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BSG - Entscheidung vom 23.08.2005

B 4 RA 28/03 R

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1 Art. 6 Abs. 1 Art. 14 Abs. 1 S. 2
RRErwerbG Art. 1 Nr. 22
RRG (1999) Art. 1 Nr. 76 Art. 1 Nr. 134
SGB VI § 41 § 39 § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4a § 237a Abs. 2 § 237a Abs. 3 Nr. 3, Anl 20 § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst a
SGG § 114 § 160 Abs. 1
WFG Art. 1 Nr. 27 Art. 1 Nr. 10 Art. 1 Nr. 11 Buchst a

Fundstellen:
AuR 2005, 427

BSG, Vorlagebeschluß vom 23.08.2005 - Aktenzeichen B 4 RA 28/03 R

DRsp Nr. 2006/8818

Verfassungsmäßigkeit der Altersrente für Frauen

1. Ist § 237a Abs 3 Nr 3 SGB VI , eingefügt durch Art 1 Nr 76 des Rentenreformgesetzes 1999 ( RRG 1999) vom 16.12.1997 (BGBl I 1997, 2998) in Kraft getreten zum 1.1.2000, insoweit mit Art 14 Abs 1 S 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG vereinbar, als die Norm nur diejenigen vor dem 1.1.1942 geborenen versicherten Frauen begünstigt, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne versicherungspflichtige Bezugszeiten von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) haben, ohne auch diejenigen vor dem 1.1.1942 geborenen Versicherten in die Begünstigung miteinzubeziehen, die eine gleiche Vorleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht haben? 2. Ist § 237a Abs 2 SGB VI iVm Anl 20 idF des Art 1 Nr 76 und 134 Rentenreformgesetz 1999 ( RRG 1999) vom 16.12.1997 (BGBl I 1997, 2998) iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des Art 1 Nr 22 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 2000, 1827) mit Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG insoweit vereinbar, als diese gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung den Wert des Stammrechts auf Altersrente auch dann noch vermindert, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag vom Zugangsfaktor ausgeglichen sind? [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 Art. 6 Abs. 1 Art. 14 Abs. 1 S. 2 ; RRErwerbG Art. 1 Nr. 22 ; RRG (1999) Art. 1 Nr. 76 Art. 1 Nr. 134 ; SGB VI § 41 § 39 § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4a § 237a Abs. 2 § 237a Abs. 3 Nr. 3 , Anl 20 § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst a ; SGG § 114 § 160 Abs. 1 ; WFG Art. 1 Nr. 27 Art. 1 Nr. 10 Art. 1 Nr. 11 Buchst a ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Wert des Rechts der Klägerin auf Altersrente (für Frauen) und in diesem Zusammenhang vor allem darüber, ob die Beklagte wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente den Zugangsfaktor um 0,060 auf 0,940 absenken durfte.

Die am 23. August 1941 geborene Klägerin war nach Beendigung ihrer Schulausbildung am 12. Juli 1958 als kaufmännische Angestellte durchgehend bei der Firma S. beschäftigt. Am 7. August 1995 unterzeichnete sie eine Aufhebungsvereinbarung; danach endete das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum Ablauf der tariflichen Kündigungsfrist am 30. September 1996 gegen Zahlung einer Abfindung von 202.404,00 DM brutto. Grundlage der Vereinbarung war eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die vorzeitige Pensionierung "im Tarifkreis ab 55". Die Klägerin bezog bis 28. August 1999 Arbeitslosengeld (Alg). Anschließend war sie arbeitslos ohne Leistungsbezug.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 20. Juni 2001 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2002 antragsgemäß eine Altersrente (für Frauen) ab 1. September 2001. Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme um 20 Kalendermonate minderte sie den Zugangsfaktor um 0,060 auf 0,940; die Beklagte berücksichtigte ab 15. August 1958 Beitragszeiten, ferner die Zeiten von August 1958 bis Juli 1961 als beitragsgeminderte Zeiten. Anrechnungszeiten wegen Schulausbildung legte die Beklagte zunächst nicht zu Grunde.

Mit am 28. Januar 2002 vor dem Sozialgericht ( SG ) Köln erhobener Klage hat die Klägerin die Gewährung einer höheren Rente begehrt und hierzu insbesondere geltend gemacht, die Vorschrift des § 237a Abs 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung ( SGB VI ) sei verfassungswidrig. Das SG hat mit Urteil vom 26. Juli 2002 die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin am 26. August 2002 beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) Berufung eingelegt. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16. Mai 2003). Es hat die Auffassung vertreten, die angefochtene Höchstwertfestsetzung sei gesetzmäßig und das Gesetz verfassungsgemäß.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt einen Verstoß gegen Art 14 und Art 3 Grundgesetz ( GG ) und trägt vor: Das LSG habe verkannt, dass § 237a Abs 2 SGB VI in mehrfacher Hinsicht mit den Grundrechten nicht vereinbar sei. Durch das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz >WFG<) sei ihr wichtigstes Eigentum, die wesentliche Stütze ihrer Altersversorgung, nur wenige Jahre, bevor sie darauf angewiesen gewesen sei, erheblich geschmälert worden. Es bestehe jedoch kein Handlungsbedarf, in Vermögenswerte von Rentenversicherten einzugreifen. Da sich die demografischen Entwicklungen langfristig abgezeichnet hätten, habe kein Anlass für kurzfristige Maßnahmen bestanden. Die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands bestünden nicht in zu hohen Renten, sondern in einem verkrusteten Arbeitsmarkt und einer Scheckbuchdiplomatie. Gründe des öffentlichen Interesses seien für die Kürzungen nicht erkennbar. Die Änderungen verstießen auch gegen das Rechtsstaatsprinzip. Nicht die Anhebung der Altersgrenzen durch das Rentenreformgesetz 1992 ( RRG 1992) als solches, sondern das Vorziehen der Altersgrenzen und die Verkürzung der Anhebungsphase seien unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich bedenklich. Der Gesetzgeber habe durch § 41 Abs 1 und 2 SGB VI idF des RRG 1992 einen Vertrauenstatbestand geschaffen, um den davon Betroffenen Planungssicherheit zu bieten. Die Betroffenen hätten infolgedessen den Eingriff in erworbene Rechtspositionen bei ihren Dispositionen nicht berücksichtigen können. Ferner werde das Sozialstaatsprinzip verletzt, da das Gesetz tendenziell den sozial schwächeren Rentnern hohe Lasten wegen versicherungsfremder Leistungen auferlege. Die durch Bundeszuschuss nicht gedeckten versicherungsfremden Leistungen summierten sich seit 1957 auf einen Betrag zwischen 500 und 1.000 Milliarden DM. Auch insoweit werde Art 3 Abs 1 GG verletzt.

Die in § 237a Abs 3 Nr 2 SGB VI idF des WFG geregelte abweichende Bestimmung für Beschäftigte der Montanindustrie begünstige diesen Personenkreis willkürlich. Schließlich sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber zwischen verschiedenen Mitteln ausgewählt habe, um eine Reduzierung der Ausgaben des Rentenversicherungsträgers zu erreichen, sodass gegen das Abwägungsverbot verstoßen worden sei. Zudem sei die Stichtagsregelung auch willkürlich. Bei Vollendung ihres 55. Lebensjahres habe sie bereits eine bindende Vereinbarung über die Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses getroffen gehabt.

Wegen der Bewertung der ersten fünf Berufsjahre verweist die Klägerin im Übrigen auf den Vorlageschluss des BSG vom 16. Dezember 1999 - B 4 RA 11/99 R.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2003 und des Sozialgerichts Köln vom 26. Juli 2002 aufzuheben und die Höchstwertfestsetzung im Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2002 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktor von 0,994 und eine höhere Bewertung der Zeiten vom 23. August 1956 bis zum 15. August 1963 festzustellen und ihr hieraus entsprechend höhere Beträge ab 1. September 2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Sie habe die zu Grunde liegenden Vorschriften zutreffend angewandt. Die Regelungen seien auch nicht verfassungswidrig. Zwar würden die festgesetzten Altersgrenzen, die den Barwert der Leistungen mitbestimmten, vom Eigentumsschutz der Renten erfasst. Die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze verfolge jedoch ein legitimes, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel, um die künftige Finanzierbarkeit der Renten- und Arbeitslosenversicherung iVm stabilen Beitragssätzen zu sichern. Sie sei hierfür auch ein geeignetes Mittel, um die Kosten für die Frühverrentungspraxis einzudämmen. Die Bundesregierung habe bis zum Jahre 2003 mit Einsparungen in Höhe von 17 Milliarden DM gerechnet. Die Regelung sei insoweit auch erforderlich gewesen. Ob das vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Sparziel durch Einsparungen in anderen Bereichen hätte erreicht werden können, sei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung unerheblich. Der Eingriff sei ferner unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zumutbar. Die Vorziehung und Beschleunigung der Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für Frauen sei den betroffenen Jahrgängen zumutbar, andernfalls wäre, den Jahrgängen, die selbst nicht in den Genuss einer abschlagsfreien Frührente hätten gelangen können, die Kosten der Frühverrentung aufgebürdet worden. Der Gesetzgeber habe durch die Änderungen auch nicht schutzwürdiges Vertrauen zerstört und dadurch längerfristige Lebensplanungen in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Die Altersrente für Frauen sei nicht gedacht gewesen, Arbeitslosigkeit bewusst zu planen, um dann eine Frührente in Anspruch nehmen zu können. Die vorzeitige Anhebung der Altersgrenze bei gleichzeitigem Ermöglichen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente unter Hinnahme von Abschlägen sei letztlich auch deshalb zumutbar, weil sie den Wert der Rente in einem Bereich beschneide, der nur eingeschränkt auf eigener Leistung beruhe. Die abschlagsbedingte Kürzung der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente gleiche den Barwert der Rentenleistung an denjenigen der Regelaltersrente (RAR) bei gleicher Anzahl der Entgeltpunkte (EP) an. Der Gesetzgeber habe den Vertrauensschutz zudem legitimerweise gestaffelt und die besonders intensiv Betroffenen von der Rechtsänderung ausgenommen.

Die niedrigere Bewertung der ersten fünf Versicherungsjahre sei jedenfalls nicht zu beanstanden. Gesetzgeberisches Ziel sei die Stärkung der Beitragsäquivalenz der Rente gewesen. Anrechnungszeiten wegen Ausbildung würden weder Eigenleistungen in Form von Beiträgen noch eine eigene Arbeitsleistung zu Grunde liegen, sodass sie auf staatlicher Gewährung beruhten und mithin einem geringeren Eigentumsschutz unterliegen würden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei ebenfalls gewahrt. Denn die ursprüngliche Vergünstigung durch das WFG sei nicht völlig gestrichen, sondern lediglich gemindert worden.

Die Bewertung des Jahres der Schulausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres haben die Beteiligten vertraglich durch angenommenes Teilanerkenntnis geregelt.

In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, er rüge nicht die Verfassungswidrigkeit der einzelnen Gesetze, die zu einer Änderung der Anrechnung und Bewertung rentenrechtlicher Zeiten, welche die Klägerin vom 23. August 1956 bis zum 15. August 1963 nach dem Angestelltenversicherungsgesetz ( AVG ) erworben hatte, geführt hatten, sondern dass sie insgesamt jedenfalls bis 1996 zu einer verfassungswidrigen Lage geführt hätten.

II

1. Teilurteil

2. Beschluss

A.

Aussetzungsbeschluss

B.

Vorlagebeschluss

1. Teil:

Sachverhalt

und Prozessgeschichte

2. Teil:

Entwicklung der Gesetzestexte mit "Gesetzesmaterialien" und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

I.

Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO

1.

Zur Rechtslage vor 1957

2.

Zur Rentenreform 1957

3.

Zur Rentenreform 1972 und dem Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz 1981

II.

Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI idF des RRG 1992

A.

Gesetzestexte

B.

"Gesetzesmaterialien"

III.

Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RuStFöG

IV.

Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des WFG

A.

Gesetzestexte

B.

"Gesetzesmaterialien"

V.

Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RRG 1999

A.

Gesetzestexte

B.

"Gesetzesmaterialien"

VI.

Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

A.

Gesetzestexte

B.

"Gesetzesmaterialien"

VII.

Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors

3. Teil:

Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes

1. Abschnitt:

Die Revision, die Berufung und die Klagen sind zulässig

I.

Die Revision ist zulässig

II.

Die Berufung ist zulässig

III.

Die Klagen sind zulässig

2. Abschnitt:

Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig

3. Abschnitt:

Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen ( RRG 1992; WFG; RRG 1999)

I.

Keine Verletzung eines vor der Entstehung des Vollrechts zum 1. September 2001 gegebenen subjektiven Rechts der Klägerin schon mangels Rechtsbeeinträchtigung

II.

Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG

III.

Keine Beeinträchtigung eines Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" oder eines Anwartschaftsrechts hierauf

IV.

Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft oder eines Anwartschaftsrechts

1.

Zum Bestand einer Rentenanwartschaft

2.

Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft

3.

Die Rentenanwartschaft schützt keine Aussicht auf Sonderrechte

4.

Keine Beeinträchtigung eines subjektiv-rechtlich geschützten Vermögenswertes

5.

Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit

6.

Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen

4. Abschnitt:

Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen

I.

Kein gesetzlicher Eingriff in den Gewährleistungsgehalt des Vollrechts

II.

Keine Verletzung des Grundrechts auf Gleichheit vor dem Gesetz durch gleichheitswidrige Zuordnung von Vollrechten

1.

Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung

2.

Keine Verfassungswidrigkeit der Abschaffung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen"

3.

Gebotenheit der Verfassungsgemäßheit der aus Billigkeit getroffenen Übergangsregelung

4.

Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres

5.

Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "nicht vorzeitigen" frühzeitigen Rentner

6.

Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern

4. Teil:

Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG

1. Abschnitt:

Zur Vorlagefrage 1

I.

Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und empirische Grundlagen

1.

Rechtliche Vorgaben

2.

Schweigen der Gesetzesmaterialien

3.

Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen

II.

Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"

1.

Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze

2.

"Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen (Beitragszahlungen)

III.

Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"

1.

Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung

2.

Ungerechtfertigte Benachteiligung der 60-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner

3.

Zur objektiven besonderen Benachteiligung von Rentnerinnen, die Kinder erzogen haben

IV.

Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

V.

Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 1

2. Abschnitt:

Zur Vorlagefrage 2

I.

Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung

1.

Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe

2.

Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung

II.

Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils

1.

Zur lebenslangen Rentenabschmelzung

2.

Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung

III.

Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs

1.

Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils

2.

Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner

3.

Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben

4.

Zur Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern

5.

Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und dessen Grenzen

IV.

Keine verfassungskonforme Auslegung möglich

V.

Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 2

1. Abschnitt: Teilurteil

Die Revision war mangels Statthaftigkeit als unzulässig zu verwerfen, soweit sie die Anrechnung und Bewertung der Zeiten vom 23. August 1956 bis zum 14. August 1958 und vom 1. August 1962 bis zum 15. August 1963 betrifft. Die Revision kann nur gegen ein Urteil oder bestimmte gleichgestellte Handlungsformen stattfinden (§ 160 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz >SGG<). Hierzu genügt nicht, dass die mit dem Rechtsstreit angegriffene Äußerung unter der Bezeichnung "Urteil" ergangen ist; es muss vielmehr auch "geurteilt worden sein", also eine gerichtliche Entscheidung der Vorinstanz über die Begründung, Aufhebung, Änderung oder Feststellung einer bestimmten Rechtsposition verlautbart worden sein. Das LSG hat aber in dem angefochtenen "Urteil" überhaupt keine Erklärung über die Anrechnung und Bewertung der Zeiten vom 23. August 1956 bis zum 14. August 1958 und vom 1. August 1962 bis zum 15. August 1963 getroffen, also hierüber nicht "geurteilt". Dazu bestand für das LSG im Übrigen schon deshalb kein Anlass, weil die Klägerin von ihm nicht begehrt hatte, über das Bestehen einer verfassungswidrigen Lage bezüglich dieser Zeiten zu entscheiden. Diese wurde seitens der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG geltend gemacht.

2. Abschnitt: Beschluss

A. Aussetzungsbeschluss:

Soweit das Revisionsverfahren die Bewertung der ersten fünf Versicherungsjahre betrifft, hat der Senat es entsprechend § 114 SGG ausgesetzt, da diese Problematik bereits Gegenstand des Vorlagebeschlusses vom 16. Dezember 1999 (Az Bundesverfassungsgericht >BVerfG<: 1 BvL 10/00; Az BSG: B 4 RA 11/99 R) ist.

B: Vorlagebeschluss

1. Teil: Sachverhalt und Prozessgeschichte

Siehe Gründe I

2. Teil: Entwicklung der Gesetzestexte mit "Gesetzesmaterialien" und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Gestaltungsrecht für Frauen, auf Grund eigener Erklärung (sog Antrag) den Versicherungsfall des Alters herbeiführen und deshalb Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können, existiert in der Rentenversicherung der Arbeiter seit 1942, für alle versicherten Frauen seit der Rentenreform 1957. Die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen haben sich im Laufe der Zeit verändert:

I. Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO

1. Zur Rechtslage vor 1957

Ursprünglich betrug die allgemeine, geschlechtsunabhängige Altersgrenze, von deren Erreichen an die Rente unabhängig vom körperlichen Leistungsvermögen des einzelnen Versicherten bezogen werden konnte, 70 Jahre (§ 9 Abs 4 des Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889, RGBl S 7). § 1257 der Reichsversicherungsordnung ( RVO ) vom 19. Juli 1911 (RGBl S 509) behielt diese Grenze bei. § 25 des Versicherungsgesetzes für Angestellte (ab 1924: Angestelltenversicherungsgesetzes >AVG<) vom 20. Dezember 1911 (RGBl S 989) setzte die Altersgrenze für Angestellte geschlechtsunabhängig auf 65 Jahre fest. Mit Wirkung vom 1. Januar 1916 wurde die Altersgrenze in der Arbeiterrentenversicherung ebenfalls auf das 65. Lebensjahr herabgesetzt (§ 1257 RVO idF des Gesetzes betreffend Renten in der Invalidenversicherung vom 12. Juni 1916 - RGBl S 525).

Eine besondere Altersgrenze für weibliche Versicherte wurde in der Arbeiterrentenversicherung durch § 2 Abs 2 des Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 (RGBl I S 407) und § 1 der Verordnung zur Anpassung der Reichsversicherungsgesetze an das Zweite Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 22. Juni 1942 (RGBl I S 411) eingeführt. Der damals neu gefasste § 1253 Abs 2 RVO sah einen Anspruch auf Rente für Frauen ab 55 Jahren vor, wenn diese mindestens vier lebende Kinder geboren hatten und ihr Ehemann verstorben war.

2. Zur Rentenreform 1957

Durch die Rentenreform 1957 wurde für die Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter eine einheitliche Regelung der Altersgrenze eingeführt. Danach erhielten weibliche Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hatten, auf Antrag Altersruhegeld, wenn sie die Wartezeit erfüllt und in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hatten (§ 25 Abs 3 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 >BGBl I S 88<). § 25 Abs 3 AVG und der insoweit gleich lautende § 1248 Abs 3 RVO (idF von 1957) bestimmten:

Altersruhegeld erhält auf Antrag auch die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist und wenn sie in den letzten zwanzig Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt.

Nach der sog Gesetzesbegründung (BT-Drucks 2/3080, S 10 zu § 1253) war leitendes Motiv, dass die versicherte Frau vielfach einen Doppelberuf als Arbeitnehmer und Hausfrau erfüllt habe, der eine frühzeitige Abnutzung der Kräfte und damit frühzeitige Berufsunfähigkeit hervorrufe.

3. Zur Rentenreform 1972 und zu dem Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz 1981

Durch das RRG 1972 erfolgte eine Neufassung dieser Vorschriften mit Wirkung ab 1. Januar 1973, ohne hinsichtlich der Frauenaltersrente inhaltliche Änderungen zu bringen. Gleiches gilt für das Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981.

Versicherte, die die Voraussetzungen für das Gestaltungsrecht "Frauenaltersrente" erfüllt hatten und darauf gestützt Altersrente in Anspruch nahmen, erhielten gemäß § 31 Abs 1 AVG bzw § 1254 Abs 1 RVO den vollen Jahresbetrag des Altersruhegeldes, ihre Vorleistung wurde in voller Höhe angerechnet.

II. Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI idF des RRG 1992

A. Gesetzestexte

1. Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene SGB VI (idF des RRG 1992) ersetzte die rentenrechtlichen Vorschriften des AVG bzw der RVO und regelte in § 39 SGB VI die Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Vorliegen ein Gestaltungsrecht einer versicherten Person bestand, die Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können:

Versicherte Frauen haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. das 60. Lebensjahr vollendet haben,

2. nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und

3. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

2. Zugleich bestimmte § 41 Abs 1 SGB VI (idF des RRG 1992):

(1) Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit und für Frauen für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1940 geboren sind, wie folgt angehoben:

Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

... Monate

auf Alter

vorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

1941

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

2

60

2

60

1942

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

5

60

5

60

1943

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

8

60

8

60

1944

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

11

60

11

60

1945

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

14

15

17

61

61

61

2

4

6

60

60

60

1946

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

20

22

24

61

61

62

8

11

60

60

60

1947

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

26

28

30

62

62

62

2

4

6

60

60

60

1948

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

32

34

36

62

62

63

8

11

60

60

60

1949

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

38

40

42

63

63

63

2

4

6

60

60

60

2

4

6

1950

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

44

46

48

63

63

64

8

11

60

60

61

8

11

1951

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

50

52

54

64

64

64

2

4

6

61

61

61

2

4

6

1952

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

56

58

60

64

64

65

8

11

61

61

62

8

11

1953

und später

3. Gleichzeitig wurde der Begriff der "vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente" in die erstmals in der Rentenversicherung enthaltene Regelung zum Zugangsfaktor in § 63 Abs 5 SGB VI (idF des RRG 1992) aufgenommen:

Bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr werden Vorteile oder Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden.

4. Wie dieser Zugangsfaktor bestimmt wird, war für die Altersrenten in § 77 Abs 1 , 2 SGB VI (idF des RRG 1992) geregelt:

(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Entgeltpunkte werden

1. bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,

2. bei den Renten wegen Todes,

3. bei den Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen,

in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0), es sei denn, sie waren bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer vorzeitig in Anspruch genommenen Rente wegen Alters oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten.

(2) Der Zugangsfaktor ist bei Entgeltpunkten, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, für jeden Kalendermonat, für den Versicherte

1. eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch nehmen, um 0,003 niedriger,

2. nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch nehmen, um 0,005 höher als 1,0.

5. Damit wurde durch die Festlegung der individuellen Altersgrenzen in § 41 Abs 1 SGB VI und die Regelungen zum Zugangsfaktor, §§ 63 Abs 5 , 77 SGB VI , für die nach dem 31. Dezember 1940 geborenen Jahrgänge die vorzeitige Inanspruchnahme ua der "Altersrente für Frauen" erstmals mit einer Minderung der Rentenhöhe verknüpft. Die Inanspruchnahme der "Altersrente für Frauen" mit Erreichen der individuellen "regulären" Altersgrenze blieb dagegen sanktionslos.

B. "Gesetzesmaterialien"

1. Dies wurde damit begründet (vgl BR-Drucks 120/89, S 136), dass sich das Rentenzugangsalter deutlich vorverlagert habe und die normale Altersgrenze von 65 Jahren innerhalb von 15 Jahren beinahe zum Ausnahmefall für den Rentenbeginn geworden sei, was sich in längeren Rentenlaufzeiten und einer höheren Anzahl der Rentner niederschlage. Zudem sei auch die Lebenserwartung seit Beginn des Jahrhunderts ständig gestiegen; mit einer weiteren Steigerung sei zu rechnen. Weiter heißt es (BR-Drucks 120/89, S 144), durch eine Flexibilisierung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit könne das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern verbessert und damit die demographisch bedingten Belastungen gemindert werden. Die Altersgrenzen sollen in der Weise flexibilisiert werden, dass die Versicherten bis zu drei Jahre vor der jeweils für sie maßgebenden Altersgrenze eine Altersrente beziehen können. Dabei solle wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten ein Rentenbezug vor den heute geltenden Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit soll durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, sodass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entsteht. Außerdem könnten die Versicherten für Zeiten nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Inanspruchnahme ihrer Altersrente verzichten. Der Zugangsfaktor werde die dadurch bedingte kürzere Rentenlaufzeit zu Gunsten der Versicherten ausgleichen. Der Zugangsfaktor bewirke, dass sich die Rente über ihre gesamte Rentenlaufzeit für jedes Jahr des Vorziehens um 3,6 vH mindere und für jedes Jahr des Verzichts um 6 vH erhöhe.

2. In der Begründung zu § 41 SGB VI (BR-Drucks 120/89, S 163) heißt es:

"Diese Vorschrift, deren Zielsetzung in der allgemeinen Begründung dargestellt ist, regelt die gleichzeitige stufenweise Anhebung der Altersgrenzen von 60 Jahren wegen Arbeitslosigkeit und für Frauen sowie von 63 Jahren für langjährig Versicherte für die Altersrenten, die unter besonderen Voraussetzungen bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden können. ... Einer sofortigen Herabsetzung des frühestmöglichen Rentenalters stehen die nicht unerheblichen Vorfinanzierungskosten für den längeren Rentenbezug entgegen. Allerdings ist künftig bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme, die vor der angehobenen Altersgrenze erfolgt, der zum Ausgleich der längeren Rentenbezugsdauer eingeführte Zugangsfaktor zu beachten. ..."

3. In der Begründung zu § 76 (dem heutigen § 77 SGB VI ) des Gesetzentwurfs (BR-Drucks 120/89, S 172) wird ausgeführt:

"Die Vorschrift regelt den Zugangsfaktor, durch den das Alter des Versicherten beim Rentenzugang in die Rentenberechnung einfließt. Durch den Zugangsfaktor werden die Entgeltpunkte in persönliche Entgeltpunkte umgewandelt und damit zur Grundlage der Ermittlung des Monatsbetrages der Rente gemacht. Der Zugangsfaktor ist grundsätzlich 1,0. Er ist kleiner, wenn der Versicherte eine Altersrente vor der für ihn maßgeblichen Altersgrenze in Anspruch nimmt, er ist größer beim Hinausschieben einer möglichen Altersrente über das 65. Lebensjahr hinaus. ..."

4. Bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (11. Wahlperiode, Protokoll der 85. Sitzung vom 28. April 1989) wurde der Sachverständige Prof. Dr. Ruland zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn befragt (Protokoll, S 75):

"Die nächste Frage, ob die vorgesehenen Änderungen der Zugangsfaktoren ausreichend sind, um die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, müßte ich eher an den Mathematiker weitergeben, der das berechnet. Ich weiß aber, dass bei dieser Berechnung eine Reihe von Annahmen gemacht werden müssen, und wie es so bei Annahmen ist, kann ich sie so oder so gestalten. Die Grenze, die der Gesetzgeber gewählt hat mit den 0,3 % je Monat, ist für die Versicherten, ich würde sagen, eine relativ günstige Regelung. Versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher gesetzt werden können."

In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf von April 1989 (A Drs 1102, Protokolle Bd 3, S 19) führt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zur Höhe des Zugangsfaktors aus:

"Der vorgesehene Abschlag (Rentenzugangsfaktor) ist jedoch mit 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsste der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Ohne Abschläge in einer solchen Größenordnung käme es über die in der Begründung des Gesetzentwurfs (S 144, 163) erwähnten Vorfinanzierungskosten hinaus zu dauerhaften Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, würden dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten tun."

