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BGH - Entscheidung vom 12.07.2006

5 StR 135/06

Normen:
StGB § 212 Abs. 1

BGH, Urteil vom 12.07.2006 - Aktenzeichen 5 StR 135/06

DRsp Nr. 2006/20540

Tötungsvorsatz bei hochgradig massiven Gewalteinwirkungen

Die Gesamtheit hochgradig massiver Gewalteinwirkungen des Angeklagten auf sein Opfer, die einige Zeit erforderten, legt einen bedingten Tötungsvorsatz nahe, dessen Bejahung allein deshalb auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht.

Normenkette:

StGB § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.

I. Das Urteil des Schwurgerichts beruht auf folgenden Feststellungen:

Der Angeklagte war zur Tatzeit 23 Jahre alt. Er stammt aus der Türkei und lebte damals seit zehn Jahren in Deutschland. Er ist nicht vorbestraft, war zur Tatzeit ohne Arbeit, wurde von seiner Mutter finanziell unterstützt und ging - meist nachts unter regelmäßigem erheblichem Alkohol- und Haschischmissbrauch - seinen Vergnügungen nach; er hatte etwa 4.000 Euro Schulden.

Am Tattag, dem 1. Mai 2002, plante er in den Morgenstunden, einen Zeitungsladen zu überfallen. Er betrat gegen 7.40 Uhr, bewaffnet mit einer geladenen Schreckschusspistole, dass in Berlin-Moabit gelegene Ladengeschäft des 40-jährigen K., der hier seit 6.30 Uhr trotz des gesetzlichen Feiertages aktuelle türkische Zeitungen an Landsleute verkaufte. Obgleich der Überfallene dem Angeklagten an Körpergröße und Gewicht markant unterlegen war, ließ er sich durch die Bedrohung mit der Waffe und die Forderung nach Herausgabe von Geld nicht einschüchtern, sondern schlug dem Angeklagten die Waffe aus der Hand, versetzte ihm möglicherweise auch einen Faustschlag und beschimpfte ihn. Der Angeklagte, der über die Gegenwehr des Opfers in Erregung und Wut geraten war, verfolgte seinen Tatplan, den er nunmehr mit körperlicher Gewalt durchsetzen wollte, weiter. Dabei wirkte er in massivster Weise auf den Geschädigten ein, dem er mit stumpfer Gewalt mehrfach ins Gesicht schlug und den er heftig würgte. Das Opfer erlitt eine stark blutende Platzwunde am Hinterkopf. Dem zu Boden Gegangenen brachte der Angeklagte mit dem Fuß, den Knien oder dem Arm eine Vielzahl schwerster Rippenbrüche bei. Das Opfer, das weitere gravierende Kopf- und Kehlkopfverletzungen erlitten hatte, verstarb. Hiermit hatte der Angeklagte bei seinem Vorgehen gerechnet.

Der Angeklagte entwendete aus dem hinteren Bereich des Ladengeschäfts eine Kellnertasche mit 600 Euro und diversen Papieren. Hektische Versuche, die elektronische Kasse zu öffnen, waren zuvor gescheitert. Bei der Durchsuchung des Geschäfts hinterließ der Angeklagte mehrere blutige Finger- und Handabdrücke. Nachdem er unerkannt vom Tatort entkommen war, konnte er durch eine Handflächenspur erst mehr als zwei Jahre nach Tatbegehung identifiziert werden.

Der Angeklagte hat seine Täterschaft am Schluss der Hauptverhandlung eingestanden. Zuvor hatte er lediglich allgemeine Angaben über sein damaliges Trink- und Rauschmittelkonsumverhalten gemacht. Unter Zugrundelegung einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 1,6 % zur Tatzeit und eines erhöhten Haschischkonsums bis in die frühen Morgenstunden vor Tatbegehung (10 Joints) hat das Schwurgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Tat aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung nicht ausgeschlossen. Es entnahm dies dem Zusammenwirken einer nicht unerheblichen Alkohol- und Rauschmittelbeeinträchtigung und einer affektiv aufgeladenen Verstimmung, auf deren Grundlage sich der Angeklagte zur Tatbegehung entschlossen hatte und die infolge der unerwarteten heftigen Gegenwehr seines Opfers erheblich gesteigert wurde.

