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BGH - Entscheidung vom 13.04.2006

IX ZR 208/02

Normen:
StBerG § 68 (a.F.)

Fundstellen:
BGHReport 2006, 1099
DB 2007, 796
DStRE 2007, 391
MDR 2006, 1138
NJW 2006, 2635
WM 2006, 1450

BGH, Urteil vom 13.04.2006 - Aktenzeichen IX ZR 208/02

DRsp Nr. 2006/18967

Sekundärhinweispflicht des Steuerberaters bei Beauftragung eines Rechtsanwalts

»a) Hat ein Rechtsanwalt, der von dem Mandanten eines regresspflichtigen Steuerberaters - nicht wegen der Regressfrage - beauftragt worden ist, auf Grund einer nebenvertraglichen Warn- oder Hinweispflicht auf den möglichen Regress gegen den Steuerberater aufmerksam zu machen, lässt dies die Sekundärhinweispflicht des Steuerberaters nicht entfallenb) Belehrt der nicht wegen der Regressfrage beauftragte Rechtsanwalt den Mandanten darüber, es komme ein Regressanspruch gegen den zuvor beauftragten Steuerberater in Betracht, nicht aber über die kurze Verjährungsfrist, besteht insoweit die Sekundärhinweispflicht des Steuerberaters fort.«

Normenkette:

StBerG § 68 (a.F.) ;

Tatbestand:

Der Kläger ist der Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des W. F. (fortan: Schuldner). Dieser betrieb eine Leiharbeitsfirma. Der Beklagte war sein Steuerberater. Nach dem Vortrag des Klägers beriet ein Mitarbeiter des Beklagten Anfang der 90er Jahre den Schuldner dahin, er könne die auf die Auslösung (Verpflegungskostenpauschale, Kilometergeld, Unterbringungskosten) für seine Arbeitskräfte entfallende Umsatzsteuer als Vorsteuer behandeln. Die entsprechende Handhabung wurde vom Finanzamt nicht anerkannt und führte zu Umsatzsteuernachforderungen für die Jahre 1991 bis 1994. Der Schuldner setzte sich gegen die Festsetzungsbescheide vom 27. Januar 1997 zunächst mit Einspruch und Klage zur Wehr, wobei er durch die Streithelferin des Klägers vertreten wurde, nahm die Klage dann jedoch zurück.

Mit der am 19. Oktober 2001 eingereichten und alsbald zugestellten Klage nimmt der Kläger den Beklagten auf Ersatz des Steuerschadens für das Jahr 1991 in Höhe von 32.751,24 EUR (= 64.055,85 DM) nebst Zinsen in Anspruch. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Dagegen wendet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Verjährungsfrist für den primären Schadensersatzanspruch wegen Schlechterfüllung des Steuerberatermandats (§ 68 StBerG in der bis zum 14. Dezember 2004 geltenden Fassung) habe mit der Bekanntgabe der belastenden Steuerbescheide am 29. Januar 1997 begonnen und sei am 31. Januar 2000 abgelaufen. Ein sekundärer Ersatzanspruch wegen des unterlassenen Hinweises auf die Möglichkeit einer eigenen Haftung sei nicht gegeben, weil die Streithelferin bereits vor Ablauf der Primärverjährung den Schuldner anwaltlich beraten habe. Zwar sei die Streithelferin nur beauftragt gewesen, diesen vor dem Finanzgericht zu vertreten. Es habe ihr jedoch oblegen, den Schuldner umfassend - auch über etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten und deren Verjährung - zu beraten. Hiervon habe auch der Beklagte ausgehen können. Dass diesem nicht bekannt gewesen sei, ob die Streithelferin ihrer Obliegenheit genügt habe, sei unerheblich. Die Streithelferin habe nach ihrem eigenen Vorbringen über mehr Kompetenz verfügt als der Beklagte.

Unabhängig davon, dass der Schadensersatzanspruch verjährt sei, habe der Kläger auch einen Schaden weder dem Grunde noch der Höhe nach hinreichend schlüssig dargelegt.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwar ist der primäre Schadensersatzanspruch - was von der Revision nicht bezweifelt wird - verjährt. Das Berufungsgericht hat jedoch die Verletzung einer sekundären Hinweispflicht des Beklagten zu Unrecht verneint.

