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BGH - Entscheidung vom 16.02.2006

III ZR 68/05

Normen:
BGB § 823
Nieders. WasserG § 84

Fundstellen:
BGHReport 2006, 647
BauR 2006, 1283
DVBl 2006, 767
NVwZ-RR 2006, 469
NuR 2006, 594
UPR 2006, 303
VersR 2006, 665

BGH, Urteil vom 16.02.2006 - Aktenzeichen III ZR 68/05

DRsp Nr. 2006/7404

Haftung des Betreibers eines Stauwehrs für Schäden bei Hochwasser

»Zu den Sorgfaltspflichten des Betreibers einer Stauanlage bei Hochwasser.«

Normenkette:

BGB § 823 ; Nieders. WasserG § 84 ;

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt in R. in der M. Straße einen Einzelhandel für Büroartikel und eine Druckerei. Ca. 50 m nördlich unterquert der sogenannte M., ein Arm der Wiedau, die M. Straße. Unmittelbar an dem Brückenbauwerk befindet sich ein zu einer Wassermühle des Beklagten gehörendes bewegliches Stauwehr. Das Sommerstauziel hierfür ist seit einer Entscheidung des Kreisausschusses des Kreises R. vom 29. September 1921 auf 19,35 m über NN festgesetzt.

In den Tagen vor dem 17. Juli 2002 kam es Norddeutschland zu ergiebigen Regenfällen. Weitere Niederschläge vom 18. und 19. Juli 2002 bewirkten unter im Einzelnen streitigen Umständen eine Überschwemmung großer Teile der M. Straße, durch die auch das Hausgrundstück der Klägerin überflutet wurde. Für ihren auf 361.237,60 EUR bezifferten Schaden macht die Klägerin den Beklagten verantwortlich. Sie hat vorgetragen, er habe das Stauwehr nicht, wie erforderlich, bereits am 17. Juli 2002, als das Sommerstauziel überschritten worden sei, oder zumindest in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2002 vollständig geöffnet, sondern erst am 19. Juli 2002 gegen 12.30 Uhr. Hierdurch bedingt habe sich das Wasser oberhalb des Wehrs und in der M. Straße bis zu einem Wasserstand von 20,48 m über NN aufgestaut. Hätte der Beklagte demgegenüber sein Stauwehr rechtzeitig geöffnet, wäre die festgesetzte Stauhöhe nicht überschritten und die Überschwemmung vermieden worden.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat. Eine Haftung lasse sich nur begründen, wenn der Beklagte als Staurechtsinhaber seiner Verpflichtung, die Wehrklappen rechtzeitig im Falle einer Überschwemmungsgefahr zu öffnen, nicht nachgekommen sei. Es lasse sich jedoch unabhängig von einer etwaigen objektiven Pflichtwidrigkeit jedenfalls nicht feststellen, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine Hochwassergefahr für das Stadtgebiet habe erkennen können und ob er dann noch eine Überschwemmung durch vollständiges Niederlegen des Wehrs hätte vermeiden können. Eine Beobachtungspflicht hinsichtlich der Hochwassergefahr habe jedenfalls nicht ihm, sondern dem Landkreis obgelegen. Der Beklagte sei nur verpflichtet gewesen, Gefahren abzuwenden, die er selbst an Ort und Stelle habe erkennen können. Alles andere sei in den administrativen Bereich gefallen, so dass eine prophylaktische Öffnung des Wehrs von ihm nicht habe erwartet werden können.

Das Sommerstauziel spiele bezüglich der Hochwassergefahr keine Rolle. Die Staumarke habe nicht die Funktion eines Hochwasserschutzes, sondern solle einen Ausgleich zwischen den Interessen des Beklagten als des Betreibers der Wassermühle (der einen möglichst großen Wasservorrat, also eine möglichst hohe Staumarke, besitzen wolle) und denen der Oberlieger (deren Wiesen nicht zu feucht werden sollten) sowie der Unterlieger (die auf einen ausreichenden Wasserzufluss angewiesen seien) herbeiführen. Aus einer Überschreitung der Stauhöhe könne die Klägerin deshalb als nicht zu dem durch das Stauziel geschützten Personenkreis gehörende Geschädigte nichts herleiten. Es komme daher auch nicht darauf an, wann der Beklagte oder sonst jemand die Haltung des Stauziels letztmals kontrolliert habe.