5. Weitere Aussagen finden sich in den "Materialien" über die Ausgestaltung des Zugangsfaktors bzw die Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn nicht.

III. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RuStFöG

Durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (>RuStFöG< BGBl I 1996, 1078 >1082<) wurden die durch das RRG 1992 erfolgte Anhebung der Altersgrenze für Renten wegen Arbeitslosigkeit vorgezogen und beschleunigt, indem sie nunmehr schon ab Jahrgang 1937 und somit ab Rentenzugangsjahr 1997 eintrat. Für rentennahe Jahrgänge und für Frauen traten keine Veränderungen ein.

IV. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des WFG

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 Nr 10 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstumgs- und Beschäftigungsförderungsgesetz >WFG<) vom 25. September 1996 (BGBl I S 1461) wurde in § 41 Abs 2 SGB VI mit Wirkung ab 1. Januar 1997 bestimmt:

Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten für Frauen für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1939 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrenten bestimmen sich nach Anlage 20.

Die mit Anlage 20 eingefügte Tabelle sieht vor, dass die reguläre Altersgrenze für Geburtsjahrgänge ab Januar 1940 je Monat um jeweils einen Monat angehoben wird.

Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente für Frauen

Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um ... Monate

auf Alter

vorzeitige Inanspruchnahme

möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

1940

Januar

1

1

Februar

2

2

März

3

3

April

4

4

Mai

5

5

Juni

6

6

Juli

7

7

August

8

8

September

9

9

Oktober

60

60

November

60

60

Dezember

61

1941

Januar

61

1

Februar

61

2

März

61

3

April

61

4

Mai

61

5

Juni

61

6

Juli

61

7

August

61

8

September

61

9

Oktober

61

60

November

61

60

Dezember

62

1942

Januar

62

1

Februar

62

2

März

62

3

April

62

4

Mai

62

5

Juni

62

6

Juli

62

7

August

62

8

September

62

9

Oktober

62

60

November

62

60

Dezember

63

1943

Januar

63

1

Februar

63

2

März

63

3

April

63

4

Mai

63

5

Juni

63

6

Juli

63

7

August

63

8

September

63

9

Oktober

63

60

November

63

60

Dezember

64

1944

Januar

64

1

Februar

64

2

März

64

3

April

64

4

Mai

64

5

Juni

64

6

Juli

64

7

August

64

8

September

64

9

Oktober

64

60

November

64

60

Dezember

65

1945 und später

65

Für bestimmte, von der Anhebung der Altersgrenzen betroffene Personenkreise wurde ebenfalls durch das WFG mit Wirkung ab 1. Januar 1997 eine Ausnahme- bzw Übergangsregelung in § 237a SGB VI eingefügt:

Die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente für Frauen, die

1.

bis zum 7. Mai 1941 geboren sind und

a)

am 7. Mai 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene

Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder

b)

deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung,

die vor dem 7. Mai 1996 erfolgt ist, nach dem 6. Mai 1996 beendet

worden ist oder

2.

bis zum 7. Mai 1944 geboren sind und auf Grund einer Maßnahme nach Artikel 56

§ 2 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung der Europäischen

Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V), die vor dem 7. Mai 1996

genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind,

wird wie folgt angehoben:

Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

Monate

auf Alter

vorzeitige In-

anspruchnahme

möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

1941

Januar-April

1

1

Mai-August

2

2

September-Dezember

3

3

1942

Januar-April

4

4

Mai-August

5

5

September-Dezember

6

6

1943

Januar-April

7

7

Mai-August

8

8

September-Dezember

9

9

1944

Januar-April

60

60

Mai

60

60

Einer vor dem 7. Mai 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht eine vor diesem Tag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses oder Bewilligung einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich. Ein bestehender Vertrauensschutz wird insbesondere durch die spätere Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses oder den Eintritt in eine neue arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht berührt.

B. "Gesetzesmaterialien"

In der Begründung zum WFG (BT-Drucks 13/4610, S 18) wird die Änderung der rentenrechtlichen Vorschriften vor allem mit der sich seit dem 2. Halbjahr 1995 verschlechternden Finanzsituation der Rentenversicherung gerechtfertigt. Ziel sei es, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, indem die mit dem RRG 1992 bereits beschlossene stufenweise Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen für eine Altersrente zeitlich vorgezogen und beschleunigt wird. Weiterhin heißt es (BT-Drucks 13/4610, S 19), über die im RuStFöG beschlossenen Maßnahmen hinaus seien weitere Maßnahmen zur Einflussnahme auf das tatsächliche Renteneintrittsalter erforderlich. Durch die Vertrauensschutzregelung, dass es für bis zum 7. Mai 1941 geborene Frauen, die am 7. Mai 1996 arbeitslos waren oder deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 7. Mai 1996 erfolgt war, nach dem 6. Mai 1996 beendet worden ist, sollten die rentennahen Jahrgänge über 55 geschützt werden, die im Vertrauen auf eine Altersrente für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres entsprechend disponiert und ihr Arbeitsverhältnis beendet haben (BT-Drucks 13/4610, S. 25).

V. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RRG 1999

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 des Rentenreformgesetzes 1999 ( RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S 2998) wurde der besondere Zugang von Frauen zur Altersrente in Form von § 41 SGB VI ganz abgeschafft. Nach § 237a Abs 1 SGB VI ist eine vorzeitige Inanspruchnahme mit Abschlägen nur noch bis zum Jahrgang 1951 möglich. Die Regelung hinsichtlich der Anhebung der Altergrenzen nach dem WFG 1996 wurde in § 237a Abs 2 SGB VI normiert, die Übergangsregelung für die vor dem 7. Mai 1941/1944 geborenen Frauen in § 237a Abs 3 SGB VI geregelt. Dort wurden in Nr 3 zusätzlich Frauen bis zum Geburtsjahrgang 1941 und mit 45 Jahren an Pflichtbeiträgen bestimmter Art in die Vertrauensschutzregelung aufgenommen.

(1)

Versicherte Frauen haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1.

vor dem 1. Januar 1952 geboren sind,

2.

das 60. Lebensjahr vollendet,

3.

nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeiträge

für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und

4.

die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

(2)

Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten für Frauen für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1939 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrenten bestimmen sich nach Anlage 20.

(3)

Die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente für Frauen wird für Frauen, die

1.

bis zum 7. Mai 1941 geboren sind und

a)

am 7. Mai 1996 arbeitslos waren, Anpassungsgeld für entlassene

Arbeitnehmer des Bergbaus, Vorruhestandsgeld oder Überbrückungsgeld

der Seemannskasse bezogen haben oder

b)

deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung,

die vor dem 7. Mai 1996 erfolgt ist, nach dem 6. Mai 1996 beendet

worden ist,

2.

bis zum 7. Mai 1944 geboren sind und aufgrund einer Maßnahme nach Artikel 56

§ 2 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung der Europäischen

Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V), die vor dem 7. Mai 1996

genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden

sind oder

3.

vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für

eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei § 55 Abs 2

nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen Versicherte wegen des Bezugs von

Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren,

wie folgt angehoben:

Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

Monate

auf Alter

vorzeitige In-

anspruchnahme

möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

vor 1941

60

1941

Januar-April

1

1

Mai-August

2

2

September-Dezember

3

3

1942

Januar-April

4

4

Mai-August

5

5

September-Dezember

6

6

1943

Januar-April

7

7

Mai-August

8

8

September-Dezember

9

9

1944

Januar-April

60

60

Mai

60

60

Einer vor dem 7. Mai 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht eine vor diesem Tag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses oder Bewilligung einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich. Ein bestehender Vertrauensschutz wird insbesondere durch die spätere Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses oder den Eintritt in eine neue arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht berührt.

B. "Gesetzesmaterialien"

1. In der Begründung zu § 237a SGB VI (BR-Drucks 603/97, S 63) heißt es:

"Die Änderung in Absatz 2 Nr. 3 stellt sicher, dass es hinsichtlich der Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente für Frauen der Jahrgänge vor 1942, die 45 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung oder Tätigkeit oder Kindererziehung haben, bei der im Rentenreformgesetz '92 vorgesehenen Regelung verbleibt. Nicht berücksichtigt werden Zeiten, in denen Versicherungspflicht auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bestand."

2. Im Gesetzgebungsverfahren gab es keine gesicherten Erkenntnisse über die mögliche Zahl der von der Regelung Betroffenen. Anlässlich einer Frage des Abgeordneten Urbaniak in der 107. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 16. Juli 1997 (Sitzungsprotokoll, S 43), wie viele Personen von der Übergangsregelung im Gesetzentwurf der Koalition betroffen sein dürften, wonach Versicherte des Jahrgangs 1942 und früher mit 45 Pflichtversicherungsjahren ohne Arbeitslosigkeit die vorzeitigen Altersgrenzen abschlagsfrei in Anspruch nehmen dürften, konnten die Sachverständigen keine konkreten Angaben machen:

Der Sachverständige Prof. Dr. Ruland (Sitzungsprotokoll, S 43) sagte: "Herr Urbaniak, ich muß, was den genauen Umfang des Personenkreises anbetrifft, leider passen. Wir sind immer auf Schätzungen angewiesen." Der Sachverständige, der keinen Schätzwert benannte, sagte zwar zu, sich nachträglich um eine schriftliche Auskunft zu der Frage bemühen zu wollen, jedoch findet sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein Hinweis, dass eine diesbezügliche Auskunft eingegangen wäre. An einer anderen Stelle des Sitzungsprotokolls (S 22) führt der Sachverständige Michaelis aus: "Wir haben kürzlich den Rentenzugang 1995 untersucht und dabei herausfinden wollen, wie viele Versicherte mehr als 45 Versicherungsjahre zurückgelegt haben: In den alten Bundesländern hat etwa die Hälfte aller Männer 45 Beitragsjahre und mehr, jedoch lediglich 2 Prozent der Frauen. In den neuen Bundesländern sind die Zahlen etwas günstiger; da wurden mehr Versicherungsjahre zurückgelegt. 70 Prozent der Männer haben 45 Arbeitsjahre oder mehr zurückgelegt und etwa 16 Prozent der Frauen. Die meisten Frauen in den neuen Bundesländern sind nämlich mit dem 60. Lebensjahr in Rente gegangen, was zur Folge hat, dass nur dann Raum für 45 Versicherungsjahre bleibt, wenn man mit dem 15. Lebensjahr begonnen hat, in die Rentenversicherung einzuzahlen."

VI. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I S 1827) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2001

1. § 63 Abs 5 SGB VI wie folgt geändert:

Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

2. Zugleich wurde auch § 77 SGB VI neu gefasst und ergänzt, ohne dass die Regelungen für Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, inhaltlich geändert wurden.

B. "Gesetzesmaterialien"

In der Begründung (BT-Drucks 14/4230, S 26) zum Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit heißt es hierzu: "Der Zugangsfaktor mindert sich künftig auch dann, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Rente wegen Todes vor dem vollendeten 63. Lebensjahr in Anspruch genommen wird (§ 77)."

VII. Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors

Das BVerfG hat über die Frage der Ausgestaltung des Zugangsfaktors noch nicht entschieden.

Zu dem - hier nicht streitbefangenen - Gestaltungsrecht von Frauen liegt die Entscheidung zu § 25 Abs 3 AVG vom 28. Januar 1987 (BVerfGE 74, 163 >173<) vor. Darin hat der Erste Senat des BVerfG ausgeführt, dass die Unterscheidung bei der Gewährung von Altersruhegeld an Männer und Frauen in ihrer Auswirkung weniger schwer wiege, wenn die Vorschriften über das flexible Altersruhegeld und über das Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit sowie über die Inanspruchnahme von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten vor Vollendung des 65. Lebensjahres berücksichtigt würden. Diese Möglichkeiten hätten dazu geführt, dass durchschnittlich schon mit 58 Jahren Versichertenrenten bezogen würden. Dies sei auch der Grund, weshalb die angegriffene Regelung bislang durchgängig als befriedigend empfunden worden sei.

Ferner hat das BVerfG in seiner Kammerentscheidung vom 3. Februar 2004 (Az: 1 BvR 2491/97, unter http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040203EUR1bvr249197.html = SozR 4-2600 § 237a Nr 1 veröffentlicht) die Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 41 Abs 2 SGB VI idF des WFG (Altersrente für Frauen) nicht zur Entscheidung angenommen und ausgeführt (RdNr 16):

Es sei nicht zu prüfen, ob die im RRG 1992 getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, den Regelzugang zur Altersrente für Mann und Frau gleichermaßen auf das vollendete 65. Lebensjahr festzulegen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen schrittweise ab dem Geburtsjahrgang 1941 vorzunehmen, im Einklang mit dem Grundgesetz stehe. Die Kammer brauche auch nicht zu entscheiden, ob die gesetzliche Gewährung einer ungeminderten Altersrente bei Vollendung eines bestimmten Lebensalters zur grundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft zähle. Selbst wenn dies bejaht würde, stelle die angegriffene Regelung eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar.

Soweit ersichtlich, waren auch die ähnlich ausgestalteten Regelungen des § 14 Abs 3 Beamtenversorgungsgesetz noch nicht spezifischer Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das BVerfG. Das BVerwG hat insoweit entschieden, dass ein Versorgungsabschlag iHv 6 vH des Ruhegehalts selbst für Beamte mit überlanger Dienstzeit auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stößt (BVerwG, Urteil v. 25. Januar 2005, Az: 2 C 48/03). Die Berücksichtigung der Dauer des Bezugs von Versorgungsbezügen nach versicherungsmathematischen Gesichtspunkten verstoße nicht gegen Art 33 Abs 5 GG (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004, Az: 2 C 12/03, DRiZ 2005, 185 ff). Der Zweite Senat des BVerfG hat in seinem Urteil vom 27. September 2005 ( 2 BvR 1387/02) entschieden, dass Art 1 Nr 48 des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 3926) weder gegen Art 33 Abs 5 GG noch gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt. Ein Grund, der es rechtfertigen könnte, das am 23. August 2005 teils beendete, teils ausgesetzte Revisionsverfahren vor dem BSG wieder zu eröffnen, ergibt sich daraus nicht.