1. Hat der Steuerberater vor Ablauf der Verjährung des Primäranspruchs begründeten Anlass zu prüfen, ob er seinen Auftraggeber durch einen Fehler geschädigt hat, und muss er dabei eine durch seinen Fehler eingetretene Schädigung erkennen, so entsteht die Verpflichtung, auf die Möglichkeit der eigenen Haftung sowie auf die kurze Verjährungsfrist des § 68 StBerG hinzuweisen. Diese sekundäre Pflicht ist verletzt, wenn der Steuerberater den gebotenen Hinweis vor Eintritt der Primärverjährung nicht erteilt hat. Versäumt der haftpflichtige Steuerberater dies schuldhaft, steht dem Geschädigten ein Sekundäranspruch zu, der sich darauf richtet, so gestellt zu werden, als wäre die Verjährung des primären Schadensersatzanspruchs nicht eingetreten (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 83, 17, 23, 26 f; 114, 150, 158; 129, 386, 391).

2. Zutreffend ist allerdings, dass die sekundäre Hinweispflicht schon dann entfällt, wenn der Mandant rechtzeitig wegen der Haftungsfrage einen Rechtsanwalt beauftragt; darauf, ob der regresspflichtige Steuerberater davon etwas weiß oder wissen muss, kommt es nicht an. Dies hat der Senat für die Anwaltshaftung entschieden (BGH, Urt. v. 12. Dezember 2002 - IX ZR 99/02, NJW 2003, 822 ); für die Steuerberaterhaftung kann nichts anderes gelten.

3. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch darin, dass jedwede spätere Einschaltung eines Rechtsanwalts die Sekundärhaftung entfallen lässt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dies vielmehr nur dann der Fall, wenn die Einschaltung gerade zu dem Zweck erfolgt ist, einen möglichen Regress zu prüfen (BGHZ 129, 386, 392; ebenso zu Anwaltshaftung BGH, Urt. v. 15. April 1999 - IX ZR 328/97, WM 1999, 1330 , 1335 f; v. 14. Dezember 2000 - IX ZR 332/99, NJW 2001, 826 , 828; v. 21. Juni 2001 - IX ZR 73/00, NJW 2001, 3543 , 3544, insofern in BGHZ 148, 156 ff nicht abgedr.; v. 12. Dezember 2002, aaO S. 823).

a) Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, war der Streithelferin des Klägers kein Auftrag erteilt worden, mögliche Regressansprüche gegen den Beklagten zu prüfen und den Schuldner insofern zu beraten. Vielmehr hatte sie allein den Auftrag, den Schuldner vor dem Finanzgericht zu vertreten. Auch bei einem derart eingeschränkten Mandat kann einen Rechtsanwalt die nebenvertragliche Warn- oder Hinweispflicht treffen, auf den möglichen Regress gegen den Steuerberater (oder - bei der Anwaltshaftung - gegen seinen Kollegen) und die kurze Verjährung eines solchen Regressanspruchs aufmerksam zu machen. Voraussetzung ist nur, dass die Gefahr der Verjährung ihm bekannt oder offenkundig, dem Auftraggeber jedoch möglicherweise unbekannt ist (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 1993 - IX ZR 101/92, NJW 1993, 2045 ; v. 13. März 1997 - IX ZR 81/96, NJW 1997, 2168 , 2169; v. 9. Juli 1998 - IX ZR 324/97, WM 1998, 2246, 2247). Insbesondere kann ein Rechtsanwalt, dem die Führung eines Rechtsstreits vor dem Finanzgericht übertragen worden ist, verpflichtet sein, für den Fall des negativen Ausgangs dieses Rechtsstreits das Bestehen von Regressansprüchen gegen den zuvor mit der Sache befassten Steuerberater in Betracht zu ziehen und zu prüfen, ob insoweit Verjährung droht (BGH, Urt. v. 29. April 1993 aaO).

