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BGH - Entscheidung vom 23.02.2006

5 StR 416/05

Normen:
StPO § 261

BGH, Urteil vom 23.02.2006 - Aktenzeichen 5 StR 416/05

DRsp Nr. 2006/7477

Glaubhaftigkeit eines Belastungszeugen trotz widersprüchlicher Angaben

Widersprüchliche Angaben eines Belastungszeugen (hier: des Opfers eines Sexualstraftat) stehen der Annahme, die Aussage sei glaubhaft, nicht stets entgegen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin U. B., deren am 25. Juli 1987 geborener Tochter S. - der Nebenklägerin - und drei gemeinsamen Kindern im Familienverband. Er nahm dabei auch gegenüber S. die Vaterrolle wahr. Im Zeitraum vom 25. Juli 1997 bis April 2002 missbrauchte der Angeklagte die damals zehn- bis vierzehnjährige S. sexuell in einer Vielzahl von Fällen. Im Einzelnen hat das Landgericht folgende fünf Fälle festgestellt: Zwischen dem 25. Juli 1997 und dem 24. Juli 1998 streichelte der Angeklagte im Kinderzimmer die von ihm nackt ausgezogene S. an Brust und Geschlechtsteil und versuchte erfolglos, mit seinem erigierten Glied in die Scheide des Mädchens einzudringen. Zwischen dem 25. Juli 1997 und dem 24. Juli 1999 veranlasste der Angeklagte im Wohnzimmer S., an seinem Geschlechtsteil intensive Manipulationen vorzunehmen. Zwischen dem 25. Juli 1999 und dem 24. Juli 2001 entkleidete der Angeklagte im Badezimmer S. am Unterleib, beugte ihren Oberkörper nach vorn und veranlasste sie, sich mit den Händen nach vorn abzustützen. Er cremte den Afterbereich des Kindes mit Melkfett ein und drang mit seinem erigierten Glied in den After ein. Im Sommer 2001, vor dem 25. Juli 2001, fasste der Angeklagte auf dem Heuboden S. an die unbedeckte Brust und an das unbedeckte Geschlechtsteil und führte einen Finger in die Scheide ein. Er schlug dem zunächst fliehenden Kind ins Gesicht, drückte das Kind rücklings ins Heu, dabei die Beine des Kindes gewaltsam auseinander und versuchte, mit seinem - mit einem Kondom versehenen - Glied in die Scheide einzudringen. Wenngleich ihm dies wegen der Gegenwehr und der Verkrampfung des Opfers "nicht vollständig" gelang, "führte er den Geschlechtsverkehr mit dem Mädchen durch." Im April 2002 schlug der Angeklagte im Schlafzimmer S. ins Gesicht, entkleidete sie, drückte sie rücklings auf das Bett, fasste sie an die Brust, drückte gewaltsam ihre Beine auseinander und führte sein - mit einem Kondom versehenes - Glied in ihre Scheide ein.

II. Die Revision versagt.

1. Die Verfahrensrügen sind sämtlich unzulässig, weil nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben. Mit den Rügen Nr. 1, 2 und 4 wird auf das Gutachten des Sachverständigen Diplompsychologen H. Bezug genommen, ohne dass dieses Gutachten mitgeteilt wird. Mit der Rüge Nr. 3 wird beanstandet, dass das Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin nicht verlesen worden sei, wobei die Mitteilung dieses Protokolls unterbleibt.

