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BSG - Entscheidung vom 23.02.2005

B 6 KA 70/03 R

Normen:
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
SGB V § 97 Abs. 3 S. 1 § 98 Abs. 2 Nr. 3 § 98 Abs. 2 Nr. 13
SGB X § 12 Abs. 2
SGG § 54 Abs. 1 S. 2
Ärzte-ZV § 33 Abs. 2 § 44 S. 1

Fundstellen:
NZS 2005, 669

BSG, Urteil vom 23.02.2005 - Aktenzeichen B 6 KA 70/03 R

DRsp Nr. 2005/14579

Widerruf der Genehmigung zur Teilnahme an einer Gemeinschaftspraxis, Anfechtungsbefugnis

Partner einer Gemeinschaftspraxis sind grundsätzlich zur Anfechtung befugt, wenn gegenüber einem Mitglied die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis widerrufen oder zurückgenommen wird. Das gilt nicht, wenn dem ein Zulassungsverzicht oder eine bestandskräftige Zulassungsentziehung zu Grunde liegt. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 19 Abs. 4 S. 1 ; SGB V § 97 Abs. 3 S. 1 § 98 Abs. 2 Nr. 3 § 98 Abs. 2 Nr. 13 ; SGB X § 12 Abs. 2 ; SGG § 54 Abs. 1 S. 2 ; Ärzte-ZV § 33 Abs. 2 § 44 S. 1 ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit eines in Zulassungssachen eingelegten Widerspruchs, der nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist begründet wurde (hier: Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an einer Gemeinschaftspraxis).

Der Kläger betrieb - bis zu seinem Zulassungsverzicht im Jahr 2000 - zusammen mit anderen zur kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Radiologen und Nuklearmedizinern eine Gemeinschaftspraxis in K. Mitglied der Gemeinschaftspraxis war Dr. H., dem mit Wirkung ab 14. Mai 1991 die Zulassung und die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis erteilt worden war. Im Jahr 1992 verzichtete Dr. H. auf seine Zulassung.

Die Rechtsvorgängerin der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) kam nach Überprüfung des Gemeinschaftspraxis-Vertrages zu dem Ergebnis, dass Dr. H. nicht die Stellung eines Partners, sondern nur die eines Angestellten gehabt habe. Sie beantragte im Oktober 1999 bei dem Zulassungsausschuss, gegenüber Dr. H. die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis (und die Zulassung - s dazu das heute entschiedene Verfahren B 6 KA 69/03 R) mit Rückwirkung zum 14. Mai 1991 zurückzunehmen. Dem folgte der Zulassungsausschuss (Beschluss vom 6. Dezember 1999). Dieser hatte die Praxispartner nicht zum Verfahren hinzugezogen, stellte ihnen aber den an Dr. H. als Adressaten gerichteten Rücknahmebescheid zu, dem Kläger am 29. Dezember 1999. Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Berufungsausschuss angerufen werden könne, der Widerspruch aber binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides eingelegt und innerhalb dieser Frist begründet werden müsse.

Der Kläger erhob - am 31. Januar 2000 (Montag) - Widerspruch mit der Bitte, ihm auf seine Kosten einen Satz Kopien der Verwaltungsakten zuzusenden. Seine Ankündigung, eine Begründung nachzureichen, realisierte er nicht. Der Beklagte hatte seiner Bitte um Kopienzusendung nicht entsprochen. Er verwarf seinen Widerspruch mangels fristgerechter Begründung als unzulässig (Beschluss vom 16. Februar 2000).

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 8. November 2001 und Urteil des Landesozialgerichts >LSG< vom 21. November 2002). Das LSG hat ausgeführt, die Einwände des Klägers gegen die Pflicht, einen Widerspruch gemäß § 44 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) binnen eines Monats zu begründen, griffen nicht durch. Die Begründungspflicht und -frist seien rechtmäßig, wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 9. Juni 1999 (SozR 3-5520 § 44 Nr 1) überzeugend ausgeführt habe. Die Frist gelte unabhängig davon, ob der Kläger an dem Verwaltungsverfahren hätte beteiligt werden müssen. Selbst wenn er erstmals durch die Bescheidzustellung am 29. Dezember 1999 Kenntnis von der an Dr. H. gerichteten Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis erlangt habe, so hätte er seine Widersprüche doch rechtzeitig einlegen und auch begründen können und müssen. Nötigenfalls hätte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und erhalten können.

