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BGH - Entscheidung vom 24.01.2006

X ARZ 446/05

Normen:
InsO § 3 Abs. 1 S. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 § 281

BGH, Beschluß vom 24.01.2006 - Aktenzeichen X ARZ 446/05

DRsp Nr. 2006/6307

Örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts

1. Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 InsO ist die örtliche Zuständigkeit für die Durchführung des Insolvenzverfahrens das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.2. Wird der alte Geschäftsführer abberufen, ein neuer Geschäftsführer bestellt und beantragt dieser die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Verweisung an das für seinen Wohnsitz örtlich zuständige Insolvenzgericht, so hat das angerufene Insolvenzgericht seine Zuständigkeit sorgfältig zu prüfen und dabei auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Betracht zu ziehen, wonach ein die örtliche Zuständigkeit an den Wohnsitz des Geschäftsführers der GmbH anknüpfender Verweisungsbeschluss willkürlich und deshalb nicht bindend ist, wenn es sich um einen Fall einer sog. "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" handelt, wenn es sich nicht dem Vorwurf der Willkür aussetzen will.

Normenkette:

InsO § 3 Abs. 1 S. 1 ; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 § 281 ;

Gründe:

Die Schuldnerin ist eine GmbH mit Sitz in H.. Für sie wurde mit Wirkung vom 21. Juli 2005 ein neuer Geschäftsführer bestellt, der für die Schuldnerin mit Antrag vom 16. August 2005 Insolvenzantrag gestellt hat und gleichzeitig beantragt hat, das Verfahren an das für den Wohnsitz des - neuen - Geschäftsführers örtlich zuständige Insolvenzgericht B. zu verweisen. Zur Begründung hat die Schuldnerin ausgeführt, sie habe den Geschäftsbetrieb eingestellt, die Geschäftsräume in E. im Bezirk des Amtsgerichts H. aufgegeben und die Geschäftsunterlagen nach B. verbracht, um dort unter Einschaltung einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft prüfen zu lassen, ob ein Fortbestand möglich sei, und andernfalls die Abwicklung unter Einschluss eines Insolvenzverfahrens vorzunehmen.

Das Amtsgericht H. hat sich mit Beschluss vom 19. August 2005 für örtlich unzuständig erklärt und das Insolvenzverfahren an das Amtsgericht B. verwiesen.

Das Amtsgericht B. hat sich mit Beschluss vom 26. August 2005 für örtlich nicht zuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorgelegt.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe möchte das Amtsgericht B. als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran jedoch durch Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (BayObLG NJW-RR 2004, 986 ; OLG Celle NZI 2004, 258 , 259; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184, 186; OLG Schleswig NZI 2004, 264 ) gehindert. Es hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

II. Die Vorlage ist zulässig (§ 36 Abs. 3 ZPO ).

Das Oberlandesgericht Karlsruhe würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Celle, Stuttgart, Schleswig und des Bayerischen Obersten Landesgerichts setzen. Diese haben entschieden, dass ein die örtliche Zuständigkeit an den Wohnsitz des Geschäftsführers der GmbH anknüpfender Verweisungsbeschluss willkürlich und deshalb nicht bindend sei, wenn eine Veräußerung der Geschäftsanteile und die Abberufung des alten sowie die Ernennung des neuen Geschäftsführers in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Stellung des Insolvenzantrags stünden und das Verfahren damit das Gepräge einer "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" habe. In solchen Fällen komme für die Durchführung des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, bei dem der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz habe, nicht in Betracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung handele. Das vorlegende Oberlandesgericht Karlsruhe hält hingegen eine solche Verweisung für jedenfalls nicht willkürlich.

III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht H..

1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht H. wie das Amtsgericht B. haben sich durch einen gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt.

2. Das Amtsgericht H. ist für das vorliegende Insolvenzverfahren zuständig.

Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO . Nach dieser Vorschrift ist örtlich zuständig das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist das Amtsgericht H., weil die GmbH dort ihren Sitz hat, § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an welches verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338 , 340; Sen.Beschl. v. 22.06.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993, 2810 ). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ 71, 69 , 72 f.; Sen.Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498 ). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Amtsgericht H. hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung eines Rechtsstreits gemäß § 4 InsO , § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Eine Verweisung kommt nur in Betracht, wenn bei dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, kein Gerichtsstand eröffnet ist (Sen.Beschl. v. 10.09.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 , 3635). Das Amtsgericht H. hat zur Begründung seines Verweisungsbeschlusses lediglich auf die Angaben des Geschäftsführers der Schuldnerin in dessen Verweisungsantrag Bezug genommen. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht indes von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Gerade im Hinblick auf die oben unter II dargestellte Rechtsprechung hatte das Amtsgericht H. Veranlassung, erst nach sorgfältiger Prüfung entgegen der Zuständigkeitsregelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO seine örtliche Zuständigkeit zu verneinen. Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach bei ihm kein Gerichtsstand eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.

Das Amtsgericht H. hat demnach den Rechtsstreit nicht wirksam an das Amtsgericht B. verwiesen.

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 29.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 15 AR 47/05