3. Teil: Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2003 - soweit durch das Teilurteil nicht verworfen - zurückzuweisen.

1. Abschnitt: Die Revision, die Berufung und die Klagen sind zulässig

I. Die Revision ist zulässig

Gegen die Zulässigkeit der vom LSG zugelassenen Revision der Klägerin bestehen keine Bedenken. Sie hat die Revisionseinlegungsfrist eingehalten, eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung mit Antrag fristgerecht vorgelegt und ist durch das angegriffene Urteil des LSG formell beschwert, weil dieses ihren Berufungsantrag in vollem Umfang zurückgewiesen hat.

II. Die Berufung ist zulässig

Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen ebenfalls keine Bedenken. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt. Die Klägerin ist auch durch das Urteil des SG formell beschwert, weil dieses ihren Klageantrag in vollem Umfang abgewiesen hat.

III. Die Klagen sind zulässig

Die Klagen sind zulässig. Die Klägerin kann ihr Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen die Rentenhöchstwertfestsetzung der Beklagten im Bescheid vom 20. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2002, einer Verpflichtungsklage auf Festsetzung eines höheren Werts des Rechts auf Altersrente unter Anwendung eines Zugangsfaktors von 1,0 sowie einer Leistungsklage auf Zahlung eines höheren monatlichen Geldbetrages verfolgen (§ 54 Abs 1 und Abs 4 SGG ). Sie ist auch formell beschwert, dh klagebefugt, weil ohne nähere Prüfung in der Sache die Möglichkeit besteht, dass sie höhere Altersrente verlangen kann. Sie behauptet, durch die - auch nach ihrer Ansicht - gesetzmäßige Rentenhöchstwertfestsetzung deshalb in einem ihr nach dem SGB VI zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt worden zu sein, weil ihre Vorleistung für die gesamte Rentenbezugsdauer in einem verfassungswidrigen Umfang nicht berücksichtigt werde. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass ihr solche subjektiv-öffentlichen Rechte nach materiellem Rentenversicherungsrecht nicht zustehen oder durch die umstrittenen Gesetzesänderungen nicht verletzt sein können. Da auch das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt worden ist, liegen - wie das SG und das LSG zutreffend gesehen haben - alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vor.

2. Abschnitt: Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig

Auf Grund des vom LSG festgestellten Sachverhalts, an den das Revisionsgericht gebunden ist, hat die Beklagte im Bescheid vom 20. Juni 2001 zutreffend gemäß § 237a Abs 2 SGB VI iVm der Anlage 20 zum SGB VI iVm § 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI entschieden, dass der Zugangsfaktor von 1,0 wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente um 20 Kalendermonate um 0,060 (0,003 Kalendermonat) auf 0,940 abzusenken ist. Nach der sog Rentenformel für den Monatsbetrag der Rente (§ 64 SGB VI ), dh für den Geldwert des Stammrechts auf Rente bei Rentenbeginn, hat sie gemäß § 66 SGB VI die von der Klägerin in 492 Beitragsmonaten erzielten 52,1000 EP zuzüglich von 0,7558 EP für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten mit 0,940 multipliziert und deshalb nur 49,6845 "persönliche EP" nach § 64 Nr 1 SGB VI in die "Formel" eingestellt, ferner hat sie zutreffend den (das Sicherungsziel der Altersrente, den vollen Ausgleich, beschreibenden) Rentenartfaktor von 1,0 und den aktuellen Rentenwert von 49,51 DM berücksichtigt.

Die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 20. Juni 2001 (die anderen in diesem Bescheid verlautbarten Verwaltungsakte über Rentenart, -beginn und -dauer sind nicht angefochten) war somit im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzmäßig. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, der Beklagten könnten Zuständigkeits-, Form- oder Verfahrensfehler oder bei der Anwendung des Gesetzes auf die Klägerin selbstständige Verfassungsverstöße unterlaufen sein. Auf einfachgesetzlicher Grundlage besteht daher der von der Klägerin gegen die Beklagte erhobene Anspruch auf höhere Altersrente nicht.

Hinsichtlich der Bewertung der ersten fünf Versicherungsjahre war das Verfahren auszusetzen, da die Verfassungsgemäßheit des § 54 Abs 3 Satz 2 idF des Art 1 Nr 26 des RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (bis 31. Dezember 1997 § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4a und Satz 2 SGB VI idF des Art 1 Nr 11 Buchst a des WFG vom 25. September 1996 (BGBl I S 1461) bereits Gegenstand eines Vorlagebeschlusses vom 16. Dezember 1999 (Az BVerfG: 1 BvL 10/00; Az BSG: B 4 RA 11/99 R) ist.

3. Abschnitt: Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen ( RRG 1992; WFG; RRG 1999)

Die Gesetzesänderungen zur sozialpolitisch so genannten "Anhebung der Altersgrenze" bei Frauen, auf welche die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat, haben bei ihrem Inkrafttreten rentenversicherungsrechtlich keine subjektiv-öffentlichen Rechte der Klägerin und des von ihr repräsentierten Personenkreises derjenigen Frauen, die bei Inkrafttreten der Änderungen noch kein Gestaltungsrecht auf Altersrente für Frauen und auch kein Anwartschaftsrecht hierauf hatten, verletzt (siehe schon BSG 5. Senat, Urteil vom 25. Februar 2004, B 5 RJ 44/02 R, BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1; Urteile des 8. Senats vom 7. Juli 2004, B 8 KN 3/03 R und B 8 KN 7/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 3 u. 4; Urteile des 13. Senats vom 5. August 2004, B 13 RJ 10/03 R, SozR 4-2600 § 77 Nr 1 und B 13 RJ 40/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 6; Urteil des 5. Senats vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 3/04 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 7; vgl auch schon BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001, B 4 RA 15/00 R, SozR 3-2600 § 237 Nr 1 und Urteil des 4. Senats vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 60/03 R sowie Urteile des 4. Senats vom 5. Juli 2005, B 4 RA 45/04 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, B 4 RA 46/04 R, veröffentlicht in JURIS und B 4 RA 5/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; Brall, Zur Verfassungsmäßigkeit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenze bei der Rente wegen Arbeitslosigkeit, DRV 2003 S 133 bis 145; O'Sullivan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Anhebung des Renteneintrittsalters, SGb 2004 S 209 bis 214; Wenner, Kein schutzwürdiges Vertrauen auf gesetzliche Übergangsregelungen, SozSich 2004 S 177 bis 180; aA Fuchs/Köhler, Ist die zum 1. Januar 1997 erfolgte vorgezogene Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verfassungsgemäß?, Rechtsgutachten, erstattet im Auftrag der IG Metall).

Der 4. Senat des BSG legt - weiterhin - folgende Prüfungsmaßstäbe zu Grunde:

Bloß objektives Recht darf die Gesetzgebung jederzeit ändern. Insoweit unterliegt sie keiner "fachgerichtlichen" Kontrolle. Gestufte Bindungen erfassen sie bei Beeinträchtigungen von subjektiven Rechten der Bürger, die dagegen die Gerichte anrufen können. Diese dürfen dann prüfen, ob eine Rechtsbeeinträchtigung vorliegt und ob ggf das Gesetz verfassungsgemäß (und verfassungsgemäß angewandt worden) ist.

An der Änderung bloß einfachgesetzlich geschützter subjektiver Rechte durch eine lex posterior ist die gesetzgebende Gewalt nur gehindert, wenn sie dabei gegen die verfassungsmäßige Ordnung iS von Art 20 Abs 3 GG , insbesondere gegen die Kerngarantien des "Rechtsstaats" (Willkürverbot, Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeitsgebot) verstößt oder wenn sie gemessen an den Schrankenregelungen der Grundrechte rechtswidrig in Grundrechte eingreift (Art 1 Abs 3 GG ). Da Art 2 Abs 1 GG neben der natürlichen Handlungsfreiheit auch, im jeweiligen Gesetz ggf ausgeprägten Freiheitsbereich der einfachgesetzlich gewährten subjektiven Rechte schützt, gewährt er iVm dem "Rechtsstaatsprinzip" insoweit einen grundrechtlichen Schutz auch dieses Freiheitsgehalts ua gegen die Gesetzgebung. Greift diese in bestehende subjektive Rechte ein, bedarf sie eines hinreichenden Rechtfertigungsgrundes. Ob ein solcher vorliegt, ist unter Beachtung von Art und Intensität des Eingriffs anhand der sog Schrankentrias (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz) zu prüfen. Ein Eingriff in ein (nur) durch Art 2 Abs 1 GG grundrechtlich geschütztes einfachgesetzlich gewährtes subjektives Recht ist demgemäß nur dann verfassungsgemäß, wenn der Eingriff dem Übermaßverbot genügt, also einen verfassungsmäßigen Zweck verfolgt, zur Zweckerfüllung geeignet und erforderlich ist, dh den Betroffenen sowie die Allgemeinheit am wenigsten belastet, und wenn die Verhältnismäßigkeit zwischen dem angestrebten Zweck und der Art und Intensität des Grundrechtseingriffs gegeben ist. Ferner sind auch das grundrechtliche Rückwirkungsverbot, der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG auf seiner jeweils einschlägigen Stufe und die Wechselwirkung zwischen dem Grundrecht und dem grundrechtseinschränkenden Gesetz zu beachten. Dies gilt erst recht, wenn die Existenz und der Schutzbereich eines Individualgrundrechts überhaupt erst durch den Grundrechtsinhalt bestimmende und die Schranken des Grundrechts regelnde Gesetze festgelegt werden, wie zB bei Art 14 Abs 1 GG . Hierbei ist stets zu beachten, dass es "Staatsräson des GG " ist, dem Grundrechtsschutz rechtlich und faktisch grundsätzlichen Vorrang vor sonstigen Zielen vermeintlicher "Staatsräson" einzuräumen. Die Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Bundesgesetzes kann daher "fachgerichtlich" nur geprüft werden, wenn geklärt ist, welches subjektive Recht des Klägers, ggf mit welcher Intensität und in welchem Ausmaß, durch das Gesetz beeinträchtigt wurde.

Die vorgenannten Gesetzesänderungen haben aber (außerhalb der Thematik der Vorlagefragen, die vor allem Art 3 Abs 1 GG betreffen, und, falls diese bejaht werden, überhaupt) keine subjektiven (Freiheits-)Rechte der Klägerin beeinträchtigt, auch Art 2 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG in deren Schutzbereich nicht tangiert. Das BSG ist daher nicht befugt, im Wege einer "abstrakten Normenkontrolle" die Verfassungsmäßigkeit jener Regelungen zu thematisieren.

Dies gilt auch dann, wenn man - entgegen dem einfachen Gesetzesrecht des SGB VI - auch schon die Vorstufen eines Vollrechts auf Regelaltersrente und eines Anwartschaftsrechts hierauf, nämlich die subjektiv-öffentlichen Rechte der Rentenanwartschaft oder des ihr vorgelagerten Anrechts, bereits als "vermögenswerte" subjektive Rechte des einzelnen Versicherten bewerten dürfte und als grundrechtliches Eigentum unter den Schutz des Art 14 Abs 1 GG stellt. Denn wenn das ändernde Gesetz bereits bestehende rentenversicherungsrechtliche subjektive vermögenswerte Rechte nicht beeinträchtigt, kann der Eigentümer nicht in seinem Renteneigentum verletzt sein. Wenn man freilich eine Beeinträchtigung des Renteneigentums annähme (so wohl BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Februar 2004, SozR 4-2600 § 237a Nr 1), wäre die Rechtfertigungsprüfung anhand erheblich strengerer Maßstäbe durchzuführen als bei einer Beeinträchtigung des Art 2 Abs 1 GG , da die Grundrechtsgarantien aus Art 2 Abs 1 und Art 14 Abs 1 und demgemäß auch die Anforderungen an die Rechtfertigung sich erheblich unterscheiden. Es liegt aber - wie sogleich aufzuzeigen ist - keine Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts eines rentenversicherungsrechtlichen subjektiven Rechts vor. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art 3 Abs 1 GG vorliegt, wenn die Gesetzgebung inhaltsbestimmende Gesetze iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG gleichheitswidrig ausgestaltet (siehe dazu unten 4.Teil).

I. Keine Verletzung eines vor der Entstehung des Vollrechts zum 1. September 2001 gegebenen subjektiven Rechts der Klägerin schon mangels Rechtsbeeinträchtigung

Die gesetzmäßige Rentenhöchstwertfestsetzung vom 20. Juni 2001 hat keinen gesetzlichen Eingriff in ein rentenversicherungsrechtliches subjektiv-öffentliches Recht der Klägerin konkretisiert, das vor dem Entstehen des Vollrechts auf Rente mit Beginn des 1. September 2001 bestanden hätte und in seinem Inhalt von dem seit den 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen (dazu oben 2. Teil, II. bis VI.) zu ihrem Nachteil verändert worden wäre. Da die Klägerin kein subjektiv-öffentliches Recht gegen die Beklagte auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages oder eines wirksamen Verwaltungsaktes hatte, kommen als möglicherweise verletzte subjektive Rechte nur solche des materiellen Gesetzesrechtes in Betracht. Eine "Rechtsverletzung" ist eine rechtswidrige Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts. Eine Rechtsbeeinträchtigung in einem rentenversicherungsrechtlichen Recht liegt nicht vor und schon deshalb keine Rechtsverletzung, ohne dass es auf "Rechtfertigungsgründe" ankäme.

