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BSG - Entscheidung vom 11.11.2005

B 6 KA 12/05 B

Normen:
BMV-Ä Anl 5
EBM-Ä Nr. 16
EKV-Ä Anl 5
GG Art. 3 Abs. 1
SGB V § 73 Abs. 1 § 73 Abs. 1a § 73 Abs. 1c § 82 Abs. 1 § 87 Abs. 2

BSG, Beschluß vom 11.11.2005 - Aktenzeichen B 6 KA 12/05 B

DRsp Nr. 2006/672

Zuordnung des Vertragsarztes zum hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich, Leistungen durch Hausarztvertrag

1. Durch die Zuordnung zum hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich entstehen für den Vertragsarzt nur vergütungsrechtliche Konsequenzen. Sein berufsrechtlicher Status bleibt unberührt. 2. Die Annahme ist unzutreffend, einem an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsarzt seien die in § 2 Abs. 3 des Vertrags über die hausärztliche Versorgung beschriebenen Vorgehensweisen verboten. 3. Die Einräumung der Abrechnungsmöglichkeit für gewisse hausärztliche Betreuungsleistungen an spezielle Gruppen von Ärzten im fachärztlichen Versorgungsbereich ist ausreichend, um deren spezifischen Besonderheiten im Lichte der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

BMV-Ä Anl 5; EBM-Ä Nr. 16; EKV-Ä Anl 5; GG Art. 3 Abs. 1 ; SGB V § 73 Abs. 1 § 73 Abs. 1a § 73 Abs. 1c § 82 Abs. 1 § 87 Abs. 2 ;

Gründe:

I

Streitig ist, ob der Kläger beanspruchen kann, gleichzeitig für den hausärztlichen und den fachärztlichen Versorgungsbereich zugelassen zu werden.

Der 60 Jahre alte Kläger ist seit 1988 als Nervenarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er betreibt seit 1993 zusammen mit seiner Ehefrau, einer Ärztin ohne Gebietsbezeichnung, eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis. Im August 2000 beantragte er die Zulassung zur hausärztlichen Tätigkeit zusätzlich zu seiner fachärztlichen Tätigkeit als Nervenarzt, nachdem die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) im Juni 1999 der Gemeinschaftspraxis die Berechtigung zur Abrechnung der Hausarztpauschale entzogen und die seit dem Quartal I/1996 gezahlten hausärztlichen Vergütungen zurückgefordert hatte. Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag auf gleichzeitige Zulassung zur haus- und fachärztlichen Versorgung ab (Bescheid vom 29. Dezember 2000). Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Bescheid des Beklagten vom 26. März 2003, Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. Februar 2004 und des Bayerischen Landessozialgerichts >LSG< vom 24. November 2004). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass nach der Regelung in § 73 Abs 1a Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V ) der Kläger als Nervenarzt ausschließlich an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen könne. Die Trennung der Versorgungsbereiche sei mit Art 12 Abs 1 Grundgesetz ( GG ) vereinbar. Gleichfalls sei unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG nicht zu beanstanden, dass die Aufgliederung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Versorgungsbereich auch für Nervenärzte gelte. Es genüge, dass die Gruppe der Nervenärzte trotz fachärztlicher Betätigung nach den Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) in gewissem Umfang auch hausärztliche Betreuungsleistungen abrechnen könnten. Im Übrigen würden hausärztliche Leistungen nach dem Prüfergebnis der KÄV in der Gemeinschaftspraxis des Klägers nur in untergeordnetem Umfang erbracht.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe.

Wer die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache geltend macht, muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnen, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff und Nr 7 RdNr 4 ff, mwN). Speziell zur Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage ist unter Auswertung der vorhandenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu dem Problemkreis substantiiert vorzutragen, dass die Revisionsinstanz zu diesem Fragenbereich entweder noch keine Entscheidung getroffen oder aber durch die schon vorliegenden Urteile die für maßgeblich erachtete Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (BSG, Beschluss vom 5. August 2003 - B 12 RA 5/03 B - und vom 28. April 2004 - B 11 AL 250/03 B - in Juris dokumentiert; s auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kapitel IX RdNr 183). Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 91, 93 , 117 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 39; BVerfG >Kammer<, SozR 3-1500 § 160a Nr 31 S 61). Die Beschwerdebegründung des Klägers wird ihnen nicht gerecht.

Der Kläger bezeichnet als grundsätzlich klärungsbedürftig die Rechtsfrage,

"ob der Gliederungsauftrag in § 73 Abs 1 SGB V in der Interpretation, dass die Berufsgruppe der Fachärzte für Neurologie und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie von den den Hausärzten vorbehaltenen Tätigkeiten - auch soweit sie sich nicht nur auf den Kernbereich der fachärztlichen Behandlung beziehen - ausgeschlossen sind, mit Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist".

