl. BGHSt 38, 14 , 16 f.).

bb) Der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in drei Fällen, der Freiheitsberaubung und der versuchten Nötigung zum Nachteil der Zeugin U. hat Bestand. Einziges Beweismittel war in diesem Fall die Aussage der Zeugin U.. Dass sich das Landgericht allein auf dieser Grundlage keine für eine Verurteilung hinreichende Überzeugung von den angeklagten Taten hat bilden können, ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGH NJW 2006, 925 , 928 m.w.N.).

Diesen Anforderungen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts stand. Die Kammer hat zum einen auf erhebliche Abweichungen in den Angaben der Zeugin U. zum Kerngeschehen der jeweiligen Anklagevorwürfe in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 13. Juli 2004 und in der knapp ein Jahr später durchgeführten Hauptverhandlung abgestellt. Diese Abweichungen betreffen nach den Feststellungen des Landgerichts wesentliche Punkte der angeklagten Taten, etwa ob es zum ersten Messereinsatz vor oder in der Wohnung gekommen ist, ob der Angeklagte sie unter Drohungen gezwungen hat, sich auszuziehen, wie viele erzwungene Sexualhandlungen in welchem zeitlichen Rahmen es gegeben, in welcher Form eine Fesselung stattgefunden und ob der Angeklagte sie anschließend bedroht hat. Mögen diese Abweichungen - wie die Bundesanwaltschaft zutreffend vorbringt - für sich gesehen noch mit dem Zeitablauf zwischen der ersten und der zweiten Vernehmung erklärbar sein, ist die Skepsis des Landgerichts doch namentlich vor dem Hintergrund folgender weiterer Feststellungen nicht zu beanstanden: Die Zeugin U. konnte mehrfach über Stunden die Wohnung ungehindert verlassen, sie hat dem Angeklagten möglicherweise den Weg zu dem von ihm überfallenen Zeitungsladen gewiesen, sie wurde danach vom Angeklagten zu Besorgungen außer Haus geschickt, anschließend gab sie gemeinsam mit dem Angeklagten bei einem längeren Einkauf das erbeute Geld aus, sie verbrachte den Abend unmittelbar nach Abschluss der angeklagten Taten gemeinsam mit dem Angeklagten und dessen damaliger Freundin, der Zeugin M., und machte auf diese einen ganz normalen Eindruck, war allerdings eifersüchtig und enttäuscht über mangelnde Zuwendung durch den Angeklagten. Nicht erklären konnte die Zeugin insbesondere, weshalb sie mit ihrem "Peiniger", der sie zwei Tage eingesperrt, gefesselt und zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll, anschließend längere Zeit einkaufen ging und den Abend gemeinsam mit dessen Freundin verbrachte und weshalb sie - trotz mehrfacher Gelegenheit - nicht die Wohnung verließ oder, vom Angeklagten zu Besorgungen außer Haus geschickt, einfach wegblieb.

cc) Die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den heranwachsenden Angeklagten nach § 105 Abs. 1 JGG hält sich innerhalb des weiten Beurteilungsspielraums, der dem Jugendrichter insoweit zukommt (vgl. BGHSt 36, 37 f.; BGH NJW 2002, 73 ), und bedurfte auch nicht weiterer als der erfolgten Begründung.

2. Revision der Nebenklägerin

Die Revision der Nebenklägerin hat aus den unter II. 1. a) und b) aa) genannten Gründen keinen Erfolg.

III. Schließlich merkt der Senat an, dass es nicht angängig ist, im schriftlichen Urteil die Einlassung des Angeklagten in Form der Fotokopie eines handschriftlichen Textes mitzuteilen.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 10.08.2005