b) Daraus hat das Berufungsgericht jedoch nicht gerechtfertigte Schlüsse gezogen. Die nebenvertragliche Hinweispflicht des Rechtsanwalts lässt die Sekundärhinweispflicht des regresspflichtigen Steuerberaters - oder Rechtsanwalts - nicht entfallen (ebenso Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts 7. Aufl. Rn. 1094; ähnlich Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung 3. Aufl. Rn. 921). Der Regressschuldner darf den Mandanten nicht darauf verweisen, er sei durch die nebenvertragliche Hinweispflicht des neu mandatierten Rechtsanwalts geschützt. Dieser Schutz ist nur gewährleistet, wenn der Rechtsanwalt auch und gerade wegen der Regressfrage mandatiert worden ist. Dann trifft ihn dieselbe Hinweis- und Warnpflicht wie den Regressschuldner. Ist der Rechtsanwalt nicht wegen der Regressfrage beauftragt worden, kann sich der Regressschuldner nicht darauf verlassen, dass jener die Gefahr erkennen wird. Auch sind die Voraussetzungen der Warnpflicht des eingeschränkt mandatierten Rechtsanwalts wesentlich enger als die Pflicht des Anwalts, über einen möglichen Regress gegen sich selbst wegen Verletzung seiner Mandatspflichten zu belehren (BGH, Urt. v. 15. April 1999 aaO). Zudem kann der Umfang der Pflichten verschieden weit reichen. So kann es zur Erfüllung der nebenvertraglichen Hinweispflicht ausreichen, dass der Rechtsanwalt den ersichtlich gutgläubigen Mandanten durch Hinweis auf einen möglicherweise bestehenden Regressanspruch gegen den Steuerberater problembewusst macht. Über die Verjährung dieses Anspruchs muss er erst dann belehren, wenn er erkennt oder für ihn offenkundig ist, dass die Verjährungsfrist abzulaufen droht, bevor der Mandant verjährungshemmende Schritte unternimmt.

Die Verantwortlichkeiten des Regressschuldners und des daneben oder danach - jedenfalls aber mit einer anderen Zielrichtung - eingeschalteten Rechtsanwalts unterscheiden sich auch deshalb, weil der zuerst Genannte die Gefahr heraufbeschworen hat, dass der Mandant aus Unkenntnis von der Pflichtverletzung und dem daraus entstandenen oder zumindest drohenden Schaden den Regressanspruch verjähren lässt und dadurch einen weiteren Schaden erleidet. Er ist deshalb "näher" an dem Schaden als der neu mandatierte Rechtsanwalt, der lediglich bei Gelegenheit der Wahrnehmung seines Mandats auf die Regressfrage stoßen kann. Das Bestehen nebenvertraglicher Pflichten des mit einer anderen Zielrichtung beauftragten Rechtsanwalts ist nur zu rechtfertigen, um einen Mandanten, der sonst in seinen Interessen in hohem Maße gefährdet wäre, vor dem Eintritt eines Schadens bewahren. Hat jedoch bereits der Regresspflichtige dafür zu sorgen, dass dem Mandanten nicht durch die Verjährung des Regressanspruchs ein weiterer Schaden erwächst, ist der Mandant - jedenfalls zunächst - nicht schutzlos. Zwar hat der Senat entschieden, der mit einem eingeschränkten Mandat ausgestattete Rechtsanwalt, der den Mandanten über eventuelle Ansprüche gegen einen regresspflichtigen Steuerberater belehren müsse, dürfe sich grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass gegen diesen ein Sekundäranspruch entstehe (BGH, Urt. v. 29. April 1993 aaO). Dies war seinerzeit jedoch darauf gestützt worden, dass der Rechtsanwalt auf Grund seines Informationsstandes nicht sicher überblicken konnte, ob ein Sekundäranspruch gegen den Steuerberater entstand.

Entfiele schon durch die Einschaltung eines eingeschränkt - unter Ausschluss der Regressfrage - mandatierten Rechtsanwalts die sekundäre Hinweispflicht des Regressschuldners, würde die Rechtsposition des Mandanten verschlechtert. Dieser müsste gegenüber dem Rechtsanwalt beweisen, dass diesem die Gefahr bekannt oder für ihn offensichtlich gewesen ist. Gegenüber dem Regressschuldner obläge ihm diese Beweisführungslast nicht. Eine derartige Verschlechterung der Rechtsposition des Geschädigten ist nicht zu rechtfertigen, solange dieser den Rechtsanwalt nicht gerade wegen der Regressfrage eingeschaltet hat.