Mit der vom BSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG hätte seinen Widerspruch nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die Forderung, den Widerspruch binnen eines Monats zu begründen, sei mit dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seiner insoweit offen lassenden Entscheidung vom 25. Mai 2001 - 1 BvR 848/01 - bereits deutlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschrift erkennen lassen. Eine Begründungspflicht sei jedenfalls in den Fällen unzumutbar, in denen der Widerspruchsführer nicht zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen worden sei. Denn dann sei dieser nicht ausreichend über den Verfahrensstoff informiert, um seinen Widerspruch ohne weiteres binnen eines Monats begründen zu können. Zudem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass die Zulassungsgremien ihm erst durch Zustellung des Rücknahmebescheides Kenntnis vom Verfahren auf Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis gegeben hätten. Ferner hätten sie vor Verwerfung seines Widerspruchs ihm die beantragte Akteneinsicht bzw die Übersendung von Aktenauszügen gewähren müssen. Bei alledem sei erschwerend zu berücksichtigen, dass er sich seinerzeit - bei Zustellung des Bescheides - in Untersuchungshaft befunden habe, sodass er und sein Bevollmächtigter nur mit erheblicher Zeitverzögerung Unterlagen hätten austauschen können und ihm letztlich nicht einmal die als Minimum zu fordernde Zwei-Wochen-Frist zur Verfügung gestanden habe. Zur Kompensation aller dieser Probleme reiche die vom LSG angeführte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus. Der Verfassungswidrigkeit einer Frist könne nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung begegnet werden. Regelhaft erforderliche Wiedereinsetzungen würden Fristenregelungen ad absurdum führen. Unabhängig von der Frage der formellen Rechtmäßigkeit sei auch in der Sache Bundesrecht verletzt. Die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis hätte nicht mit Wirkung für die Vergangenheit entzogen werden dürfen. Dies folge aus dem Wesen der Genehmigung als konstitutivem Statusakt. Auch eine etwaige Anwendung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB X ) könne das nicht rechtfertigen, denn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit könne weder ihm noch Dr. H. angelastet werden, nachdem die Zulassungsgremien bei der früheren Erteilung der Genehmigung erkennbar kein Interesse am Inhalt ihres Gemeinschaftspraxis-Vertrages gehabt - nämlich dessen Vorlage überhaupt nicht verlangt - hätten. Im Übrigen hätten die Zulassungsgremien den Partnerstatus des Dr. H. fälschlicherweise verneint. Eine bloße Anstellung mit der Folge einer Scheingesellschaft habe nicht vorgelegen. Für die Gemeinschaftspraxis könne eine angestelltenähnliche Ausgestaltung ausreichen, wie das LSG Niedersachsen-Bremen im Beschluss vom 13. August 2002 (MedR 2002, 540) überzeugend ausgeführt habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. November 2002 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 8. November 2001 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung seines Beschlusses vom 16. Februar 2000 zu verurteilen, ihn - den Kläger - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. November 2002 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen des Berufungsurteils für zutreffend.

Die übrigen Beteiligten haben sich zum Revisionsvorbringen nicht geäußert.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<).

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG ). Das LSG hätte den Widerspruch des Klägers nicht als unzulässig mangels Einhaltung der einmonatigen Begründungsfrist ansehen dürfen.

Der Widerspruch des Klägers gegen die an Dr. H. als Adressaten gerichtete Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis ist nicht bereits wegen fehlender Anfechtungsbefugnis im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG unzulässig. Wird die Genehmigung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in der Kooperationsform der Gemeinschaftspraxis (§ 33 Abs 2 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte >Ärzte-ZV<) gegenüber einem der Partner widerrufen oder zurückgenommen, so können die anderen Partner dies grundsätzlich anfechten. Im Regelfall sind sowohl das Rechtsschutzbedürfnis als auch die (Dritt-)Anfechtungsbefugnis im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG gegeben, denn die Partner können durch die Aufhebung der Genehmigung wegen der auch sie treffenden Auswirkungen des Endes der Gemeinschaftspraxis in eigenen Rechten betroffen sein. Die Verbundenheit in einer Gemeinschaftspraxis ist ein besonderer kassen- bzw vertragsärztlicher Status (s BSG, Urteil vom 19. August 1992, SozR 3-2200 § 368c Nr 1 S 3 ff; s auch BSG, Urteil vom selben Tag, MedR 1993, 279). Dies findet unter anderem darin seinen Ausdruck, dass im Falle des Ausscheidens eines Partners in einem für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereich mit gleichzeitigem Zulassungsverzicht die verbleibenden Partner die Ausschreibung des freiwerdenden Vertragsarztsitzes beantragen können und dass bei der Bewerberauswahl ihre Interessen zu berücksichtigen sind (BSG SozR 3-2500 § 103 Nr 3 S 22 ff und BSGE 91, 253 = SozR 4-2500 § 103 Nr 1, jeweils RdNr 26). Ebenso, wie sie die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der an einen der anderen Partner gerichteten Feststellung des Endes der Gemeinschaftspraxis erreichen können (vgl hierzu Urteile vom 19. August 1992 aaO), haben sie im Fall einer - wie hier - an einen der anderen Partner gerichteten Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis die Befugnis im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG , diese Rücknahme anzufechten.