Da die Klägerin ausweislich ihres Antrags die durch das RRG 1992 für Bezugszeiten ab 1. Januar 2001 neu gestaltete Rechtslage (dazu oben 2. Teil, II.) hinnimmt und einen Zugangsfaktor von 0,994 beansprucht (§ 123 SGG ), ist zu prüfen, ob sie bei Inkrafttreten der nachfolgenden Gesetzesänderungen am 1. August 1996, am 1. Januar 1997 und am 1. Januar 2000 Inhaberin eines subjektiv-öffentlichen Rechts gegen die Beklagte war, das durch diese Änderungen beeinträchtigt wurde; ggf ist insoweit zu prüfen, ob die Gesetzesänderungen im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens verfassungswidrig waren. Die genannten Gesetzesänderungen haben die Klägerin schon in keinem ihr gegen die Beklagte zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht beeinträchtigt, ein solches also erst recht nicht verletzt.

Ein materiell-rechtliches subjektiv-öffentliches Recht liegt auch im Sozialverwaltungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) nur vor, wenn eine Rechtsnorm die Interessen eines Bürgers schützt und sie diesen Schutz nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch im Privatinteresse des Einzelnen bezweckt. Davon ist gemäß § 38 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch ( SGB I ) stets auszugehen, wenn der Leistungsträger gesetzlich verpflichtet ist, eine Leistung zu erbringen ("gebundene Verwaltung"). Demgemäß liegt kein subjektiv-öffentliches Recht vor, wenn rentenversicherungsrechtliche Normen lediglich faktisch die Interessen von Versicherten begünstigen (sog Rechtsreflex), also eine ihm günstige Rechtslage herbeiführen oder gar nur eine bloße Aussicht auf Begünstigung vermitteln. So liegt es hier; die Klägerin hatte bei Inkrafttreten der Änderungen kein subjektives Abwehr- oder Leistungsrecht, das davon beeinträchtigt worden wäre; sie hatte vielmehr auf Grund der objektiven Rechtslage nur die bloße Aussicht, nach Vollendung von 60 Lebensjahren (Ablauf des 22. August 2001) bei Erfüllung weiterer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen, frühestens ab 1. September 2001 (wie geschehen) Altersrente in Anspruch nehmen zu können und keine Kürzung ihres Vorleistungswertes durch Minderung des Zugangsfaktors hinnehmen zu müssen.

II. Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG

Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe schon vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente Renteneigentum iS von Art 14 Abs 1 GG gehabt, weist dies in das einfache Gesetzesrecht zurück. Denn nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG werden der Inhalt und die Schranken des Eigentums durch das einfache Gesetz bestimmt. Art 14 Abs 1 GG schützt (abgesehen von der sog Institutsgarantie) nur durch das einfache Gesetz begründete subjektive vermögenswerte Rechte unter weiteren Voraussetzungen. Art 14 Abs 1 GG schafft nicht selbst Renteneigentum, sondern schützt nur das durch ein Gesetz begründete Renteneigentum.

III. Keine Beeinträchtigung eines Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" oder eines Anwartschaftsrechts hierauf

Die zum 1. August 1996, 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen haben kein Gestaltungsrecht der Klägerin und kein Anwartschaftsrecht hierauf beeinträchtigt. Denn ein solches Recht hatte die Klägerin noch nicht.

Sie hat erst mit Ablauf des 22. August 2001 das 60. Lebensjahr vollendet, also die Altersgrenze erreicht, von der ab überhaupt erst die Voraussetzungen für das Gestaltungsrecht erfüllt sein können, falls nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre mit Pflichtbeitragszeiten vorliegen und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt wurde. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, ist aber das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet, entsteht - frühestens ab Beginn des 55. Lebensjahres - ein Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht, ein Recht auf Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können. Dieses Gestaltungsrecht besteht in der Rechtsmacht, durch eigene Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger für diesen verbindlich festzulegen, dass der Versicherungsfall des Alters (abweichend vom gesetzlichen Regelfall der Vollendung des 65. Lebensjahres) "frühzeitig" eingetreten ist. Mit dem ("gewillkürten") Eintritt des Versicherungsfalles entsteht - wie stets in der GRV - das Recht (Stammrecht; Vollrecht) auf Altersrente, wenn - wie hier - die Wartezeit erfüllt ist.

Der Versicherungsfall des Alters besteht seit dem Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl S 97) nicht etwa in einer wegen Alters vermuteten Erwerbsunfähigkeit, sondern in der Unzumutbarkeit des Einsatzes der vorhandenen Erwerbsfähigkeit, die wegen der mit dem Alter üblicherweise verbundenen Erschwernisse von der Gesellschaft (derzeit ab Vollendung des 65. Lebensjahres) angenommen wird. Versicherte, die unter besonderen Beschwernissen ihr Arbeitsleben verbracht haben oder besonders langjährig versichert waren, haben unter den für die verschiedenen Gruppen ausgestalteten besonderen gesetzlichen Voraussetzungen die Rechtsmacht erhalten, selbst den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die weitere Erwerbsarbeit für sie unzumutbar wird; wenn sie diese Entscheidung durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung treffen, entsteht das Stammrecht auf Altersrente. Dessen Rechtsfrüchte, die monatlichen Einzelansprüche, können sie mittels eines Rentenantrags (§ 99 SGB VI ) geltend machen. Die einzige Rechtsfolge der Ausübung des Gestaltungsrechts (hier: auf Frauenaltersrente) ist somit der Eintritt des Versicherungsfalls des Alters und damit die Entstehung des Stammrechts auf Altersrente, wie bei der Klägerin geschehen.

Hieran haben die gesetzlichen Vorschriften für Frauen, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, nichts geändert. Auch die Klägerin hat mit Vollendung ihres 60. Lebensjahres zum Beginn des darauf folgenden Monats dieses Gestaltungsrecht ausgeübt und ein Stammrecht auf Altersrente erlangt. Die Änderungen haben seit 1992 rechtlich ausschließlich den Geldwert des entstandenen Stammrechts auf Altersrente betroffen, weil sie - in unterschiedlichem Maße - eine Kürzung der Anrechnung der Vorleistung des Versicherten bei der Rentenhöhe vorsehen. Diese Änderungen betreffen daher ausschließlich den Geldwert eines entstandenen Vollrechts auf Altersrente (und nicht das Gestaltungsrecht).

IV. Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft oder eines Anwartschafts-rechts

Es kann dahingestellt bleiben, ob die im August 1941 geborene Klägerin bereits vor dem 1. Januar 1997 ein Anwartschaftsrecht auf Altersrente oder aber eine bloße Rentenanwartschaft hatte. Denn diese subjektiv-öffentlichen Rechte sind durch die Gesetzesänderungen nicht beeinträchtigt worden, weil ihr Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) davon nicht berührt wurde. Rentenanwartschaft und Anwartschaftsrecht auf Rente sind subjektiv-öffentliche Rechte, die dem Versicherten im Versicherungsverhältnis mit dem Versicherungsträger bereits im Vorleistungsstadium kraft Gesetzes zustehen, also bevor ein Versicherungsfall eintritt und infolgedessen ein Stammrecht (Vollrecht) auf Rente mit der Pflicht des Versicherungsträgers entsteht, die geschuldeten Versicherungsleistungen zu erbringen.

1. Zum Bestand einer Rentenanwartschaft

Der Klägerin stand jedenfalls eine Rentenanwartschaft zu, weil sie die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte (zusammenfassend zur Rentenanwartschaft als subjektiv-öffentliches Recht BSGE 92, 113 , 125 ff, 130 ff).

Das rentenversicherungsrechtliche Sozialversicherungsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ist ein Dauerrechtsverhältnis und ein bedingtes Austauschverhältnis. Der Versicherte muss über eine Mindestzeit (sog Wartezeit) die gesetzlich vorgesehene Vorleistung (durch Erfüllung von Tatbeständen sog rentenrechtlicher Zeiten) erbringen; die (Gegen-)Leistungspflicht des Versicherungsträgers ist jedoch bedingt durch den Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles; er muss die gesetzlich versprochenen Versicherungsleistungen nur erbringen, wenn der Versicherungsfall eingetreten und damit das Vollrecht des Versicherten entstanden ist. Das bedeutet für den Versicherten in der Vorleistungsphase vor Eintritt des Versicherungsfalles jedoch nicht, dass ihm im Blick auf die von ihm später möglicherweise beanspruchbaren Versicherungsleistungen noch kein subjektiv-öffentliches Recht - außer Nebenrechten auf Beratung, Auskunft etc - zustünde.

2. Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft

Im Kernsystem der pflichtversicherten Selbstständigen und Beschäftigten bewertet das Gesetz materiell-rechtlich kalenderjährlich die Vorleistung des Versicherten in ihrem relativen Wert zur durchschnittlichen Vorleistung der pflichtversicherten Arbeitnehmer und bemisst dies in der "Kunstwährung der EP", die in jedem Kalenderjahr jedenfalls in ihrem Mindestwert feststehen und Jahr für Jahr zusammengezählt (addiert) werden. So wächst die Summe dieser rein relativen Vorleistungswerte im Vergleich zu den zeitgleich Versicherten Kalenderjahr für Kalenderjahr an. Sie drückt das Verhältnis aus, in dem der Versicherte im Vergleich zum Durchschnitt der Arbeitnehmer zur Erwirtschaftung der Erträge der Unternehmen beigetragen hat, aus denen in jedem Kalenderjahr jeweils die Rentenversicherungsträger durch Beiträge der Arbeitgeber und der Selbstzahler ua die Renten an die Rentner bezahlt haben. Da die Vorleistung dem Versicherten im Kernsystem der GRV, die eine Zwangsversicherung ist, nicht als rein fremdnütziges Sonderopfer auferlegt werden darf, muss dem Einzelnen rechtlich garantiert werden, dass sie später nach denselben Grundsätzen berücksichtigt wird, die während der Vorleistungsphase für die Versicherungsleistungen an die Rentner galten (Systemversprechen).

Dies bedeutet gerade keine - systemwidrige - Festschreibung der einzelnen Versicherungsleistungen nach Art und Höhe, wie sie jeweils in der Vorleistungsphase bestanden haben, sondern allein die Fortführung der systemprägenden Grundsätze. Dazu gehören ua ein ausreichender Versicherungsschutz bei krankheits- oder behinderungsbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit, eine Altersversicherung bei altersbedingter Unzumutbarkeit des weiteren Einsatzes vorhandener Erwerbsfähigkeit und eine Lebensversicherung des Versicherten auf den eigenen Todesfall zu Gunsten des Ehegatten und der unterhaltsberechtigten Kinder (sog Hinterbliebenenversicherung), ferner das Rentnerlohnprinzip, das den Rentnern eine Rentenhöhe in der Nähe der aktiven Versicherten gewährleistet, die im Wesentlichen von den relativen Vorleistungswerten des einzelnen Rentners sowie dynamisch von dem Arbeitsverdienst der aktuell Beschäftigten abhängt. Demgemäß betonen (derzeit) ua die §§ 34 , 63 Abs 1 bis 3 SGB VI den engen Zusammenhang zwischen der kalenderjährlich für eine Mindestzeit (Wartezeit) erbrachten relativen Vorleistung mit dem nur unter der Bedingung des Eintritts des Versicherungsfalles ggf entstehenden Stammrecht auf Rente und dessen Geldwert. Daraus wird ersichtlich, dass das Gesetz dem Versicherten schon in der Vorleistungsphase nach Ablauf der Mindestversicherungszeit (allgemeinen Wartezeit), nach der die Entstehung eines Stammrechts bei Eintritt eines Versicherungsfalls möglich ist, die Befugnis zuerkennt, seine Lebensführung und Lebensplanung auf das Systemversprechen einzustellen. Denn es ist - anders als im Fürsorgerecht - gerade Aufgabe der GRV, den - ggf um Beitragszahlungen bei Selbstzahlern und uU Beitragsabzügen bei Beschäftigten verminderten - Arbeitsverdienst von weiteren Vorsorgekosten für krankheitsbedingte/behinderungsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, Alter und im Falle des Todes für den Unterhalt des Ehegatten und der Kinder nach Maßgabe der Systemgrundsätze freizustellen, die in der Vorleistungsphase galten. In diesem Sinne wird ihm ein Teilhaberecht zugeordnet, dessen Wert nicht in Geldbeträgen, sondern in Verhältniswerten (EP) bemessen ist, und ihm gewährleistet, nach Eintritt eines Versicherungsfalls einen "Rentnerlohn" in einem entsprechenden Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der dann aktiven Arbeitnehmer zu erhalten, und ihn deshalb vor nachträglichen Entwertungen der bereits kraft Gesetzes erlangten Rangstelle schützt.

