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BGH - Entscheidung vom 29.06.2006

I ZR 171/03

Normen:
UWG § 4 Nr. 11
VerpackV § 6

Fundstellen:
BGHReport 2007, 165
GRUR 2007, 162
NJW-RR 2007, 335
NVwZ 2007, 615
ZUR 2007, 159
wrp 2007, 177

BGH, Urteil vom 29.06.2006 - Aktenzeichen I ZR 171/03

DRsp Nr. 2006/30325

Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft

»a) § 6 VerpackV stellt eine Marktverhaltensregelung i.S. von § 4 Nr. 11 UWG dar.b) Im Rahmen von Entsorgergemeinschaften konnte auch schon vor der Änderung der Verpackungsverordnung im Januar 2006 ein Mengenausgleich - also die Anrechnung der Übererfüllung durch einen Teilnehmer zugunsten eines anderen Teilnehmers, der die vorgegebenen Rücknahme- und Verwertungsquoten nicht erreicht - erfolgen.«

Normenkette:

UWG § 4 Nr. 11 ; VerpackV § 6 ;

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt seit 1992/93 das bislang in Deutschland einzige Erfassungs- und Verwertungssystem für gebrauchte Verkaufsverpackungen i.S. von § 6 Abs. 3 VerpackV (Duales System). Die Beklagte bietet seit 1999 Entsorgungsdienstleistungen auf der Grundlage der Verpackungsverordnung an.

Nach Inkrafttreten der novellierten Fassung der Verordnung am 28. August 1998 erweiterte die Beklagte ihr Angebot auf Dienstleistungen in Bezug auf quotenpflichtige Verkaufsverpackungen i.S. von § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV . Nach dem Geschäftsmodell, das seit dem Jahr 2000 betrieben wird, erbringt die Beklagte über Entsorgungspartner die operativen Entsorgungsdienstleistungen an den jeweiligen Anfallstellen. Die Beklagte erfüllt die verpackungsrechtlichen Rücknahme- und Verwertungsanforderungen für die an ihrem System beteiligten Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen und dokumentiert dies. Dabei wird innerhalb der Selbstentsorgergemeinschaft ein Mengenausgleich vorgenommen, d.h. die Übererfüllung durch einen Teilnehmer wird zugunsten eines anderen Teilnehmers angerechnet, der die im Anhang I (zu § 6 VerpackV ) Nr. 1 vorgegebenen Rücknahme- und Verwertungsquoten nicht erreicht.

Die rechtliche Zulässigkeit eines solchen Mengenausgleichs war umstritten. Sie war mehrfach Gegenstand von Stellungnahmen und Vermerken des Bundesumweltministeriums, der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) bzw. des Ausschusses Produktverantwortung und Rücknahmepflicht (APV) dieser Arbeitsgemeinschaft sowie einzelner Landesministerien.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Mengenausgleich verstoße gegen § 6 VerpackV ; zugleich liege ein Wettbewerbsverstoß vor. Sie hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen eine "Erfassungs- und Verwertungsgemeinschaft" einzurichten und/oder zu betreiben, die zur vertraglichen Grundlage hat, dass die gemäß § 6 Abs. 1 VerpackV i.V. mit dem Anhang I zu § 6 vorgeschriebenen Quoten, die einzelne Hersteller und Vertreiber, die sich an der Erfassungs- und Verwertungsgemeinschaft der Beklagten beteiligen, dadurch nicht erreichen, dass private Endverbraucher die Verkaufsverpackungen in ihren Geschäftsräumen oder in deren unmittelbarer Nähe zurückgeben, durch solche Verkaufsverpackungen erfüllt werden, die bei anderen Herstellern und Vertreibern, die sich an der Erfassungs- und Verwertungsgemeinschaft der Beklagten beteiligen, erfasst werden;