Seine Beschwerdebegründung enthält jedoch keine hinreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren. Allein die Behauptung, die vorgebrachte Rechtsfrage sei auch klärungsfähig, genügt dafür nicht. Es muss vielmehr verdeutlicht werden, weshalb es für die Entscheidung des Rechtsstreits gerade hierauf ankommt. Nähere Erläuterungen dazu, dass diese Frage in dem erstrebten Revisionsverfahren einer Klärung zugeführt werden kann, wären insbesondere erforderlich gewesen, weil nicht ersichtlich ist, dass der Kläger einer der in der Rechtsfrage bezeichneten Facharztgruppen angehört. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das BSG in dem Revisionsverfahren gebunden wäre (§ 163 SGG ), ist der Kläger als Nervenarzt zugelassen, nicht als Facharzt für Neurologie und/oder als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Nervenärzte, Neurologen sowie Psychiater und Psychotherapeuten behandeln zwar verwandte Krankheitsbilder, doch sind sie nach den auch für die vertragsärztliche Berufsausübung maßgeblichen landesrechtlichen Regelungen des ärztlichen Weiterbildungsrechts jeweils in eigenständigen Fachgebieten definiert (§ 2 Abs 1 Nr 21, 23 und 33 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns >WBO< idF vom 1. Oktober 1993; Fortführung der Facharztbezeichnung 'Nervenarzt' gemäß § 20 Abs 1 WBO in der Neufassung vom 24. April 2004, in Kraft ab 1. August 2004). Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält aber keinerlei Ausführungen, inwiefern die Klärung der speziell für die Fachgruppen der Neurologen und der Psychiater/Psychotherapeuten aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen auch im Falle des als Nervenarzt in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Klägers von entscheidungserheblicher Bedeutung ist.

Darüber hinaus wäre auch die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, ob die Regelungen zur Gliederung der Versorgungsbereiche in § 73 Abs 1 SGB V und vor allem in § 73 Abs 1a SGB V hinsichtlich der Fachgruppe der Nervenärzte mit Art 12 und Art 3 GG vereinbar sind, nicht ausreichend dargetan. Der Kläger setzt sich an keiner Stelle mit den vom Senat bereits getroffenen Entscheidungen zu dem Problemkreis der Vereinbarkeit der Aufgliederung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Versorgungsbereich mit Art 12 und Art 3 GG auseinander, obgleich in ihnen die wesentlichen Kriterien zur Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage entwickelt sind (Urteile vom 18. Juni 1997, 6 RKa 58/96 >BSGE 80, 257 = SozR 3-2500 § 73 Nr 1< sowie 6 RKa 13/97. Die Verfassungsbeschwerde gegen das letztgenannte Urteil hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen - Beschluss >Kammer< vom 17. Juni 1999, SozR 3-2500 § 73 Nr 3). Auch dieses Defizit führt zur Unzulässigkeit der Revisionsnichtzulassungsbeschwerde.

Der Senat hat bereits in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 18. Juni 1997 dargestellt, dass die Zuordnung zum hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich für den Vertragsarzt ausschließlich vergütungsrechtliche Konsequenzen bewirkt, während sie seinen berufsrechtlichen Status unberührt lässt (BSGE 80, 257, 261, 264 = SozR 3-2500 § 73 Nr 1 S 6, 9 f). Schon deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb die vom Kläger in den Vorinstanzen vorgebrachte Befürchtung, er müsse im Falle der Wahrnehmung einzelner hausärztlicher Versorgungsfunktionen bei der Betreuung seiner Patienten mit Disziplinarmaßnahmen oder gar mit einer Zulassungsentziehung rechnen, einer weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren zugeführt werden müsste. Die Annahme, einem an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsarzt seien die in § 2 Abs 3 des Vertrags über die hausärztliche Versorgung (Anlage 5 zum Bundesmantelvertrag - Ärzte bzw zum Bundesmantelvertrag - Ärzte/Ersatzkassen) beschriebenen Vorgehensweisen - insbesondere die kontinuierliche ärztliche Betreuung seiner Patienten unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Lebensumstände und ihres sozialen Umfelds, die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen oder die Dokumentation der eigenen Behandlungsmaßnahmen - verboten, ist offensichtlich unzutreffend; dies bedarf keiner weiteren Ausführungen. Darüber hinaus hat der Senat im Urteil vom 1. Juli 1998 (B 6 KA 27/97 R - USK 98166) dargelegt, dass die Einräumung der Abrechnungsmöglichkeit für gewisse hausärztliche Betreuungsleistungen - insbesondere der Gebührennummer 16 EBM-Ä - an spezielle Gruppen von Ärzten im fachärztlichen Versorgungsbereich ausreichend sei, um deren spezifischen Besonderheiten im Lichte der Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG Rechnung zu tragen. Auch damit setzt sich der Kläger nicht auseinander, obwohl ihm die Abrechnung der vergleichbaren Leistungen für eine kontinuierliche Betreuung nach den Gebührennummern 14 und 15 EBM-Ä (in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung; nunmehr Nr 21230 bis 21232 EBM-Ä nF) möglich war bzw ist. Diese Defizite in der Darlegung von Revisionszulassungsgründen führen zur Verwerfung der Beschwerde als unzulässig (§ 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung . Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos eingelegten Rechtsmittels. Eine Erstattung von Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert bzw - hinsichtlich der Beigeladenen zu 6. und 7. - keine Anträge gestellt haben.

Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2 , 52 Abs 1 , 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz ( GKG ). Entsprechend den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Berechnungen der Vorinstanzen ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der von ihm erstrebten Entscheidung auf der Basis von 640 je Quartal zusätzlich abrechenbaren hausärztlichen Grundvergütungen (90 Punkte, vgl Nr 03000 EBM-Ä nF) zu ermitteln, was einen Jahresbetrag in Höhe von 9.216 EUR ergibt. Abweichend von den Vorinstanzen ist jedoch gemäß der neueren Rechtsprechung des Senats in Anlehnung an § 42 Abs 3 GKG lediglich der dreifache Jahresbetrag und damit ein Streitwert in Höhe von 27.648 EUR festzusetzen (vgl Senatsbeschlüsse vom 1. September 2005 - B 6 KA 41/04 R - und vom 12. Oktober 2005 - B 6 KA 47/04 B -, in juris dokumentiert und zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

Vorinstanz: Bayerisches Landessozialgericht 24.11.2004 L 12 KA 269/04,
Vorinstanz: SG Nürnberg - S 6 KA 9/03 - 18.02.200,