Der Beklagte sei außerdem nicht etwa verpflichtet gewesen, sich Kenntnis über die Pegelstände zu verschaffen, um eine Hochwassergefahr zu klären. Denn die Gefahrenabwehr und damit auch der Hochwasserschutz habe dem Landkreis oblegen. Im Übrigen hätte die bloße Kenntnis der Pegelstände auch nicht ausgereicht. Der Beklagte hätte sich vielmehr zusätzlich über die Situation in den Überschwemmungsgebieten der Rodau und der Wiedau informieren und die Frage der Wassersättigung beurteilen müssen. Die Klärung dieser Fragen sei aber in den administrativen Bereich des Landkreises gefallen, der gerade keine Veranlassung gesehen habe, dem Beklagten nach § 84 des Niedersächsischen Wassergesetzes ( NWG ) aufzugeben, die beweglichen Teile der Stauanlage zu öffnen, um das aufgestaute Wasser unter die Höhe der Staumarke zu senken.

II. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Im Ansatz zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten - nur - unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrssicherungspflichtverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB ) geprüft, auch soweit es um die Einhaltung der festgesetzten Stauhöhe geht.

a) Die dem jetzigen Niedersächsischen Wassergesetz vorausgegangenen gesetzlichen Regelungen in § 101 des Preußischen Wassergesetzes (PrWG) hatten zwar noch ausdrückliche Vorschriften über das Stauziel enthalten. Danach durfte das Wasser bei Stauanlagen nicht über die durch die Staumarke festgesetzte Höhe aufgestaut werden (Absatz 1). Sobald das Wasser über diese Höhe wuchs, hatte der Unternehmer durch Öffnen der beweglichen Teile der Stauanlage und durch Wegräumen aller Hindernisse (Treibzeug, Eis, Geschiebe und dergleichen) den Abfluss des Wassers ohne Anspruch auf Entschädigung sogleich und unausgesetzt so lange zu befördern, bis das Wasser wieder auf die Höhe der Staumarke gesunken war (Absatz 2 Satz 1). Diese Vorschriften wurden allgemein als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstanden (Bergdolt, Preußisches Wasserrecht, 1957, Anm. zu § 101; Holtz/Kreutz/Schlegelberger, Das Preußische Wassergesetz, 3./4. Aufl. unveränderter Nachdruck 1955, § 101 Anm. 5; Wulff, Wassergesetz, 2. Aufl. 1928, § 101 Anm. 1; entsprechend zu der ähnlichen Bestimmung des Art. 31 BayWG : BayObLGZ 1980, 65, 70; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, BayWG , Stand Juni 1995, Art. 31 Rn. 35; zu § 41 Abs. 1 HessWG a.F.: Becker, HessWG, 3. Aufl. 1997, § 41 Rn. 1; s. auch Senatsurteil vom 11. November 2004 - III ZR 200/03 - NVwZ-RR 2005, 149 , 151). Sie sind mit diesem Inhalt aber nicht in das niedersächsische Wasserrecht übernommen worden; lediglich das in § 101 Abs. 2 Satz 2 PrWG normierte, hier nicht unmittelbar einschlägige Eingriffsrecht der Wasserpolizeibehörde bei Hochwasser entspricht dem heutigen § 84 NWG .

b) Eine gesetzliche Verpflichtung zum Hochwasserschutz bei Einwirkungen auf ein Gewässer enthält seit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes ( WHG ) vom 11. November 1996 (BGBl. I S. 1690) allerdings § 1a Abs. 2 WHG . Danach ist jedermann verpflichtet, bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um (unter anderem) eine Vergrößerung und Beschleunigung des Wasserabflusses zu vermeiden. Wegen ihrer gemeinwohlbezogenen Zielrichtung und ihres pauschalen Charakters ist diese Regelung jedoch nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen (Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 165; Czychowski/Reinhardt, WHG , 8. Aufl. 2003, § 1a Rn. 24; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG , Stand September 2002, § 1a Rn. 22).

c) Ob § 313 StGB als Schutzgesetz gilt, wie die Revision meint, kann offen bleiben. Aus dem dort normierten, ebenfalls allgemein gefassten Verbot, Überschwemmungen herbeizuführen, ergäben sich jedenfalls keine über die zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht hinausgehenden Handlungspflichten.

2. Wer in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (Senatsurteil BGHZ 121, 367 , 375; BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - NJW-RR 2003, 1459 ; Urteil vom 3. Februar 2004 - VI ZR 95/03 - NJW 2004, 1449 , 1450; Urteil vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 33/05 - Rn. 11; Senatsurteil vom 2. Februar 2006 - III ZR 159/05 - zur Veröffentlichung vorgesehen; jeweils m.w.N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher, dass sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH, Urteile vom 15. Juli 2003 aaO. S. 1459 f.; vom 3. Februar 2004 aaO. und vom 20. Dezember 2005 aaO.).