3. Die Rentenanwartschaft schützt keine Aussicht auf Sonderrechte

Hingegen erfasst der Zuweisungsgehalt der Rentenanwartschaft und des Anwartschaftsrechts keine Sonderrechte, deren Entstehung (nicht etwa erst deren Bestand) von der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen abhängt, solange diese noch nicht erfüllt sind. Die Rentenanwartschaft kann allein durch die allgemein erforderliche Vorleistung und durch Zeitablauf in ein solches Sonderrecht nicht erstarken. Die durch das RRG 1992 in der Altersversicherung neu gefassten Gestaltungsrechte für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige (§ 37 SGB VI ), für Langzeitarbeitslose und Anpassungsgeldempfänger (§ 38 SGB VI ) und für Frauen (§ 39 SGB VI ) setzen jeweils zu ihrer Entstehung voraus, dass der Versicherte Schwerbehinderter, berufsunfähig oder erwerbsunfähig oder lange Zeit arbeitslos gewesen ist bzw Anpassungsgeld bezogen und in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeitragszeiten oder - bei Frauen - nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeitragszeiten hat. Das - andersartige - Sonderrecht für langjährig Versicherte setzt die Erfüllung einer besonders langen Wartezeit voraus (§ 36 SGB VI ). Rentenanwartschaftsinhaber, welche diese Zusatzvoraussetzungen für die Sonderrechte nicht erfüllen, erlangen - wie es das SGB VI gerade als Regelfall vorschreibt - erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres das Stammrecht (Vollrecht) auf RAR. Im Übrigen hängen alle Sonderrechte auch von deutlich höheren Vorleistungszeiten (Wartezeiten) ab, als es die Entstehung eines Stammrechts auf RAR voraussetzt. Schon deshalb gehört der Fortbestand derartiger Sonderrechte, die für einige Versicherte in der Zukunft vielleicht entstehen können, nicht zum individuellen subjektiv-rechtlichen Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft jedes Versicherten, solange die Zusatzvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

4. Keine Beeinträchtigung eines subjektiv-rechtlich geschützten Vermögenswertes

Die von der Klägerin angegriffenen Gesetzesänderungen haben sie auch nicht in einem vermeintlichen "Vermögenswert" ihrer Rentenanwartschaft oder in dem ihres Anwartschaftsrechts auf Rente beeinträchtigt.

a) Die Rentenanwartschaft hat auch in der Altersversicherung keinen individuell konkretisierten Vermögenswert. Es gibt keinen auch nur hypothetisch benennbaren Geldwert, welcher einer Rentenanwartschaft kraft Gesetzes bereits konkret zugewiesen wäre, sodass der Anwartschaftsinhaber über ihn verfügen oder ihn zur verlässlichen Grundlage konkreter Vermögensverfügungen machen könnte. Dieses subjektiv-öffentliche Recht hat nur einen abstrakten Vermögenswert, der darin besteht, dass seine Inhaber nach Maßgabe des Systemversprechens von weiteren Vorsorgeaufwendungen aus ihrem Arbeitsverdienst aus versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit absehen können. Ob diese abstrakte wirtschaftliche Nützlichkeit, die dem Einzelnen keine der Vermögensfreiheit unterfallenden konkreten Befugnisse vermittelt, ausreicht, Grundrechtsschutz aus Art 14 Abs 1 GG zu begründen, kann hier offen bleiben.

b) Denn auch wenn die Klägerin schon zum 1. Januar 1997 ein Anwartschaftsrecht auf Altersrente erlangt hatte, ist sie von keiner der angegriffenen Gesetzesänderungen in dessen Vermögenswert beeinträchtigt worden. Dem Anwartschaftsrecht hat § 109 SGB VI (in jeder seit 1992 gültigen Fassung) einen hypothetischen Vermögenswert mit der Bestimmung zugeordnet, dass dieser eine Grundlage - wenn auch kein Objekt - von Vermögensverfügungen des Versicherten sein soll. Denn den Versicherten, die das 54. Lebensjahr vollendet haben, muss der Versicherungsträger nicht nur mitteilen, welche Vorleistungen sie erbracht und welchen relativen Wert, welche Rangstelle, sie erlangt haben, sondern er muss auch den Wert einer auf den Auskunftszeitpunkt bezogenen fiktiven RAR mitteilen; sodann muss er auf Antrag des Versicherten, der prüft, ob er von Sonderrechten Gebrauch machen will, die Höhe der erforderlichen Beitragszahlung (meist mehrere Zehntausend Euro) mitteilen, die zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters erforderlich ist, sowie über die ihr zu Grunde liegende fiktive Altersrente. Dadurch soll der Versicherte eine verantwortliche Vermögensentscheidung über seine Altersvorsorge auf der Kalkulationsgrundlage einer fiktiven RAR treffen können. Somit weist das Gesetz der - bislang nur abstrakt vermögenswerten - Rentenanwartschaft jetzt einen konkreten, wenn auch hypothetischen (Mindest-)Vermögenswert als konkrete Grundlage für Vermögensverfügungen von erheblichem wirtschaftlichen Wert zu; dadurch wird die Rentenanwartschaft zu einem vermögenswerten Recht des einzelnen Versicherten, das zweckmäßigerweise auch terminologisch von der bloßen Rentenanwartschaft zu unterscheiden ist. Hierfür bietet sich der Ausdruck "Anwartschaftsrecht" an.

In diesen Vermögenswert hat aber keine der Gesetzesänderungen eingegriffen, weil sie sich darauf beschränken, Abschläge vom Zugangsfaktor 1,0 auszugestalten, falls die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch genommen wird. Der hypothetische (Mindest-)Geldwert, der dem Anwartschaftsrecht im vorgenannten Sinne zugewiesen ist, ist jedoch der Geldwert eines "normalen" Stammrechts (Vollrechts) auf RAR, das erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres entsteht und dessen Geldwert stets unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von (mindestens) 1,0 bestimmt ist. Die Gesetzesänderungen betreffen also - wie bereits gesagt - ausschließlich den Geldwert eines entstandenen Vollrechts auf Altersrente, wenn dessen Entstehung "vorzeitig" herbeigeführt wurde.

5. Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit

Auch die allgemeine Handlungsfreiheit der Klägerin aus Art 2 Abs 1 GG wird durch die Gesetzesänderungen nicht beeinträchtigt. Dies liegt für die sog natürliche Handlungsfreiheit auf der Hand. Soweit Art 2 Abs 1 GG iVm dem sog Rechtsstaatsprinzip vor verfassungswidrigen Belastungen einfachgesetzlich gewährter subjektiver Rechte schützt, liegt keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte der Klägerin vor; denn subjektive einfachgesetzliche Rechte der Klägerin, welche durch die angegriffenen Gesetzesänderungen beeinträchtigt und ggf verletzt werden könnten, standen der Klägerin - wie ausgeführt - nicht zu. Ein subjektives Recht des Einzelnen, auf den Fortbestand einer objektiven Gesetzeslage vertrauen zu können, die ihm günstig ist und Aussichten auf den späteren Erwerb von Rechten vermittelt hat, gibt es nicht. Soweit das objektive Recht nicht zugleich dem Einzelnen auch subjektive Rechte vermittelt, berühren Gesetzesänderungen subjektive Rechte nicht und können sie schon deshalb nicht verletzen

6. Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen

Ein allgemeines subjektives Recht des Einzelnen gegen den Staat auf Unterlassung als nachteilig empfundener Gesetzesänderungen gibt es nicht. Ein konkretes Unterlassungsrecht gegen die gesetzgebende Gewalt wurde für die Klägerin auch nicht dadurch begründet, dass das RRG 1992 ua das seit 1957 bestehende Gestaltungsrecht für Frauen (in der Arbeiterrentenversicherung seit 1942) wirtschaftlich unattraktiver gemacht hat. Falls das Gestaltungsrecht "vorzeitig" ausgeübt und dadurch ein Stammrecht auf Altersrente begründet wird, wird dessen Geldwert dadurch gekürzt, dass ein Teil der individuellen Vorleistung dauerhaft unberücksichtigt bleibt. Dies geschieht mittels Absenkung des Zugangsfaktors. Das RRG 1992 hat dabei den Beginn der Wirksamkeit dieser Rechtsänderung aufschiebend auf Bezugszeiten ab 1. Januar 2001 befristet. Das Gesetz hat aber durch diese aufschiebende Befristung keine subjektiv-öffentlichen Rechte der einzelnen Versicherten gegen die gesetzgebende Gewalt des Bundes etwa mit dem Inhalt begründet, eine Verkürzung dieser aufschiebenden Frist oder eine Neugestaltung der Übergangsregelung zu unterlassen. Da die neue, aufschiebend befristete Übergangsregelung bei ihrem Inkrafttreten in kein bestehendes Gestaltungsrecht und in kein Anwartschaftsrecht hierauf einwirkte, handelte es sich objektiv um eine Billigkeitsregelung, mit der politisch/sozialpsychologisch zugleich einer schon damals die Gesetzeslage zu gesetzesfremden Zwecken ausnutzende "Frühverrentungspraxis" und einer entsprechenden gesetzesfremden Erwartungshaltung entgegengewirkt werden sollte. Eine objektive Selbstbindung des damaligen Deutschen Bundestages, er selbst und seine Nachfolger dürften die Abschlagsregelung weder vorziehen noch ändern, ist dadurch nicht verlautbart worden. Erst recht fehlt jeder Hinweis darauf, es solle den einzelnen Versicherten ein einklagbares Recht auf Unterlassung solcher Änderungen zugestanden werden.

Die von der Klägerin angegriffenen Abschlagsregelungen seit dem RRG 1992, die das Revisionsgericht in der zuletzt durch das SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (dazu oben 2. Teil, VI.) neuen Fassung des § 77 SGB VI als Prüfungsmaßstab zu Grunde zu legen hat, haben somit kein subjektiv-öffentliches Recht der Klägerin beeinträchtigt, das vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente mit Wirkung zum 1. September 2001 bestanden hat; ein solches Recht können sie daher erst recht nicht verletzt haben.

4. Abschnitt: Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, liegt auch keine verfassungswidrige Ausgestaltung des Geldwerts des Vollrechts (Stammrechts) auf Altersrente vor, das für die Klägerin zum 1. September 2001 entstanden ist.

I. Kein gesetzlicher Eingriff in den Gewährleistungsgehalt des Vollrechts

Die von der Klägerin angegriffenen gesetzlichen Regelungen können schon deshalb keinen Substanzeingriff in den Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) dieses Vollrechts enthalten, weil dieses subjektive Recht erst unter ihrer Geltung entstanden ist. Sie sind die materiell-rechtlichen Regelungen, die erstmals den Geldwert dieses Vollrechts festgelegt haben. Das Gesetz, das dem Bürger ein subjektiv-öffentliches Recht zuerkennt, kann als erstes rechtsbegründendes Gesetz nicht selbst durch eine bestimmte Regelung (hier: Zuweisung eines bestimmten Zugangsfaktors) Rechtsmacht zuweisen und zugleich selbst in diese eingreifen. Schon deshalb liegt kein gesetzlicher Eingriff in den durch dasselbe Gesetz zugeordneten Vermögenswert vor.

II. Keine Verletzung des Grundrechts auf Gleichheit vor dem Gesetz durch gleichheitswidrige Zuordnung von Vollrechten

1. Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung

Das Fehlen einer Substanzbeeinträchtigung schließt aber nicht aus, dass der Vermögenswert des eigentumsgeschützten Vollrechts zum Nachteil des Rechtsinhabers unter Verstoß gegen sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 GG ) gleichheitswidrig ausgestaltet ist. Denn eine gleichheitswidrige Zuweisung von subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt das Recht eines jeden Versicherten auf Gleichheit vor dem Gesetz.

§§ 237a Abs 2 Satz 2, 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI unterscheiden zwischen einer "vorzeitigen Inanspruchnahme" und einer "nichtvorzeitigen Inanspruchnahme" der Altersrente und mittels § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI außerdem zwischen dem hinausgeschobenen Bezug einer RAR (Zugangsfaktor erhöht) und einer vor Vollendung des 65. Lebensjahres und insoweit "frühzeitig", aber nicht "vorzeitig" in Anspruch genommenen Altersrente. Der erkennende Senat hat sich bei der hier allein zu prüfenden Abschlagsregelung nach Ausübung des Gestaltungsrechts für Frauen im Ergebnis nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugen können, dass die Zuweisung unterschiedlicher Vermögenswerte trotz gleicher Vorleistung an Regelaltersrentner, frühzeitige Rentner ohne Abschlag und an vorzeitige Rentner und die daran anknüpfenden weiteren Ungleichbehandlungen innerhalb der Gruppe der "vorzeitigen" Rentner (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Ungleichbehandlungen) für die Übergangszeit bis zur völligen Abschaffung dieses Sonderrechts ab 2017 mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar sind.

2. Keine Verfassungswidrigkeit der Abschaffung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen"

Seit dem 1. Januar 2000 ist gesetzlich entschieden, dass das Gestaltungsrecht "Altersrente für Frauen" mit Wirkung für Bezugszeiten ab 1. Januar 2017 vollständig und ersatzlos abgeschafft wird. Gründe, die zwingen, diese Entscheidung für verfassungswidrig zu halten, liegen nicht vor. Da die Entscheidung zur Abschaffung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" bei ihrem Inkrafttreten kein damals bestehendes Gestaltungsrecht und keine Anwartschaft hierauf abgeschafft hat, liegen keine überzeugenden Gründe für die Annahme vor, die Abschaffungsentscheidung sei grundrechtswidrig. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass die grundsätzliche, durch den Gesetzgeber für Frauen geschaffene Möglichkeit, zu einem früheren Zeitpunkt als Männer das Gestaltungsrecht auf Rente auszuüben, vor Art 3 Abs 2 GG nicht verfassungswidrig ist, solange dadurch Nachteile ausgeglichen würden, die auch auf biologische Unterschiede zurückgehen, wie z.B. die typischen Unterbrechungen des Erwerbslebens durch Schwangerschaften, Geburt und Kindererziehung, weshalb Frauen häufig mit 63 Jahren über keine 35jährige Versicherungszeit verfügten und daher das flexible Altersruhegeld nicht in Anspruch nehmen könnten. Zugleich hat es aber darauf hingewiesen, dass der Wandel in den tatsächlichen Verhältnissen, der sich bereits vollzogen habe und noch vollziehe, erwarten lasse, dass diese rechtfertigenden Umstände an Bedeutung verlieren würden und es dem Gesetzgeber obliege, Zeitpunkt und Art der Folgerungen daraus zu ziehen (BVerfG, DAngVers 1987 S 189, 191 f). Damit war die Verfassungsmäßigkeit des - systemgerechten - Vorteils, ein solches Gestaltungsrecht zu haben, bestätigt, die des - systemwidrigen - Vermögensvorteils aber nicht einmal angesprochen.

