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BGH - Entscheidung vom 22.09.2006

V ZR 239/05

Normen:
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1

Fundstellen:
BGHReport 2006, 1492
MDR 2007, 289
NJW 2007, 510
NJW-RR 2006, 1677
NZBau 2006, 783

BGH, Urteil vom 22.09.2006 - Aktenzeichen V ZR 239/05

DRsp Nr. 2006/25855

Anforderungen an die Beweisaufnahme bei Feststellung der Baulandqualität eines Grundstücks

»Dass zur Feststellung der Baulandqualität eines Grundstücks kein Augenschein eingenommen worden ist, bildet grundsätzlich keinen hinreichenden Grund zur Aufhebung des Urteils und des Verfahrens und Zurückverweisung des Rechtsstreits.«

Normenkette:

ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1 ;

Tatbestand:

Mit Notarvertrag vom 10. März 1998 verkaufte der Kläger der beklagten Gemeinde das 3.056 qm große Flurstück 486/3 Flur 145 der Gemarkung B. und aus dem angrenzenden Flurstück 486/6 eine Teilfläche von 1.055 qm (im Folgenden: Kaufgrundstücke). Das Flurstück 486/3 ist Bestandteil des so genannten Bössgeländes, für das die Beklagte 1995 im Hinblick auf die beabsichtigte Aufstellung eines Bebauungsplans eine Veränderungssperre beschlossen hatte.

Die Beklagte verpflichtete sich im Kaufvertrag zur Bezahlung von 1.050.000 DM (255,41 DM/qm) sowie dazu, dem Kläger 125 qm ihres an das Flurstück 486/6 angrenzenden Flurstücks 435/2 zu übertragen, um die Bebaubarkeit der aus dem Flurstück 486/3 dem Kläger verbleibenden Fläche zu gewährleisten, und die Kosten der Erschließung des so zu bildenden Grundstücks zu tragen. Die Beklagte bezahlte den vereinbarten Kaufpreis und wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Sie vereinheitlichte die Kaufgrundstücke mit angrenzenden Grundstücken und teilte das so entstandene Grundstück neu auf. Im Wesentlichen veräußerte sie die entstandenen Parzellen. Derzeit ist sie noch Eigentümerin des aus der Teilung hervorgegangenen Flurstücks 486/14, das sie im Oktober 1998 für 800 DM/qm zum Kauf anbot.

Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe ihn arglistig über die Qualität der Grundstücke als Bauland getäuscht und sittenwidrig übervorteilt. Der Wert der verkauften Grundstücke habe bei Vertragsabschluss 800 DM/qm betragen. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Berichtigung des Grundbuchs dahin zuzustimmen, dass er Eigentümer des Flurstücks 486/14 sei, und im Wege der Stufenklage die Beklagte zur Auskunft über den aus dem Weiterverkauf der Kaufgrundstücke erzielten Erlös und dessen Verwendung und zur Erstattung des hiernach zu beziffernden Betrages zu verurteilen. Das Landgericht hat nach Beweiserhebung zum Wert der Kaufgrundstücke durch Teilurteil dem Berichtigungsantrag stattgegeben und die Beklagte zu der verlangten Auskunft verurteilt. Das Oberlandesgericht hat das Urteil und das Verfahren des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hält das Verfahren des Landgerichts für fehlerhaft. Es meint, die Feststellung des Landgerichts, der vereinbarte Kaufpreis bleibe um mehr als die Hälfte hinter dem Wert der verkauften Grundstücke zurück, erlaube den Schluss auf ein verwerfliches Verhalten der Beklagten nur, wenn keine besonderen Umstände vorlägen, die einem solchen Schluss entgegen stünden. Hierauf habe das Landgericht den Kläger hinweisen müssen. Der Hinweis hätte den Kläger zu weiterem Vortrag veranlasst, über den umfänglich Beweis zu erheben gewesen sei. Des Weiteren habe es zur Beurteilung der Bebaubarkeit des Flurstücks 486/3 der Einnahme eines Augenscheins bedurft.

II. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die von dem Berufungsgericht ausgesprochene Zurückverweisung entspricht nicht dem Verfahrensrecht. Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht selber eine Sachentscheidung hätte treffen müssen, § 538 Abs. 1 ZPO .

1. Bei der Beurteilung des Verfahrens des Ausgangsgerichts ist von dessen materiellrechtlicher Sicht auszugehen (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 7. Juni 1993, II ZR 141/92, NJW 1993, 2318 ; v. 19. Mai 1999, IV ZR 209/98, NJW-RR 1999, 1289 ). Hiernach bestand kein Anlass zu einem Hinweis an den - obsiegenden - Kläger.