2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Ziffer 1 genannten Handlungen vorgenommen hat, und zwar unter Angabe der erzielten Umsätze sowie der Hersteller und Vertreiber, die sich an ihrem System beteiligt haben;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziffer 1 genannten Handlungen bisher entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, die Verpackungsverordnung lasse einen Mengenausgleich im Rahmen von Selbstentsorgergemeinschaften zu. Aber auch wenn ein Verstoß gegen die Verpackungsverordnung vorläge, stünden der Klägerin keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche zu, da die Verpackungsverordnung keine Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs habe. Hinzu komme, dass ihr die Gesetzeskonformität durch die sachlich mit der Materie befassten Behörden bestätigt worden sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen (OLG Köln GRUR 2004, 166 und 793). Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision hat die Klägerin ihren Klageantrag zunächst in vollem Umfang weiterverfolgt. Im Hinblick darauf, dass der Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaften durch eine am 7. Januar 2006 in Kraft getretene Änderung der Verpackungsverordnung ausdrücklich für zulässig erklärt worden ist, hat sie den Unterlassungsantrag sowie die weiteren Anträge für die Zeit ab dem 7. Januar 2006 in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte, die sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, beantragt, Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat einen Wettbewerbsverstoß der Beklagten verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Das von der Beklagten angebotene Selbstentsorgersystem, durch das ein Mengenausgleich ermöglicht werde, verstoße an sich gegen die Vorschriften der Verpackungsverordnung , die die Möglichkeit eines Mengenausgleichs nur im Rahmen eines flächendeckenden Systems i.S. von § 6 Abs. 3 VerpackV , nicht aber für Selbstentsorgergemeinschaften vorsehe. Allerdings begegne eine solche Auslegung der Verpackungsverordnung verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie auf einen Konkurrentenschutz zugunsten dualer Systeme i.S. von § 6 Abs. 3 VerpackV hinauslaufe. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit könne aber offen bleiben. Denn die Geschäftstätigkeit der Beklagten könne in keinem Fall als unlauter i.S. von § 1 UWG (a.F.) angesehen werden, weil den Bestimmungen der Verpackungsverordnung keine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion zukomme. Darüber hinaus habe sich die Beklagte auf die Prüfung und Billigung ihres Systems durch die zuständigen Behörden berufen können.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg. Der von der Beklagten angekündigte und praktizierte Mengenausgleich war auch nach altem Recht, also vor der am 7. Januar 2006 in Kraft getretenen Änderung der Verpackungsverordnung , nicht zu beanstanden.

1. Allerdings wendet sich die Revision mit Erfolg gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Verpackungsverordnung komme keine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs gerichtete Schutzfunktion zu.

a) Ein Verstoß gegen Normen außerhalb des UWG ist nur dann sittenwidrig i.S. von § 1 UWG a.F., wenn die Norm zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs hat (vgl. BGHZ 144, 255 , 267 - Abgasemissionen). Dem entspricht inhaltlich die Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG , die an die Rechtsprechung des Senats zu § 1 UWG a.F. anknüpft (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/1487, S. 19, sowie Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 4 UWG Rdn. 11.5). Die verletzte Norm muss somit (zumindest auch) die Funktion haben, das Marktverhalten zu regeln und auf diese Weise gleiche Voraussetzungen für die auf diesem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stellt § 6 VerpackV eine Marktverhaltensregelung dar. Der Marktbezug ergibt sich zwar nicht aus der in § 1 VerpackV geregelten unmittelbaren Zielsetzung, da die Belange des Umweltschutzes für sich genommen wettbewerbsneutral sind (vgl. BGHZ 144, 255 , 267 f. - Abgasemissionen; Ullmann, GRUR 2003, 817, 822). Die in § 6 VerpackV geregelten Rücknahme- und Verwertungspflichten wirken sich jedoch deutlich auf das Verhalten der Hersteller und Vertreiber auf dem Absatzmarkt aus. Die Verpackungsverordnung hält Hersteller und Vertreiber dazu an, Verpackungen möglichst vollständig zu vermeiden (vgl. § 1 Abs. 1 VerpackV ) oder - wenn sie als Selbstentsorger tätig werden - Vorkehrungen zu treffen, um einen Teil der Verkaufsverpackungen von den Kunden zurückzuerhalten. Nachdem mit der Novelle der Verpackungsverordnung im Jahre 1998 ausdrücklich auch das Ziel der Herstellung der Wettbewerbsgleichheit zwischen dem dualen System und den Selbstentsorgern verfolgt wurde (vgl. BT-Drucks. 13/10943, S. 20), weist die Bestimmung zumindest im Verhältnis zum Mitbewerber den erforderlichen Marktbezug auf (vgl. auch KG GRUR-RR 2005, 357 ; Köhler aaO. § 4 UWG Rdn. 11.154; v. Jagow in Harte/Henning, UWG , § 4 Nr. 11 Rdn. 131; Ullmann, GRUR 2003, 817, 822; offengelassen in OLG München OLG-Rep 2003, 279).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der von der Beklagten angebotene Mengenausgleich auch schon vor der Änderung der Verpackungsverordnung im Januar 2006 rechtmäßig.