c) Im vorliegenden Fall hat die Streithelferin allerdings - außerhalb des ihr erteilten Mandats - den Schuldner tatsächlich über die Möglichkeit belehrt, es komme ein Regressanspruch gegen den Beklagten in Betracht. Die Belehrung erstreckte sich jedoch nicht zugleich auf die kurze Verjährungsfrist. Insoweit bestand die Sekundärhinweispflicht des Beklagten fort, weil der Mandant hinsichtlich der Verjährungsfrist weiterhin belehrungsbedürftig war (Gräfe/Lenzen/Schmeer, aaO; vgl. ferner für die Anwaltshaftung BGH, Urt. v. 11. Juli 1985 - IX ZR 11/85, WM 1985, 1035, 1038; Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung 1999 Rn. 1285). Der Beklagte musste auch von der fortbestehenden Belehrungsbedürftigkeit ausgehen, solange er selbst den Mandanten nicht belehrt hatte und nicht etwa aus einer Mitteilung der Streithelferin entnehmen konnte, diese sei auch wegen der Regressfrage mandatiert oder sie habe, ohne entsprechenden Auftrag, den Schuldner doch vollständig und richtig über die Regressfrage unterrichtet. Etwas Derartiges hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat im Gegenteil angenommen, dem Beklagten sei "nicht ausdrücklich bekannt" gewesen, dass der Schuldner "von der ... Streithelferin umfassend aufgeklärt war". Außerdem hat die Streitverkündete nach ihrem unter Beweis gestellten Sachvortrag seinerzeit den Beklagten lediglich darauf hingewiesen, dieser möge seine eigene Belehrungspflicht gegenüber dem Mandanten erfüllen. Danach bestand für den Beklagten kein Anlass zu der Annahme, weitergehende Hinweise von seiner Seite seien nicht mehr erforderlich.

Der von dem Berufungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die Streithelferin nach ihrem eigenen Vorbringen "betreffend die hier in Rede stehende Problematik" über mehr Kompetenz verfüge als der Beklagte, ist unerheblich. Die Sachkunde des Beklagten reichte jedenfalls aus, um die Möglichkeit einer eigenen Haftung zu erkennen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist er darüber hinaus sogar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass er sich möglicherweise schadensersatzpflichtig gemacht habe und deshalb seinem Haftpflichtversicherer Mitteilung machen solle.

Falls es - wofür es bisher keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt - auch der Streithelferin zum Verschulden gereichen sollte, den Schuldner nicht vollständig, weil unter Ausklammerung des Verjährungsproblems, ins Bild gesetzt zu haben, könnte der Beklagte daraus nichts für sich herleiten. Es läge dann ein Fall der sogenannten Doppelkausalität vor. Den Verjährungsschaden hätten dann sowohl der Schuldner als auch die Streithelferin verursacht, wobei jeder der Beiträge auch allein für den Schaden kausal wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urt. v. 7. Mai 2004 - V ZR 77/03, NJW 2004, 2526 , 2528; v. 7. April 2005 - IX ZR 132/01, WM 2005, 1812 , 1813).

III. Derzeit lässt sich die Abweisung der Klage auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, der Kläger habe einen Schaden weder dem Grunde noch der Höhe nach schlüssig dargelegt.

Die Revision rügt mit Recht, dass diese Annahme des Berufungsgerichts einer Begründung entbehrt (§ 547 Nr. 6 , § 313 Abs. 3 ZPO ). Es hat zu der angeblich fehlenden Schlüssigkeit weder tatsächliche Feststellungen getroffen noch seine Rechtsauffassung erläutert. Damit kann das Berufungsurteil insoweit von den Parteien nicht nachvollzogen werden. Außerdem ist die Schlüssigkeit des Klagevorbringens zum Schaden in erster Instanz - in der Berufungsinstanz sind die Parteien darauf nicht mehr eingegangen, weil sie sich auf die Verjährung konzentriert haben - kontrovers diskutiert worden. Darauf hätte das Berufungsgericht, wenn es hierauf seinen Spruch selbständig stützen wollte, eingehen müssen.

IV. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Zur neuen Verhandlung und Entscheidung ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO ).

Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 15.08.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 14 U 57/02
Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 25.02.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 17 O 1910/01
Fundstellen
BGHReport 2006, 1099
DB 2007, 796
DStRE 2007, 391
MDR 2006, 1138
NJW 2006, 2635
WM 2006, 1450