2. Das Urteil hält auch sachlichrechtlicher Prüfung stand.

Der Angeklagte hat jedwede sexuelle Handlung zum Nachteil der Nebenklägerin bestritten. Das Landgericht hat sich von den Taten des Angeklagten aufgrund der Aussage der Nebenklägerin - als der einzigen unmittelbaren Tatzeugin - und zahlreicher ergänzender Zeugenaussagen überzeugt. Es ist - in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen H. - zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angaben der Nebenklägerin auf Erlebtem fundieren, dass die Unglaubhaftigkeitshypothese ("Nullhypothese") widerlegt ist. Die Grundlagen dieser Überzeugungsbildung hat das Landgericht im Urteil in ausführlicher Weise rechtsfehlerfrei dargestellt: So hat das Landgericht in der Person der zur Zeit der Hauptverhandlung 17-jährigen Nebenklägerin keine Auffälligkeiten gefunden und - namentlich angesichts der geschilderten Familienentwicklung - jede Motivation für eine Falschbezichtigung ausgeschlossen. Die plausible Aufklärungsgeschichte bezeichnet das Landgericht dezenterweise nur als "unverdächtig". Frühere indizielle Äußerungen der Nebenklägerin gegenüber einer Schulfreundin und der eigenen Großmutter sind herangezogen worden. Ferner hat das Landgericht in den Aussagen der Nebenklägerin zahlreiche originelle Details und Anzeichen emotionaler Beteiligung gefunden. Zudem hat das Landgericht auf die Aussagekonstanz in den Angaben der Nebenklägerin abgestellt. Soweit die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung (im Frühjahr 2005) bestimmte Details, die sie in der polizeilichen Vernehmung (am 25. November 2002) angegeben hatte, "auch auf Nachfrage nicht sicher anzugeben vermochte", hat das Landgericht dies plausibel mit dem Zeitfaktor und der Häufigkeit der Fälle (bis zu "fünfmal ... in der Woche") erklärt. Maßgebend sei - so das Landgericht zusammenfassend -, "dass die Zeugin im Kernbereich zu den fünf verschiedenen bereits in der polizeilichen Vernehmung angegebenen Handlungen konstante Angaben gemacht hat. In Anbetracht der Komplexität, Originalität und Details ihrer Angaben zum Kerngeschehen der einzelnen Taten kommt den Abweichungen in nur wenigen einzelnen Details keine ausschlaggebende Bedeutung zu." Schließlich hat das Landgericht sich ausführlich mit Folgendem auseinandergesetzt: Die Verteidigung hat eine Stellungnahme von O., der weder an der Hauptverhandlung teilgenommen noch die Nebenklägerin exploriert hat, vorgelegt, worin das schriftliche Gutachten des Sachverständigen H. methodologisch und inhaltlich kritisiert wird. Hierzu hat es einen Austausch von Stellungnahmen zwischen dem Sachverständigen H. und O. gegeben. Diesen Streit hat das Landgericht ohne sachlichrechtlichen Fehler erörtert.

Die Revision des Angeklagten und der Generalbundesanwalt meinen, dass die vom Landgericht gesehene Konstanz zum Kern der Aussage der Nebenklägerin in den Urteilsgründen unzureichend belegt sei. Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Angesichts der gesamten Beweiswürdigung genügen die Benennung der Differenzen zwischen den Angaben der Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 25. November 2002 einerseits und den Angaben in der Hauptverhandlung im Frühjahr 2005 andererseits sowie die plausible Erklärung dieser Differenzen. Soweit der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang hervorhebt, dass - im dritten Fall ("Badezimmer") - mit der Differenz zwischen vaginalem Geschlechtsverkehr und Analverkehr eine besonders markante Divergenz vorliege, ist dem entgegenzuhalten: Dass die zur Tatzeit 12- oder 13-jährige Nebenklägerin unterschiedliche Angaben dazu gemacht hat, in welche ihrer Körperöffnungen der Angeklagte eingedrungen ist, erscheint angesichts des Tatbildes - Abstützen der Nebenklägerin mit den Händen nach vorn, Eincremen ihres Afterbereichs mit Melkfett, Annäherung des Angeklagten a tergo - nicht als derart auffällig, dass die hierzu angestellten erklärenden Erwägungen des Landgerichts unzulänglich wären.

Vorinstanz: LG Chemnitz, vom 15.04.2005