Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 26.07.2006

5 StR 277/06

Normen:
StGB § 21 § 46 Abs. 2

BGH, Beschluß vom 26.07.2006 - Aktenzeichen 5 StR 277/06

DRsp Nr. 2006/22757

Strafschärfende Berücksichtigung der Handlungsintensität bei vermindert schuldfähigem Täter

Die "Handlungsintensität" bei der Tatbegehung darf dem Angeklagten in dem Umfang, in dem sie auf die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zurückgeht, nicht uneingeschränkt zum Vorwurf gemacht und straferschwerend angelastet werden.

Normenkette:

StGB § 21 § 46 Abs. 2 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.

Zum Tatgeschehen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der in Russland aufgewachsene Angeklagte kam im Dezember 1996 nach Deutschland und wohnte in einem Wohnheim für Spätaussiedler. Am 12. September 1997 traf er sich mit drei anderen Bewohnern des Heims, mit denen er ab 16 Uhr alkoholische Getränke konsumierte. In der Nacht zum 13. September 1997 fuhren die vier jungen Männer mit einem Taxi ziellos durch die Gegend. Gegen 1 Uhr morgens zerrten zwei der anderweitig verfolgten Mittäter die später Geschädigte T. in den Wagen, auf dessen Rückbank die vier Männer - zuletzt der Angeklagte - gegen den Willen der Geschädigten ungeschützt den Geschlechtsverkehr mit ihr ausübten. Zur Tatzeit betrug die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten maximal 1,9 Promille.

Das Landgericht hat einen minder schweren Fall der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB in der Fassung des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 verneint und die Strafe dem wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit gem. §§ 21 , 49 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB a. F. entnommen. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Bei Bestimmung des Strafrahmens hält die Strafkammer dem Angeklagten zugute, dass die bei ihm zur Tatzeit bestehende Alkoholisierung nicht ausschließbar zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Diesem Strafmilderungsgrund stellt sie jedoch die "äußerst" brutale Begehungsweise gegenüber, die es auch bei Berücksichtigung der langen Zeitspanne zwischen der Tat und ihrer Aburteilung sowie der positiven Entwicklung des Angeklagten, der sich straffrei gehalten, inzwischen eine Familie gegründet und eine gesicherte berufliche Existenz aufgebaut hat, nicht erlaube, einen minder schweren Fall der Vergewaltigung anzunehmen.

Gewissen Bedenken begegnet schon, dass das Landgericht bei Prüfung der Frage, ob die Tat als minder schwerer Fall zu bewerten ist, nicht auch weitere bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigte zugunsten des Angeklagten sprechende Umstände (vollumfängliches Geständnis, Preisgabe der Namen zweier bis dahin nicht bekannter Mittäter, bedrängte persönliche Situation zur Tatzeit) in seine Erwägungen einbezogen hat (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1).

Der Strafausspruch ist jedenfalls deshalb aufzuheben, weil die Strafkammer bei der für die Ablehnung des milderen Strafrahmens entscheidenden Bewertung der Handlungsintensität unerörtert gelassen hat, ob und gegebenenfalls in welchem Maße das brutale Vorgehen gerade durch die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten beeinflusst war. Denn in diesem Fall darf ihm die Handlungsintensität in dem Umfang, in dem sie auf die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zurückgeht, nicht uneingeschränkt zum Vorwurf gemacht und straferschwerend angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 bis 5). Hier waren die für das Opfer besonders belastenden Begleitumstände der Tat, die in der massiven gemeinschaftlichen Vorgehensweise der Täter lagen, andererseits ersichtlich von Gruppendynamik geprägt, welcher ein erheblich enthemmter, zumal noch junger, mit der Tatinitiative der Mittäter überraschend konfrontierter Täter wie der Angeklagte weniger Widerstand entgegenzusetzen vermag als ein uneingeschränkt schuldfähiger Täter. Eine entsprechende Erörterung war hier jedenfalls deshalb unerlässlich, weil der Angeklagte weder vor der Tat noch in den neun Jahren danach wegen gewalttätigen Verhaltens auffällig geworden ist.

Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass die Strafkammer der Art der Tatausführung bei der Wahl des Strafrahmens ein zu großes Gewicht beigemessen hat. Auch mit Rücksicht auf den seit der Tatbegehung eingetretenen Zeitablauf kommt den straferschwerenden Umständen möglicherweise nicht mehr die Bedeutung zu, die sie bei tatnaher Aburteilung hätten haben müssen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht; der neue Tatrichter wird die Straffindung auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, neben denen lediglich ergänzende, ihnen nicht widersprechende Feststellungen zu verwerten sind. In diesem Rahmen wird die Frage besonders bedeutsam sein, ob die ganz außergewöhnlich positive Entwicklung des Angeklagten seit Tatbegehung, seine familiäre Situation sowie die berufliche Eingebundenheit weiterhin wie bislang Bestand haben.

Vorinstanz: LG Chamnitz - 10.4.2006,