a) Nach § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV besteht eine individuelle Pflicht der Hersteller und Vertreiber, Verkaufsverpackungen zurückzunehmen und einer den Anforderungen des Anhangs I entsprechenden Verwertung zuzuführen (vgl. auch die Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/10943, S. 20; Hendler, WiVerw 2004, 243, 246 ff.). Hierzu enthält § 6 Abs. 3 VerpackV eine Ausnahme, wenn sich der Hersteller oder Vertreiber an einem System beteiligt, das flächendeckend im Einzugsgebiet des nach Absatz 1 verpflichteten Vertreibers in ausreichender Weise eine regelmäßige Abholung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim privaten Endverbraucher oder in dessen Nähe gewährleistet. In diesem Falle ist es ausreichend, wenn das System insgesamt die Verwertungsquoten erfüllt (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VerpackV ).

b) Bereits vor der Änderung der Verpackungsverordnung im Januar 2006 konnten Hersteller und Vertreiber, die nicht an einem System nach § 6 Abs. 3 VerpackV beteiligt waren, bei der Erfüllung der ihnen durch § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV auferlegten Verpflichtungen zusammenwirken und sog. Selbstentsorgergemeinschaften bilden (Anhang I [zu § 6 VerpackV] Nr. 2 Abs. 1 Satz 5). Eine ausdrückliche Regelung, die für Selbstentsorgergemeinschaften ebenso wie für ein System nach § 6 Abs. 3 VerpackV den Mengenausgleich zuließ, enthielt die Verpackungsverordnung indessen nicht; eine solche ist erst durch die Änderung der Verordnung im Januar 2006 eingefügt worden (Anhang I [zu § 6 VerpackV] Nr. 2 Abs. 1 Satz 7). Ein Mengenausgleich innerhalb einer ordnungsgemäß durchgeführten Selbstentsorgergemeinschaft war - ohne ausdrückliches Verbot - aber bereits vor der Änderung der Verpackungsverordnung im Jahre 2006 zulässig. Dieses Verständnis gebieten Sinn und Zweck der Verpackungsverordnung und das darin zugelassene System der Selbstentsorgergemeinschaft.

Die Verpackungsverordnung stellt auf die Erfüllung einer auf die Gesamtmenge des Verpackungsabfalls bezogenen Rücknahme- und Verwertungsquote ab. Es wird eine auf die Gesamtmenge des Verpackungsabfalls und nicht auf die Menge des Abfalls des Einzelnen bezogene Quote verlangt. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sowie die Verpackungsverordnung sind entsprechend der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle vom 20. Dezember 1994 (ABl. Nr. L 365, S. 10) auf das Erreichen und die Steigerung bestimmter Quoten des Gesamtabfalls angelegt. Es wird nicht verlangt, dass der einzelne Verursacher von Verpackungsmüll im Gesamtsystem die Rücknahme- und Verwertungsquote erreicht.