Anders ist es allerdings, wenn der Beendigung der Gemeinschaftspraxis ein Zulassungsverzicht zu Grunde liegt; dann haben die Praxispartner kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung. Eine Zulassung ist untrennbar mit der Person des Inhabers verbunden (s dazu BSG, Urteil vom heutigen Tag im Verfahren B 6 KA 69/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 95 vorgesehen). Allein er kann auf sie verzichten; allein er hat die Befugnis zur Ausübung der Rechte, die sich aus der ihm persönlich zugeordneten Zulassung ergeben. Dritte - auch die Partner einer Gemeinschaftspraxis - haben keine Einwirkungsbefugnis. Dementsprechend ist auch der Zulassungsverzicht dem Zulassungsinhaber ausschließlich persönlich zugeordnet in der Weise, dass Dritte, auch die Partner einer Gemeinschaftspraxis, nicht befugt sind, einen über den Zulassungsverzicht ergehenden Bescheid anzufechten (vgl dazu BSG aaO). Da das Bestehen einer Zulassung die Voraussetzung für die Teilnahme an einer vertragsärztlichen Gemeinschaftspraxis ist, hat der Zulassungsverzicht eines Praxispartners mit seinem Wirksamwerden (§ 28 Ärzte-ZV) zwingend die Beendigung seiner Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis zur Folge. Demgemäß kann im Falle eines wirksamen Zulassungsverzichts kein Rechtsschutzbedürfnis der Partner zur Anfechtung der Beendigung der Gemeinschaftspraxis gegeben sein (Modifizierung der früheren Urteile vom 19. August 1992 aaO, in denen die Zulässigkeit einer Klage des Partners bejaht und erst deren Begründetheit verneint worden ist).

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Drittanfechtung der Beendigung der Gemeinschaftspraxis fehlt ebenso dann, wenn der Beendigung eine bestandskräftige Zulassungsentziehung zu Grunde liegt. Hat der Partner die ihm gegenüber verfügte Zulassungsentziehung bestandskräftig werden lassen, so ist dies Ausdruck seiner mit dem Zulassungsstatus verbundenen persönlichen Dispositionsbefugnis. Eine Befugnis, die Entziehung anzufechten, haben Dritte - auch Partner einer Gemeinschaftspraxis - grundsätzlich nicht (vgl hierzu Urteil vom heutigen Tag im Verfahren B 6 KA 69/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 95 vorgesehen). Das Ende der Zulassung des Partners zieht nämlich, sobald es bestandskräftig ist, automatisch die Beendigung der Teilnahme an einer vertragsärztlichen Gemeinschaftspraxis nach sich. Damit kann ein Rechtsschutzbedürfnis der Praxispartner zur Anfechtung der Beendigung der Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis dann nicht mehr bestehen.

Im vorliegenden Fall lag der gegenüber Dr. H. verfügten Beendigung seiner Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis aber weder ein Zulassungsverzicht noch eine bestandskräftige Zulassungsentziehung zu Grunde. Gegenüber Dr. H. war die Entziehung für den Zeitraum 1991/92 zwar ausgesprochen worden; diese war jedoch noch nicht bestandskräftig. Der Vollzug der Entziehung bzw ihre Wirksamkeit (zum Streit über Vollzugs- oder Wirksamkeitshemmung s BSG SozR 3-1500 § 97 Nr 3 S 7) war auf Grund der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und/oder Klage eines (damaligen) Partners gehemmt (dieser war anfechtungsbefugt, weil die Entziehung mit Rückwirkung für einen vergangenen Zeitraum erfolgt war, s dazu BSG, Urteil vom heutigen Tag im Verfahren B 6 KA 69/03 R aaO). Deshalb war und ist nicht nur die Befugnis des Klägers im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG gegeben, die gegenüber Dr. H. verfügte Beendigung seiner Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis anzufechten, sondern auch die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses ist zu bejahen.

Als Ergebnis ist also festzuhalten: Wird gegenüber einem Mitglied einer Gemeinschaftspraxis die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis widerrufen oder zurückgenommen, so sind dessen Partner grundsätzlich zur Anfechtung befugt. Eine Ausnahme gilt dann, wenn dem ein Zulassungsverzicht oder eine bestandskräftige Zulassungsentziehung zu Grunde liegt (vgl abweichend die Abgrenzung bei der Drittanfechtung einer Zulassungsentziehung, s dazu BSG, Urteil vom heutigen Tag aaO).