Das Landgericht hat den Kaufvertrag vom 10. März 1998 als nach § 138 Abs. 1 - und Abs. 2 - BGB nichtig erachtet. Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Hierzu ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich (st. Rspr., vgl. Senat, BGHZ 146, 298, 301). Gegenseitige Verträge können vielmehr, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt ist, sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Umstände als sittenwidrig erscheinen lässt.

So verhält es sich, wenn eine Vertragspartei die wirtschaftlich schwache Position der anderen Partei zu ihrem Vorteil ausnutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass die andere Partei sich nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für sie ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, kann dies den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Verhandlungspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen. So liegt es, wenn die Leistung der einen Vertragspartei den Wert der Leistung der anderen Vertragspartei um rund das Doppelte übersteigt. Ein derartiges Missverhältnis begründet die tatsächliche Vermutung verwerflichen Handelns (Senat, BGHZ 146, 290, 305).

Das Landgericht hat ein solches Missverhältnis festgestellt. Damit aber oblag es der Beklagten, Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die die Vermutung erschüttern, und nicht dem Kläger, einen Sachverhalt vorzutragen, nach welchem derartige Umstände auszuschließen sind.

2. Das Landgericht war auch nicht veranlasst, das ehemalige Flurstück 486/3 in Augenschein zu nehmen.

a) Der Wert dieses Flurstücks bei Abschluss des Kaufvertrags wurde von dessen Bebaubarkeit bestimmt. Insoweit streiten die Parteien darüber, ob das Flurstück ohne den Beschluss eines entsprechenden Bebauungsplans durch die Beklagte insgesamt oder nur teilweise gem. § 34 BauGB bebaubar war. Diese Frage ist aufgrund der Lage des Grundstücks und der Bebauung der angrenzenden Grundstücke zu entscheiden. Das Landgericht hat die Bebaubarkeit als insgesamt gegeben angesehen. Zu diesem Ergebnis ist es auf der Grundlage der Feststellungen des von ihm beauftragten Sachverständigen, der von diesem gefertigten Fotografien, der Aussagen eines anderen Sachverständigen in einem anderen Rechtsstreit und den schriftlichen Äußerungen eines Mitarbeiters des zuständigen Landratsamts gekommen. Es hat gemeint, auf dieser Grundlage zur Beurteilung der Qualität des Grundstücks auch ohne die Einholung eines Augenscheins in der Lage zu sein. Das ist nicht zu beanstanden.

Über die Frage der Einholung eines Augenscheins hatte das Landgericht gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (BGHZ 66, 63, 68). Die Ermessensausübung des Landgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein Antrag, gegenbeweislich durch die Einnahme eines Augenscheins zur Lage des Grundstücks und zur Bebauung der angrenzenden Grundstücke Beweis zu erheben, ist von der Beklagten im ersten Rechtszug nicht gestellt worden.

b) Nach § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist eine Ausnahmeregelung, die den Grundsatz der Prozessbeschleunigung durchbricht, wenn die Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers erfolgt und eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Bei der insoweit notwendigen Abwägung ist in Erwägung zu ziehen, dass eine Zurückverweisung der Sache zu einer erheblichen Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt und dies in der Regel den schützenswerten Interessen der Parteien entgegensteht (vgl. BGH, Urt. v. 8. Juli 2004, VII ZR 231/03, NJW-RR 2004, 1537 , 1538). Die Aufhebung und Zurückverweisung wegen einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme ist deshalb auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht (BGH, Urt. v. 16. Dezember 2004, VII ZR 270/03, MDR 2005, 645 ). Steht die Einnahme eines Augenscheins zur tatsächlichen Situation eines Grundstücks im Hinblick auf die Beurteilung von dessen Bebaubarkeit gemäß § 34 BauGB aus, liegen die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls regelmäßig nicht vor.

III. Der Verlauf des Berufungsverfahrens und die Begründung der angefochtenen Entscheidung geben Anlass, den Rechtsstreit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

Vorinstanz: OLG München, vom 15.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 19 U 5654/04
Vorinstanz: LG München II, vom 20.10.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 5663/01
Fundstellen
BGHReport 2006, 1492
MDR 2007, 289
NJW 2007, 510
NJW-RR 2006, 1677
NZBau 2006, 783