Dem entspricht auch die Bedeutung der Regelung im Anhang I (zu § 6 VerpackV ) Nr. 2 Abs. 1 Satz 5, nach der mehrere Hersteller und Vertreiber zusammenwirken können, um den Nachweis über die Erfüllung der Rücknahme- und Verwertungsanforderungen zu führen. Ein Verständnis dieser Bestimmung, wonach das Zusammenwirken allein auf die Erfüllung der Dokumentationspflicht beschränkt sei, führt nicht zu der vom Verordnungsgeber angestrebten Effizienzsteigerung (vgl. Hendler, WiVerw 2004, 243, 248). Auch die Begründung des Entwurfs der Verpackungsverordnung 1998 gibt für ein Verbot keine Handhabe: Dort ist zwar die Rede davon, dass für die sog. Selbstentsorger die Anforderungen an die Nachweisführung konkretisiert würden und dass zur Erfüllung dieser Vorgaben Kooperationen möglich seien. Weiter heißt es dann aber, dass ein Zusammenwirken eine Erleichterung für kleinere Unternehmen auch im Hinblick auf die Erfüllung der Dokumentationspflicht bewirke.

c) Schließlich spricht der wettbewerbspolitische Sinn und Zweck der Verpackungsverordnung dafür, dass der Mengenausgleich auch für Selbstentsorgergemeinschaften schon vor der Änderung der Verordnung im Januar 2006 zulässig war. Zwar verweist das Berufungsgericht mit Recht darauf, dass das mit der Verpackungsverordnung 1998 verfolgte Ziel, den Wettbewerb verstärkt zu fördern (vgl. BT-Drucks. 13/10943, S. 20), vor allem darauf gerichtet war, auch den Selbstentsorgern die Verwertungsquoten aufzuerlegen, die in der Vergangenheit bereits für ein System nach § 6 Abs. 3 VerpackV galten. Die Regelung, wonach Selbstentsorgergemeinschaften denselben Pflichten unterliegen wie das duale System, rechtfertigt indessen nicht die Annahme, dem Verordnungsgeber sei es um eine Benachteiligung der Selbstentsorgergemeinschaften gegenüber dem dualen System gegangen. Denn das Verbot des Mengenausgleichs stünde einer effizienten Erfüllung der Verpflichtungen entgegen, die den Herstellern und Vertreibern nach § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV auferlegt sind. Die Verpackungsverordnung sieht in § 11 ausdrücklich vor, dass sich Hersteller und Vertreiber zur Erfüllung der ihnen auferlegten Pflichten Dritter bedienen und zu diesem Zweck Selbstentsorgergemeinschaften bilden können. Wäre der Mengenausgleich ausgeschlossen, wären die Selbstentsorgergemeinschaften dem dualen System deutlich unterlegen, das die Verwertungsquote nur für die gesamte Menge der gesammelten Verpackungen erfüllen muss. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber mit der Behauptung, den Wettbewerb verstärken und fördern zu wollen, dem dualen System einen strukturellen Vorteil hatte gewähren wollen, aufgrund dessen eine Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV ergebenden Pflichten durch eine Selbstentsorgergemeinschaft weitgehend unattraktiv geworden wäre.

III. Der Unterlassungsantrag, hinsichtlich dessen die Klägerin die Hauptsache für erledigt erklärt hat, war somit von Anfang an unbegründet. Daher kommt eine Feststellung, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, nicht in Betracht. Auch mit den weiteren Anträgen ist die Klage von den Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: OLG Köln, vom 27.06.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 213/02
Vorinstanz: LG Köln, vom 28.11.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 31 O 292/02
Fundstellen
BGHReport 2007, 165
GRUR 2007, 162
NJW-RR 2007, 335
NVwZ 2007, 615
ZUR 2007, 159
wrp 2007, 177