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BSG - Entscheidung vom 31.10.2005

B 7a AL 134/05 B

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 202 § 62 § 128 § 160 Abs. 2 Nr. 3 § 160a Abs. 2 S. 3
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1

BSG, Beschluß vom 31.10.2005 - Aktenzeichen B 7a AL 134/05 B

DRsp Nr. 2006/678

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren

Der Prozessbevollmächtigte muss darlegen, dass es ihm nicht möglich gewesen ist, die Terminskollision durch eine Arbeitsaufteilung innerhalb der eigenen Kanzlei zu kompensieren, wenn das Berufungsgericht seinem Antrag auf Terminverlegung wegen der Teilnahme an einem bereits früheren geladenen Termin nicht entspricht und der Kläger sich hierdurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 103 Abs. 1 GG , an §§ 62 , 128 SGG verletzt sieht. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 202 § 62 § 128 § 160 Abs. 2 Nr. 3 § 160a Abs. 2 S. 3 ; ZPO § 227 Abs. 1 S. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt im Zugunstenwege, ihm als Darlehen gewährtes Unterhaltsgeld (Uhg) in einen Zuschuss umzuwandeln.

Der Kläger bezog von 1993 bis 31. Juli 1995 für die Teilnahme an einer Maßnahme zum staatlich geprüften Informationsassistenten Uhg als Darlehen. Der Kläger zahlte das Darlehen in monatlichen Raten zurück. Ende 2003 betrug der Restbetrag aus dem Darlehen noch 4.263,21 DM.

3

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2001 beantragte er den Erlass der Restdarlehensforderung, weil er arbeitslos sei und Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen habe. Am 19. Februar 2003 wandte er sich sodann an die Deutsche Ausgleichsbank mit dem Begehren, das Darlehen in einen Zuschuss umzuwandeln. Der Antrag blieb im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ohne Erfolg (Bescheid der Beklagten vom 17. April 2003; Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. Mai 2003; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 6. Januar 2004; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz >LSG< vom 28. April 2005). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, es sei in diesem Verfahren nicht mehr zu prüfen, ob die 1993 getroffene Entscheidung der Beklagten, dem Kläger Uhg als Darlehen zu gewähren, rechtmäßig gewesen sei. Denn eine Rücknahme oder Ersetzung dieser Entscheidung sei durch die Verfallklausel des § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz ( SGB X ) ausgeschlossen.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 6. Juni 2005 zugestellt. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) und den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) geltend. Entgegen Art 19 Abs 4 Grundgesetz ( GG ), § 202 SGG und § 227 Abs 1 Zivilprozessordnung ( ZPO ) habe das LSG den Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2005 nicht verlegt, obwohl sein Prozessbevollmächtigter diesen Termin wegen einer Terminskollision nicht habe wahrnehmen können. Sein Prozessbevollmächtigter habe beim LSG am 19. April 2005 beantragt, den Termin am 28. April 2005 um 12.30 Uhr zu verlegen, weil er bereits zeitlich zuvor für denselben Tag eine Ladung zum Amtsgericht B. für 11.00 Uhr erhalten gehabt habe. Die früher erfolgte Ladung zum Amtsgericht gehe vor. Das LSG habe wegen dieser Terminskollision den Termin verschieben müssen, dies aber abgelehnt. Er - der Kläger persönlich - sei an diesem Tag (28. April 2005) arbeitsunfähig erkrankt gewesen, sodass niemand von der Klägerseite am Termin habe teilnehmen können. Nur dann hätte über die streitgegenständliche Frage verhandelt werden können. Das LSG weiche zudem von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) ab. In einer in MDR 1996, S 633 veröffentlichten Entscheidung habe das BSG die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs in einem vergleichbaren Fall durchgreifen lassen. Das BSG habe dort den Rechtssatz aufgestellt, eine Terminskollision des Prozessbevollmächtigten stelle einen erheblichen Grund für eine Terminsverschiebung dar.

Der Kläger hat mit einem weiteren Schreiben, das beim BSG am 9. August 2005 eingegangen ist, seine Beschwerdebegründung ergänzt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht in der erforderlichen Weise dargelegt ist. Auch sind Verfahrensmängel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ausreichend bezeichnet. Die Nichtzulassungsbeschwerde war daher ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die vom Kläger geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl §§ 62 , 128 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) liegt ua dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist. Soweit der Kläger als Verfahrensmangel die Verletzung rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das LSG trotz seines Terminverlegungsantrages wegen der Teilnahme an einem bereits früheren geladenen Termin am Amtsgericht B. die anberaumte mündliche Verhandlung dennoch durchgeführt habe, ist ein Verfahrensmangel nicht substantiiert dargetan. Nach dem gemäß § 202 SGG auch im Verfahren der Sozialgerichte anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Zwar hat das BSG hierzu in ständiger Rechtsprechung betont, dass der mündlichen Verhandlung eine hohe Gewährleistungsfunktion im Hinblick auf das rechtliche Gehör zukommt (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33). Aus dem Vorbringen des Klägers wird jedoch nicht ersichtlich, inwiefern das LSG gegen diese Grundsätze verstoßen hätte. Hierzu wäre erforderlich gewesen darzulegen, dass es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht möglich gewesen wäre, die Terminskollision durch eine Arbeitsaufteilung innerhalb der eigenen Kanzlei zu kompensieren. Der Briefkopf des Prozessbevollmächtigten des Klägers weist ausdrücklich die Bezeichnung "und Kollegen" auf. Zur Darlegung der Verletzung rechtlichen Gehörs hätte der Kläger daher im Einzelnen Tatsachen dafür beibringen müssen, dass kein Mitglied seiner Kanzlei in der Lage gewesen wäre, den Termin vor dem LSG wahrzunehmen. Gegebenenfalls wäre auch Vortrag dazu erforderlich gewesen, inwiefern der Termin am Amtsgericht nicht durch ein anderes Mitglied der Kanzlei hätte wahrgenommen werden können, wenn für eine Präsenz des Prozessbevollmächtigten des Klägers am LSG besondere Sachkunde erforderlich gewesen wäre. Auch hierzu fehlt es an Sachvortrag.

Schließlich hat der Kläger auch nicht das Vorliegen des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) ausreichend dargelegt. Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer 8. Aufl 2005, § 160 Rz 13 ff; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, IX, RdNr 194 ff). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 196 mwN). Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz im angezogenen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67). Diesen Anforderungen hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht genügt. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Revision lediglich die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall, ohne die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ausreichend darzulegen. Aus seinem Vorbringen wird nicht deutlich, inwieweit das LSG mit einem abstrakten Rechtssatz von der beigezogenen Entscheidung des BSG abgewichen wäre.

Nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Das Urteil des LSG ist am 6. Juni 2005 zugestellt worden. Die vom Beschwerdeführer eingereichte Ergänzung zur Beschwerdebegründung ist beim BSG erst am 9. August 2005, mithin erst nach Ablauf der Frist des § 160a Abs 2 Satz 1 SGG eingegangen. Nach Fristablauf können weitere Begründungen jedoch nicht nachgeschoben werden, sie sind vom Senat nicht zu berücksichtigen (vgl nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 8. Aufl 2005, § 160a SGG RdNr 13d). Nur ergänzend sei allerdings darauf hingewiesen, dass auch der am 9. August 2005 eingegangene Schriftsatz keine hinreichende Substantiierung des behaupteten Verfahrensmangels enthält.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 28.04.2005 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 AL 22/04
Vorinstanz: SG Trier - S 5 AL 124/03 - 06.01.200,