Da vorliegend Anfechtungsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis des Klägers also gegeben sind, bedarf es der Entscheidung, ob sein Widerspruch auch sonst zulässig war, also ob ihm die Nichterfüllung der Begründungspflicht des § 44 Satz 1 Ärzte-ZV entgegengehalten werden konnte.

Der Widerspruch war - entgegen der Auffassung des LSG - nicht wegen Versäumung der einmonatigen Frist zur Angabe von Gründen unzulässig. Das Erfordernis, binnen eines Monats den Widerspruch nicht nur zu erheben, sondern auch Gründe anzugeben, folgt aus § 44 Satz 1 Ärzte-ZV iVm § 97 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V ) und § 84 Abs 1 SGG . Dies gilt aber nicht für solche Drittbetroffenen, die nicht zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen wurden. Insoweit ist die Regelung - wegen des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz >GG<) - verfassungskonform einschränkend auszulegen.

Das Erfordernis des § 44 Satz 1 Ärzte-ZV, binnen eines Monats den Widerspruch nicht nur einzulegen, sondern auch Gründe anzugeben, ist allerdings im Grundsatz mit den Vorgaben des Art 19 Abs 4 Satz 1 GG vereinbar. Das BSG hat dies in seinem Urteil vom 9. Juni 1999 im Einzelnen ausgeführt (SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 4 f; darauf bezugnehmend Urteil vom 27. Juni 2001, SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 292 f; die Vereinbarkeit des § 44 Satz 1 Ärzte-ZV mit § 98 Abs 2 Nr 3 und § 97 Abs 3 Satz 1 SGB V offen lassend BVerfG >Kammer<, Beschluss vom 25. Mai 2001 - 1 BvR 848/01 - juris, Kurzbericht in DStR 2001, 1857 ). Nach erneuter Überprüfung hält der Senat daran fest, dass die Vorschrift grundsätzlich verfassungsgemäß ist. Ergänzend zu den Ausführungen in BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 (S 4 f) ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesichtspunkt der Sonderregelung gegenüber §§ 78 , 83 ff SGG weniger Bedeutung zukommt, seitdem anerkannt ist, dass alle Bestimmungen der Ärzte-ZV den Rang von Bundesgesetzen haben (s hierzu BSGE 91, 164 RdNr 8 bis 10 = SozR 4-5520 § 33 Nr 1 RdNr 7 bis 9; BSG SozR aaO Nr 2 RdNr 6 bis 8; BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 1 RdNr 10; BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 81/03 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die durch die Regelung bewirkte Rechtsschutzerschwerung hat insofern kein großes Gewicht, als die Anforderungen an die "Angabe von Gründen" nicht streng sind. So muss die Begründung nicht notwendigerweise zusammen mit der Widerspruchseinlegung erfolgen. Es reicht vielmehr aus, wenn Einlegung und Begründung des Widerspruchs in getrennten Schriftsätzen, aber beide binnen der Rechtsbehelfsfrist erfolgen (in diesem Sinne schon BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 5: "auch Gründe anzugeben"; ebenso BSG, Beschluss vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 20/03 B - juris; und Beschluss vom 16. Juli 2003 - B 6 KA 77/02 B -, juris). Zur Begründung sind zudem keine ins Einzelne gehenden Ausführungen erforderlich. Vielmehr genügt ein schlagwortartiger Hinweis des Betroffenen auf die für ihn relevanten Gesichtspunkte, die er in späteren Schriftsätzen, auch noch außerhalb der Frist, näher erläutern sowie (falls er nicht schon eine abschließende Eingrenzung auf die bisher genannten Gesichtspunkte vorgenommen hat - s hierzu Urteil vom heutigen Tag im Verfahren B 6 KA 77/03 R) um weitere Gesichtspunkte ergänzen kann (in diesem Sinne LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Juli 2001 - L 11 B 62/01 KA ER; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 18. Dezember 2002, NZS 2003, 556, 557 f = Breithaupt 2003, 529, 531). Die Möglichkeit getrennter Einlegung und Begründung kann der Zulassungsausschuss verdeutlichen, indem er in seiner Rechtsbehelfsbelehrung zB formuliert, dass der Widerspruch binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides einzulegen und ebenfalls binnen dieser Frist zu begründen ist.