3. a) Diese Grundsätze gelten - auch mit Rücksicht auf das erwähnte, für jedermann geltende Gebot des Hochwasserschutzes bei Einwirkungen auf Gewässer nach § 1a Abs. 2 WHG (dazu näher Breuer, aaO., Rn. 164 f.; Czychowski/Reinhardt, aaO., § 1a Rn. 16 ff.) - ebenso für den den Wasserabfluss behindernden und dadurch insbesondere bei Hochwasser Dritte gefährdenden Betrieb einer Stauanlage. Dabei besteht ein Gebot, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, zumindest dann, wenn die Grenzen des bestehenden Staurechts überschritten sind und der Betreiber sich deshalb auf keine geschützten Eigeninteressen mehr stützen kann. Das ist spätestens mit dem Zeitpunkt der Fall, in dem der Wasserstand die zulässige Stauhöhe übersteigt. Der Stauberechtigte hat daher auch ohne behördliche Weisung von sich aus einzugreifen und das Wehr in dem notwendigen Umfang zu öffnen oder sonstige Abflusshindernisse zu beseitigen, sobald das Hochwasser die obere Staumarke erreicht und weiter zu steigen droht. Dass das Niedersächsische Wassergesetz auf eine entsprechende ausdrückliche Regelung wie in § 101 Abs. 2 Satz 1 PrWG verzichtet, ist ohne Bedeutung. Eine dahingehende Handlungspflicht des Betreibers ist auch beim Fehlen einer besonderen gesetzlichen Vorschrift Inhalt des Staurechts selbst. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt sich der Schutzbereich dieser Verpflichtung auch nicht auf die Ober- und Unterlieger des Gewässers, sondern schließt wie allgemein die Verkehrssicherungspflichten grundsätzlich jeden durch den gefährlichen Zustand beeinträchtigten Dritten ein. Dazu gehört hier die Klägerin mit ihrem im Hochwasserbereich gelegenen Gewerbebetrieb.

b) Darüber hinaus kann es entgegen dem Berufungsgericht für den Betreiber eines Stauwehrs aber auch geboten sein, bereits vorsorglich bei drohendem Hochwasser Schutzvorkehrungen zu treffen und die beweglichen Teile seiner Stauanlage zu öffnen. Die Ausübung des Staurechts ist aus Gründen des Gemeinwohls von vornherein mit der Pflicht zu schadensverhütenden oder -vorbeugenden Maßnahmen belastet (Reffken in Haupt/Reffken/Rhode, NWG , Stand Juni 1999, § 84 Rn. 3). § 84 NWG enthält insoweit zwar nur eine Ermächtigung für wasserbehördliche Anordnungen gegenüber dem Unternehmer. Das ist im Kern jedoch gleichzeitig ein privatrechtliches Gebot der Verkehrssicherung zum Schutze Dritter. Eine eigene Handlungspflicht des Inhabers setzt allerdings voraus, dass er nach seinen eigenen, regelmäßig beschränkten Erkenntnismöglichkeiten mit dem alsbaldigen Eintritt von Hochwasser rechnen muss. Hierzu braucht er, wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist, nicht selbst die Pegelstände im Einzugsbereich des Gewässers abzufragen und darauf gestützt eine eigene Hochwasserprognose zu treffen. Er darf sich jedoch andererseits allgemein oder ihm selbst zugänglichen Informationsquellen nicht verschließen und wird deshalb vor allem Hochwassermeldungen in den Medien sowie Geschwindigkeit und Maß des Wasseranstiegs an dem Stauwehr beobachten müssen. Drängt sich unter solchen Umständen die Gefahr eines Hochwassers und einer Überschwemmung im Bereich der Wehranlage auf, ist unabhängig von einem behördlichen Einschreiten ein Öffnen der Schütze oder Klappen in dem erforderlichen Umfang veranlasst, noch bevor der Wasserspiegel die zulässige Stauhöhe erreicht.

4. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht den Streitfall nicht geprüft. Sein Urteil kann darum nicht bestehen bleiben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen nachzuholen.

Vorinstanz: OLG Celle, vom 16.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 140/04
Vorinstanz: LG Verden, vom 06.07.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 564/02
Fundstellen
BGHReport 2006, 647
BauR 2006, 1283
DVBl 2006, 767
NVwZ-RR 2006, 469
NuR 2006, 594
UPR 2006, 303
VersR 2006, 665