Das Schwurgericht hat Mord aus Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat, tateinheitlich Raub mit Todesfolge angenommen und dem Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB zugebilligt.

II. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Die auf Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge versagt. Ersichtlich hat das Schwurgericht die Feststellungen zur Massivität der Kopf- und Halsverletzungen des Opfers aufgrund der Ausführungen des Obduktionssachverständigen getroffen, der seine Beurteilung anhand von Lichtbildern erläuterte. Der förmlichen Einnahme eines Augenscheins der für Laien für sich wenig aussagekräftiger Lichtbilder bedurfte es ergänzend zu dieser ersichtlich allein tragenden Sachverständigenaussage nicht. Soweit im Urteil ein solcher Augenschein, der in der Hauptverhandlung tatsächlich nicht eingenommen worden ist, behauptet wird, handelt es sich hiernach um ein unschädliches Versehen.

2. Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg. Die Gesamtheit der hochgradig massiven Gewalteinwirkungen des Angeklagten auf sein Opfer, die einige Zeit erforderten, legt einen bedingten Tötungsvorsatz nahe (vgl. dazu BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59; Schneider in MüKo- StGB § 212 Rdn. 9, 26), dessen Bejahung allein deshalb auf dieser ausreichenden Tatsachengrundlage beruht. Der Tötungsvorsatz wird durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ebenso wenig in Frage gestellt wie das Mordmerkmal der Habgier; dass sich der Angeklagte bei den Gewalthandlungen von seinem ursprünglichen Plan, das Opfer zu berauben, weiter leiten ließ, belegt schon ohne weiteres der gesamte Tatablauf.

Die Strafzumessung ist rechtsfehlerfrei. Das gravierende Tatbild, für das der Angeklagte - wenngleich eingeschänkt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 28, 33), was das Schwurgericht beachtet hat - strafrechtlich verantwortlich war, war als maßgeblicher Strafschärfungsgrund heranzuziehen.

III. Auch die von der Bundesanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

1. Die Aufklärungsrüge versagt. Der Angeklagte hat - in Form einer von ihm als eigene Einlassung anerkannten schriftlichen Verteidigererklärung - ein spätes Geständnis abgelegt. Das Schwurgericht war hiernach nicht verpflichtet, ohne entsprechenden Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft den psychiatrischen Sachverständigen zum Inhalt des Geständnisses und den daraus herzuleitenden Folgerungen für die psychische Verfassung des Angeklagten bei Tatbegehung nochmals zu vernehmen. Wie der Verteidiger zutreffend ausgeführt hat, sind dem Sachverständigen, der den üblichen Suchtmittelmissbrauch des Angeklagten zur Tatzeit in der Hauptverhandlung erfahren hatte, die Anknüpfungstatsachen für eine affektive Aufladung des Angeklagten bei Begehung der Tat fraglos durch Vorhalte der objektiven Tatortbefunde nahegebracht worden, namentlich die Vielzahl der besonders schweren Verletzungen des Opfers und die Indizien für die Hektik des Angeklagten, der ungeachtet von Warnsignalen der elektronischen Kasse weiter nach Beute suchte, indes seine Waffe am Tatort zurückließ. War ein solches Verhalten des Angeklagten von dem Sachverständigen in seinem Gutachten in Erwägung gezogen worden, konnte sich das Gericht nach späterer Bestätigung der wesentlichen Anknüpfungstatsachen durch die Einlassung des Angeklagten auf jene Beurteilung des Sachverständigen verlassen (vgl. UA S. 28), ohne ihn hiermit dann noch ausdrücklich konfrontieren zu müssen.

2. Die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Bei dem Angeklagten lag nach den Feststellungen des Schwurgerichts bei Tatbegehung eine insgesamt nicht unerhebliche rauschmittelbedingte Beeinträchtigung vor. Namentlich vor diesem Hintergrund konnte infolge der unerwarteten Gegenwehr des Opfers letztlich eine Bewusstseinsstörung von insgesamt schon tiefgreifendem Grad ausgelöst werden. Hieraus ließ sich die Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung ableiten (vgl. BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 2). Auf der Hand liegt, dass bei der gleichwohl fortdauernd umgesetzten Tatmotivation das Mordmerkmal der Habgier immer noch bewusstseinsdominant blieb. Hierin liegt entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft kein Widerspruch zum Befund erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 14.09.2005