Diese grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses, binnen der Monatsfrist auch Anfechtungsgründe anzugeben, bedarf allerdings für bestimmte Falltypen verfassungskonform einschränkender Auslegung. Die Bewertung, dass der Personenkreis, der typischerweise von Entscheidungen in Zulassungsangelegenheiten gemäß §§ 95 ff SGB V iVm der Ärzte-ZV betroffen ist, sachkundig ist (vgl hierzu BSG SozR 3-5520 § 44 Nr 1 S 5; SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 13; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 - B 6 KA 44/03 R - >unter 2b< mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen) und ihm deshalb die Angabe von Gründen binnen der Monatsfrist zugemutet werden kann, gilt für den Regelfall, dass ein Rechtsschutzsuchender ein Antragsverfahren selbst betrieben hat oder - in Eingriffsfällen - vom Zulassungsausschuss zum Verfahren hinzugezogen worden ist (hierzu s § 12 Abs 2 SGB X mit den Möglichkeiten fakultativer und notwendiger Hinzuziehung), er also am Verfahren vor dem Zulassungsausschuss beteiligt war.

Von der Pflicht zur Begründung des Rechtsbehelfs innerhalb der Monatsfrist gelten in besonders gelagerten Fällen aber Ausnahmen. Wenn sonst die Rechtsschutzmöglichkeit des Betroffenen unzumutbar beschränkt wäre, erfordert das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG ) eine einschränkende Auslegung der Pflicht, binnen eines Monats auch Gründe anzugeben. Die Fristversäumung führt dann nicht zur Unzulässigkeit des Widerspruchs. Vielmehr hat der Berufungsausschuss in solchen Fallgestaltungen dem (Dritt-)Betroffenen eine angemessene Nachfrist für die Angabe von Gründen zu setzen sowie ihm alle verfahrensmäßigen Rechte - wie zB hier auf Akteneinsicht (§ 25 SGB X ) - zu gewähren und die dafür erforderliche Zusatzzeit bei der Bemessung der Frist für die Begründung zu berücksichtigen.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kläger war - wie oben ausgeführt - durch die an seinen früheren Gemeinschaftspraxispartner gerichtete Entscheidung des Zulassungsausschusses über die Rücknahme der Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis in eigenen Rechten betroffen. Der Zulassungsausschuss stellte ihm den Bescheid auch zu, hatte ihn aber nicht zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen. Hierdurch hatte er keine oder jedenfalls keine ins Einzelne gehenden Kenntnisse von dem Verfahrensstoff. Bei einer solchen Sachlage war ihm die Angabe von Gründen binnen eines Monats nicht zuzumuten. Die Rechtswirkungen der Nichtangabe von Gründen binnen der Monatsfrist traten daher nicht ein.

Der Folgerung, dass das Erfordernis, den Widerspruch binnen der Monatsfrist auch zu begründen, für nicht hinzugezogene Drittbetroffene eine mit Art 19 Abs 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbarende Erschwerung des Rechtsschutzes darstellt, kann nicht mit Hinweis auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG ) begegnet werden. Denn dieses Rechtsinstitut ist darauf zugeschnitten, im Einzelfall bei Vorliegen von Hindernissen bei der Einhaltung von Fristen doch noch Rechtsschutz zu ermöglichen. Was die Regelung des § 44 Satz 1 Ärzte-ZV betrifft, liegt dagegen bei dem hier in Frage stehenden Falltypus des nicht hinzugezogenen Drittbetroffenen ein genereller Mangel vor. Demgemäß ist sie bezogen auf diese Fallgruppe verfassungskonform einschränkend auszulegen, und zwar - wie ausgeführt - in dem Sinne, dass das Erfordernis der Angabe von Anfechtungsgründen binnen der Monatsfrist nicht für Drittbetroffene gilt, die nicht zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen worden waren.

Somit hätte das LSG den Widerspruch des Klägers nicht mangels Einhaltung der einmonatigen Begründungsfrist als unzulässig ansehen dürfen, sondern hätte auch die Begründetheitsfragen überprüfen müssen. Der Rechtsstreit ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird zu beurteilen haben, ob die Genehmigung zur Teilnahme an der Gemeinschaftspraxis durch den an Dr. H. gerichteten Bescheid zurückgenommen werden konnte, und vor allem, ob dies rückwirkend erfolgen durfte (vgl hierzu BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2003 - B 6 KA 63/03 B -). Es wird ferner Dr. H. notwendig beiladen und die Frage uU einfacher Beiladung der übrigen damaligen Partner der Gemeinschaftspraxis prüfen sowie bei seiner neuen Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens befinden müssen.

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 21.11.2002 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KA 79/01
Vorinstanz: SG Mainz, vom 08.11.2001 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KA 224/00
Fundstellen
NZS 2005, 669