3. Gebotenheit der Verfassungsgemäßheit der aus Billigkeit getroffenen Übergangsregelung

Auf dieser Grundlage war der Senat nicht davon überzeugt, dass die Differenzierungen in den Übergangsregelungen bis zur völligen Abschaffung dieses Gestaltungsrechts gleichheitswidrig waren (mit Ausnahme der Vorlagethemen), obwohl in mehrfacher Hinsicht Differenzierungen zwischen Personen vorgenommen werden, deren Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz bei einer auf Dauer angelegten Gesetzgebung fraglich ist. Allerdings kann allein aus dem Umstand, dass das Gesetz das Gestaltungsrecht "Altersrente für Frauen" schon 1999 hätte abschaffen können, nicht gefolgert werden, eine Übergangsregelung dürfe in sich verfassungswidrig ausgestaltet sein. Einer solchen Übergangsregelung bedurfte es allerdings nicht, weil - wie gesagt - ein Eingriff in bestehende Rechte mit der Abschaffungsentscheidung nicht verbunden war. Entscheidet sich der Gesetzgeber aus Billigkeit und aus Gründen des politischen "Vertrauensschutzes", der die allgemeine Akzeptanz einer künftig wirksam werdenden Änderung fördern soll, dazu, ein Rechtsinstitut - ohne Eingriff in subjektive Rechte - nicht sofort, sondern erst nach einer Übergangszeit mittels einer Übergangsregelung abzuschaffen, muss diese - verfassungsrechtlich nicht gebotene - Übergangsregelung gleichwohl selbst den Anforderungen der Verfassung genügen; sie ergeht nicht in einem "verfassungsfreien" Raum. Dabei muss andererseits stets berücksichtigt werden, dass es gerade Aufgabe einer Übergangsregelung ist, die Betroffenen nach ihrer sachlichen und zeitlichen Nähe zum Erwerb eines im abzubauenden Institut vorgesehenen Rechts sachangemessen ungleich zu behandeln.

Der Senat, der - nur - die Übergangsregelungen für die "Altersrente für Frauen" und dabei nur die Verschiebungen der Grenze zwischen ungekürztem und gekürztem Geldwert des Stammrechts, also die gleitenden Verschiebungen der "Vorzeitigkeit" im Vergleich zu den Gruppen von Altersrentnern ohne Abschläge zu prüfen hat, hält die Differenzierungen nach Ausmaß und Intensität für noch nicht gleichheitswidrig.

4. Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres

Seit 1942/1957 führte die Ausübung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" zum Entstehen eines Stammrechts auf Altersrente, dessen Geldwert (Monatsbetrag der Rente) unvermindert war, obwohl die Berechtigte mindestens einen Monat und höchstens 60 Monate zusätzliche Rentenbeträge erhielt. Sie hatte also einen zusätzlichen Vermögensvorteil im Vergleich mit einem Versicherten, der mit gleicher Vorleistung RAR bezog. Ihr Vorteil gegenüber dem RAR-Rentner bzw der RAR-Rentnerin bestand erstens in dem - systemgemäßen - Recht, Altersrente überhaupt schon vor Eintritt des gesetzlich bestimmten (Regel-)Versicherungsfalls der Vollendung des 65. Lebensjahres beziehen zu dürfen; zweitens wurde ihr darüber hinaus auch der Vermögensvorteil zuerkannt, bis zu 60 Kalendermonate an weiteren Rentenbeträgen zusätzlich zur RAR ohne besondere Vorleistung hierfür zu erhalten. Dies galt auch dann, wenn sie dieselbe Vorleistung wie ein Versicherter erbracht hatte, der erstmals kraft Gesetzes mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein Stammrecht auf Altersrente erlangte. Das Gesetz behandelte also alle "vorzeitigen Altersrentner" auch bei der "Altersrente für Frauen" untereinander gleich und bevorzugte sie - ohne Rechts- oder Sachgrund und zu Lasten der Beitragszahler - auch im Vermögenswert (bis zu 60 zusätzliche Rentenbeträge) gegenüber Regelaltersrentnern mit gleicher Vorleistung für die GRV. Es bedarf heute keiner Prüfung mehr, ob diese krass systemwidrige Ungleichbehandlung im Vermögenswert trotz gleicher Vorleistung verfassungsgemäß war. Für die hier streitgegenständliche Altersrente für Frauen wurde das in der Entscheidung des BVerfG von 1987 (BVerfG, DAngVers 1987 S 189) nicht beanstandet, aber auch nicht einmal andeutungsweise geprüft. Das Gesetz schafft jedenfalls diese Systemwidrigkeit gerade ab.

5. Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "nicht vorzeitigen" frühzeitigen Rentner

Seit dem 1. Januar 1997 unterscheidet das Gesetz auch innerhalb der Gruppe derjenigen, welche die Inanspruchnahme der "Altersrente für Frauen" vorziehen können. Diejenigen, welche die Rente nach den Tabellenwerten "vorzeitig" beziehen, müssen dauerhaft, dh für die gesamte Dauer des Altersrentenbezuges (und einer Hinterbliebenenrente), einen Abschlag vom Zugangsfaktor 1,0 in Höhe von 0,003 für jeden Monat des "vorzeitigen" Rentenbezuges hinnehmen. Dies gilt auch dann, wenn ihr Vorteil aus dem vorzeitigen Bezug durch den ab Rentenbeginn laufenden Abschlag längst abgeschmolzen ist (Vorlagefrage 2.). Demgegenüber bleiben diejenigen Versicherten mit gleicher Vorleistung (Summe der EP), die vor Vollendung des 65. Lebensjahres die Rente frühzeitig, aber "nicht vorzeitig" in Anspruch nehmen, auf Lebenszeit in ungeschmälertem Genuss ihrer zusätzlichen Vermögenswerte. Sie werden also sowohl im Vergleich mit den "vorzeitigen" Rentnern als auch in dem mit den RAR-Rentnern trotz gleicher Vorleistung vermögensrechtlich auf Kosten Dritter besser gestellt. Diese Ungleichbehandlung ist nur auf Grund der Abschaffungsentscheidung für die Dauer der insoweit abgestuften Übergangsregelung hinnehmbar.

6. Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern

Im Wesentlichen Gleiches gilt für die Differenzierungen unter den Versicherten, die bei gleicher Vorleistung die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nehmen.

a) Grundsätzlich differenziert das Gesetz insoweit zwischen drei Gruppen von Versicherten, nämlich

aa) den vor dem 1. Januar 1937 geborenen, auf welche keine Abschlagsregelung Anwendung findet unabhängig davon, wann das Gestaltungsrecht oder ein Anwartschaftsrecht hierauf entstanden war (3. Stufe),

bb) den Versicherten, denen aus den in § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI genannten Gründen und in den dort genannten Grenzen im Wesentlichen die Übergangsregelung des RRG 1992 erhalten geblieben ist; dh ua, dass solche vor 1941 geborenen Versicherten keinen Abschlag hinnehmen müssen (2. Stufe),

cc) den von § 237a Abs 2 Satz 2 und 3 iVm Anlage 20 SGB VI erfassten Versicherten, die zwischen dem 1. Januar 1940 und dem 30. November 1951 geboren sind (1. Stufe = Grundregelung).

Die Ungleichbehandlung dieser Gruppen von Versicherten sogar bei gleicher Vorleistung für die GRV rechtfertigt sich allein aus dem Programm der gleitenden Abschaffung des systemwidrigen Vermögensvorteils bei vorgezogener Inanspruchnahme der Altersrente. Dass Personen in dieses Programm nicht einbezogen wurden, bei denen typischerweise davon auszugehen war, dass sie im Zeitpunkt seiner Einleitung bereits ein Gestaltungsrecht oder eine Anwartschaft hierauf erworben hatten, also den systemwidrigen Vorteil im Regelfall auch schon erlangt hatten, ist beim Übergang vom systemwidrigen zum systemgemäßen Zustand ua schon deshalb hinnehmbar, weil anderenfalls typischerweise ein auch verfassungsrechtlich problematischer Eingriff in ein zuerkanntes Recht erforderlich geworden wäre.

b) Die zweite Stufe der durch § 237a Abs 3 SGB VI Geschützten ist in sich (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Themen) noch gleichheitsgemäß ausgestaltet worden. Die drei Gründe für eine Sonderbehandlung des dort erfassten Personenkreises beruhen auf dem Rechtsgedanken, dass bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung der Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative zwecks Neugestaltung der Abschlagsregelung in der Öffentlichkeit allgemein bekannt war (7. Mai 1996), Arbeitslosigkeit oder ein gleicher Zustand eingetreten war oder auf Grund von grundsätzlich nicht mehr rückgängig zu machenden Dispositionen nach dem Stichtag eintreten würde. Hierbei wurde aus Billigkeitsgründen berücksichtigt, dass das bisherige Gestaltungsrecht mit seinen systemwidrigen Vermögensvorteilen im privatrechtlichen Rechtsverkehr, vor allem im Arbeitsrecht, Kalkulationsgrundlage für privatrechtliche Entscheidungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gewesen war.

aa) Hierauf ist nicht näher einzugehen, weil die Klägerin unter den Sondertatbestand des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB VI schon deshalb nicht fällt, weil sie erst nach dem 7. Mai 1941, nämlich am 23. August 1941, geboren wurde. Durch diesen Stichtag grenzt das Gesetz die Personen ab, die - weil älter als 55 Jahre - bereits in einer solchen zeitlichen Nähe zur möglichen Entstehung eines Gestaltungsrechts auf Altersrente für Frauen (bzw ab Vollendung von 50 Jahren und einem Monat >Vollendung des 40. Lebensjahres + 10 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten< einer Anwartschaft hierauf) waren, dass ihre vor allem arbeitsrechtlichen Dispositionen nach der damals üblichen "Frühverrentungspraxis" bereits getroffen und nur noch schwer rückgängig zu machen waren. Das ist - vor allem im Zusammenhang einer Übergangsregelung zur Abschaffung von Systemwidrigkeiten - nicht sachfremd.

bb) Unter die von § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB VI zusammengefasste Sondergruppe fällt die Klägerin schon deshalb nicht, weil sie aus keinem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden ist. Auch in dieser Fallgruppe geht es um vor dem 7. Mai 1996 ausgeschiedene Arbeitnehmer, die sich aber in einer Maßnahme befanden, die vor diesem Stichtag nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl genehmigt war; daraus erklärt sich auch der weitere Stichtag des 7. Mai 1944, weil bestimmte Fördermaßnahmen schon für damals 52-Jährige genehmigt werden konnten.

cc) Die Klägerin fällt - nach der Gesetzeslage - auch nicht unter die Sondergruppe des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI . Zwar ist sie vor dem 1. Januar 1942 geboren; sie hat jedoch nicht mehr als 45 Jahre (= 540 Kalendermonate) mit Pflichtbeiträgen belegt, nämlich "nur" 492 Monate an Beitragszeiten. Zudem verlangt das Gesetz, dass es sich um Beitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gehandelt haben muss; entgegen § 55 Abs 2 Nr 3 SGB VI zählen solche Beitragszeiten nicht als Beitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, in denen der Versicherte wegen des Bezugs von Alg oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) versicherungspflichtig war. Die Klägerin hat nach dem Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2001 35 Monate an Pflichtbeiträgen dieser Art. Falls die Vorlagefrage 1. zu bejahen ist, liegt kein zwingender Grund vor, die Sonderregelung des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI für gleichheitswidrig zu erachten.

dd) Schließlich sind Anhaltspunkte weder dargetan noch ersichtlich, die Ausgestaltung der Anlage 20 SGB VI sei in sich gleichheitswidrig. Sie führt für Geburtsjahrgänge ab Januar 1940 in Monatsschritten zur Abschmelzung des "vorzeitigen Vermögensvorteils", bis mit dem Geburtsmonat Dezember 1944 alle Bezugszeiten vor der Vollendung des 65. Lebensjahres in die Abschmelzung einbezogen werden. Da die Klägerin im August 1941 geboren ist, waren bei ihr 20 Kalendermonate an zusätzlichem Rentenbezug abzuschmelzen, wie durch die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 20. Juni 2001 erfolgt.

Ergebnis des 3. Teils: Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist das von der Beklagten gesetzmäßig angewandte Gesetz verfassungsgemäß, sodass das SG die Klage zu Recht abgewiesen und das LSG die Berufung zu Recht zurückgewiesen hat; die Revision der Klägerin muss zurückgewiesen werden.

4. Teil: Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG

1. Abschnitt: Zur Vorlagefrage 1

Der Senat ist iS des Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass der Geldwert des zum 1. September 2001 entstandenen Stammrechts (Vollrechts) der Klägerin auf Altersrente, das grundrechtliches Eigentum iS von Art 14 Abs 1 GG ist, durch die "45-Jahre-Klausel" des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI gleichheitswidrig ausgestaltet worden ist, ohne dass eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen möglich ist; ferner kommt es für die Entscheidung des Revisionsgerichts darauf an, ob und mit welchem Inhalt die gesetzgebende Gewalt die gleichheitswidrigen gesetzlichen Regelungen ersetzen muss.

Diese Sonderregelung gehört zur Stufe 2 der Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern und begünstigt diese gegenüber denjenigen der Grundregelung der Stufe 1 (Anlage 20 zum SGB VI ). Sie wurde durch das RRG 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 als § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI aF eingefügt. Sie enthält eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung des Renteneigentums iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG und eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten, die Kinder erzogen haben (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG ). Die durch Sachgründe nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt darin, dass vor dem 1. Januar 1942 geborene Versicherte in die Begünstigungsstufe 2 nicht mit einbezogen worden sind, die eine (wenigstens) gleich hohe Vorleistung für die GRV erbracht haben wie die Begünstigten. Es wurde nur der Zeit-, nicht aber der Wertaspekt der Vorleistung berücksichtigt.

I. Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und empirische Grundlagen

1. Rechtliche Vorgaben

Nach § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente für Frauen für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei § 55 Abs 2 SGB VI nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen Versicherte wegen des Bezuges von Alg oder Alhi versicherungspflichtig waren, für Geburtsjahrgänge vor Januar 1942 gemäß der Übergangsregelung des RRG 1992 angehoben (dazu näher oben 2. Teil, V.). Wie bereits ausgeführt, hat die am 23. August 1941 geborene Klägerin in 492 Beitragsmonaten Vorleistungen im Wert von 52,1000 EP erbracht. Sie hat damit keine "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit", wie das LSG bezugnehmend auf das SG mit Bindung für das BSG festgestellt hat; auch die Klägerin hat dies nicht in Frage gestellt. Zudem hat sie nach dem Bescheid vom 20. Juni 2001 35 Monate mit Pflichtbeiträgen, welche die Bundesanstalt für Arbeit (BA) iS von § 55 Abs 2 Nr 3 SGB VI mitgetragen hat.

2. Schweigen der Gesetzesmaterialien

Die sog Gesetzesmaterialien (oben 2. Teil, V. B.) geben keinen Aufschluss darüber, aus welchem Grund und zu welchem Zweck die Begünstigungsgrenze "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" unter Ausschluss von durch die BA mitgetragenen Beitragszeiten wegen des Bezuges von Alg oder Alhi gerade an dieser Stelle gezogen worden ist. Erkennbar ist aus dem Gesetzestext, dass die günstigere Übergangsregelung des RRG 1992 für diejenigen vor Januar 1942 geborenen Versicherten erhalten bleiben sollte, die bei Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich lange Vorleistungen für die GRV durch eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht hatten.

3. Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen

Bei Ausübung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" hatten weibliche Versicherte im alten Bundesgebiet 1997 durchschnittlich 34,6 Versicherungsjahre und im Jahr 2003 durchschnittlich 34,9 Versicherungsjahre zurückgelegt; in den neuen Bundesländern waren es 1997 durchschnittlich 41,1 bzw. 2003 42,5 Jahre. Bei diesen Angaben von Versicherungsjahren handelt es sich aber nicht ausschließlich um "Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit", sondern jeweils um die Summe aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten; daher liegen die in § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI vorausgesetzten "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" erheblich über den Werten, die von nahezu allen Versicherten erlangt werden. Zugleich liegt auf der Hand, dass Frauen auf Grund ihrer typischen Versicherungsbiographie die Begünstigungsgrenze erheblich seltener erreichen können als Männer. Bei den "Renten wegen Arbeitslosigkeit (oder Altersteilzeitarbeit)" hatten männliche Versicherte im alten Bundesgebiet 1997 durchschnittlich 43 Versicherungsjahre und im Jahr 2003 durchschnittlich 44,5 Versicherungsjahre zurückgelegt; in den neuen Bundesländern waren es 1997 durchschnittlich 44,4 bzw 2003 45,7 Jahre). Aus der "Rentenversicherung in Zeitreihen" (herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, VDR e.V., Juli 2004, DRV-Schriften Bd 22 S 105, 106), aus der die vorgenannten Durchschnittswerte entnommen sind, ergibt sich ferner, dass die Versicherten, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres die RAR in Anspruch nehmen, durchschnittlich eine wesentlich geringere Anzahl von Versicherungsjahren zurückgelegt haben, während die versicherten Männer, die von den besonderen Gestaltungsrechten Gebrauch gemacht haben, von 1997 bis 2003 deutlich über 40 Versicherungsjahre und damit wesentlich mehr als die versicherten Frauen zurückgelegt haben.

Auch die von der Beklagten angesprochenen veröffentlichten versicherungsmathematischen Untersuchungen zum vorzeitigen Rentenbezug bieten keine gesicherten bzw repräsentativen empirischen Belege dafür, dass eine typische Sondergruppe der allein wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit langjährig Versicherten existiert, die mit 60 Jahren oder kurz darauf 45 Jahre mit derart qualifizierten Pflichtbeiträgen hat (dazu auch unten III. Nr 2c).

Dies ergibt sich ua daraus, dass alle Untersuchungen unter der Prämisse erfolgten, der vorzeitige Rentenbeginn müsse innerhalb einer Zeitspanne von etwa 30 bis 40 Jahren für die Rentenversicherung mathematisch als kostenneutral dargestellt werden können. Daher kam es auf Art und Umfang der individuellen Vorleistung der Versicherten nicht an (Müller, DRV 1983 S 89 >102<; ders in Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 69 >70<; Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 >174<). Demzufolge waren für diese versicherungsmathematischen Berechnungen empirische Untersuchungen zu typischen Versicherungsbiografien nicht erforderlich. Datenerhebungen zu Versicherungsbiografien erfolgten, wenn überhaupt, nur durch Stichproben (1996, 2000, 2001) für Versicherte, die innerhalb eines bestimmten Jahres eine Altersrente auch tatsächlich vorzeitig in Anspruch genommen hatten (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 >174<; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 >498<). Allerdings ist nicht ersichtlich, dass dabei nach der Art des ausgeübten Gestaltungsrechts bei vorzeitigem Rentenbeginn differenziert wurde, sodass typische Versicherungsbiografien in Bezug auf ein bestimmtes Gestaltungsrecht und das Lebensalter bei seiner Ausübung nicht Gegenstand der Untersuchungen waren. Nicht erfasst und nicht in die Modellrechnungen einbezogen wurden außerdem diejenigen Versicherten, die zwar innerhalb des jeweiligen Jahres sämtliche Voraussetzungen für die vorzeitige Altersrente erfüllt, also ein besonderes Gestaltungsrecht hatten, jedoch davon keinen Gebrauch gemacht haben. Schließlich ist die Aussagefähigkeit der in den versicherungsmathematischen Untersuchungen verwendeten Daten auch insoweit begrenzt, als unterschiedliche rechtliche Begriffe (Versicherungsjahre, Beitragsjahre, Pflichtbeiträge, Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) trotz unterschiedlicher gesetzlicher Definition synonym verwendet oder teils nicht entsprechend der gesetzlichen Definition zu Grunde gelegt wurden (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 >499<). Das BSG hat außer dem einschlägigen Vorbringen der Beklagten (in Schriftsätzen und im Termin) folgende Quellen gesichtet: Müller, Ein Modell zur Berechnung versicherungsmathematischer Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 2 bis 29; Müller, Zur Herabsetzung der Altersgrenze, DRV 1983 S 89 bis 117; Winter, Weniger Rentenabschläge durch Altersteilzeitarbeit?, Nachrichten der LVA Baden 2000 S 59 bis 65; Salthammer, Berechnung von versicherungsmathematischen Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbezug im Umlageverfahren, DRV 2003 S 613 bis 619; Ohsmann/Stolz/Thiede, Rentenabschläge bei vorgezogenem Rentenbeginn: Welche Abschlagssätze sind "richtig"?, DAngVers 2003 S 171 bis 179; Raulf/Gunia, Zwang zur geschlechtsneutralen Kalkulation in der betrieblichen Altersversorgung?, NZA 2003 S 534 bis 540; Kroker/Pimpertz, Frühverrentung. Zu billig weggekommen, Anlage zu: Direkt - Presseinformationen aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Jg 30, Nr 2 vom 6. Januar 2004; dieselben, Belastungsneutrale Abschläge bei Frühverrentung, iw-trends 4/2003 S 1 bis 10; Kaldybajewa/Thiede, Abschlagsfreier vorzeitiger Rentenbeginn für langjährig Versicherte?, DAngVers 2004 S 497 bis 505.

II. Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"

1. Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze

Bei der "45-Jahre-Klausel" des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI geht es nicht darum, ein zeitliches Mindestmaß an Vorleistungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" festzusetzen. Vielmehr handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Personengruppen, denen gemeinsam ist, dass sie das Gestaltungsrecht erworben und ausgeübt und ein Stammrecht auf Altersrente erlangt haben. Wie oben (zB 3. Teil, 3. Abschnitt, III) ausgeführt, geht es um die Grenzziehung zwischen "vorzeitiger" und "nichtvorzeitiger" Ausübung des Gestaltungsrechts, bei der Klägerin also darum, ob statt der allgemeinen Grenzziehung in Anlage 20 SGB VI die für sie günstigere Grenzziehung in § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI anwendbar ist. Dies hätte ggf zur Folge, dass sie zum 1. September 2001 die Altersrente nur um zwei Monate "vorzeitig" in Anspruch genommen hätte, nicht aber - wie nach Maßgabe der Anlage 20 SGB VI - um 20 Monate. Im 3. Teil (aaO) wurde bereits ausgeführt, dass die "Vorzeitigkeit" Bedeutung nur für den Geldwert des entstandenen Stammrechts auf Altersrente hat, dass also nur das Tatbestandsmerkmal "vorzeitig in Anspruch genommen" in § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI ausgefüllt wird; diese Vorschrift ist selbst nur ein Faktor der Rentenformel des § 64 SGB VI , die nur den Geldwert eines Stammrechts auf Rente regelt.

2. "Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen (Beitragszahlungen)

Von der Frage, welche "Vorzeitigkeitsgrenze" maßgeblich ist, hängt ab, in welchem Umfang die vom Versicherten tatsächlich erbrachte und in der Summe der EP durch das Gesetz abschließend bewertete Vorleistung für die Höhe seiner Rente maßgeblich wird. Der sog Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je Kalendermonat, um den die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, bedeutet rechtlich die Entscheidung, dass die in der Summe der EP bemessene Vorleistung des Versicherten in entsprechendem Umfang für die Höhe seiner Rente (und ggf einer davon abgeleiteten Hinterbliebenenrente) endgültig unberücksichtigt bleibt. Im Falle der Klägerin sind dies 6 vH ihrer gesamten Vorleistung. Bei der Begünstigungsgrenze des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI von "45 Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" handelt es sich also inhaltlich um die Festlegung des Ausmaßes, in dem die nach dem SGB VI zuvor erbrachte und abschließend bewertete Vorleistung dauerhaft für unbeachtlich erklärt wird. Insbesondere ist durch § 34 Abs 4 SGB VI idF durch Art 1 Nr 5 RV-Nachhaltigkeitsgesetz nachträglich rückwirkend ausgeschlossen worden, dass nach bindender Bewilligung des Rechts auf eine Rente wegen Alters eine "andere Rente wegen Alters" rechtliche Bedeutung erlangen kann. Das bedeutet, dass die im Abschlag vom Zugangsfaktor technisch vollzogene Entwertung der erlangten Vorleistung bis zum Wegfall der letzten aus dem Versicherungsverhältnis des Versicherten herzuleitenden Inanspruchnahme einer Rente andauert. § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI regelt also unmittelbar, inwieweit die vom Versicherten individuell erbrachte Vorleistung die Rentenhöhe bestimmt oder schlechthin fruchtlos bleibt.

III. Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"

Die gesetzliche Grenzziehung ist - vor allem - unter den drei nachfolgend anzusprechenden Aspekten ungerechtfertigt gleichheitswidrig.

1. Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung

Die Vorschrift behandelt Versicherte mit höherer Vorleistung ohne sachlich rechtfertigenden Grund schlechter als Versicherte mit einer deutlich niedrigeren Vorleistung:

Versicherte, die 45 Jahre an Pflichtbeitragszeiten wegen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit haben, haben in der Regel höchst unterschiedliche Vorleistungen erbracht. Dies berücksichtigt das Gesetz nicht, sondern behandelt alle Versicherten allein auf Grund der Anzahl solcher Pflichtbeitragsmonate gleich.

Die erste Vergleichsgruppe bilden die Versicherten, die in den 45 Jahren mit solchen Pflichtbeiträgen (= 540 Beitragsmonate) nur "geringes Arbeitsentgelt" (§ 262 SGB VI ) erzielt und deshalb über lange Zeit Vorleistungen für die GRV nur mit geringem Wert erbracht haben. Der relative Wert ihrer Vorleistung wird ggf für Beitragszeiten vor 1992 im Wege des sozialen Ausgleichs auf Mindest-EP von höchstens 0,75 je Kalenderjahr angehoben. Sie haben dadurch einen Vorleistungswert (Summe der EP) von höchstens 33,75 EP erreicht; sie werden aber auch bei niedrigerer Vorleistung durch die "45-Jahre-Klausel" begünstigt. Demgegenüber steht die Vergleichsgruppe, die mit Beitragszeiten mehr als jedenfalls 33,75 EP aus eigener Kraft vorgeleistet und sogar mehr als 45 EP erworben hat. So hat die Klägerin mit 492 Beitragsmonaten 52,1000 EP erworben.

Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt werden kann, Beitragszeiten und daraus erworbene Vorleistungswerte außer Betracht zu lassen, die nicht auf pflichtversicherter Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern auf anderen gesetzlichen Voraussetzungen beruhen, ist das alleinige Abstellen auf den Zeitfaktor sachlich nicht zu rechtfertigen. Aus den "Gesetzesmaterialien" ergibt sich hierzu nichts. Ein Sachbezug zwischen der Frage, in welchem Umfang die Höhe der erbrachten Vorleistung eines Versicherten für unbeachtlich erklärt werden soll, und der Dauer seiner Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht gegeben, die Verknüpfung dieser Umstände vielmehr sachfremd. In der Summe der EP ist ein Zeitbezug nur insoweit enthalten, als sie eine Summe aus je Kalenderjahr erworbenen EP aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten ist. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist der Zeitfaktor "45 Jahre" (ohne Begrenzung auf Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit) von Bedeutung für den Vorleistungswert. Die "45-Jahre-Klausel" stellt auch nicht auf die sog Eckrente ab, also auf eine Versicherungszeit von 45 Jahren mit durchschnittlicher Vorleistung von 45 EP; sie benennt auch keinen anderen Vorleistungswert. Nur indirekt ergibt sich aus dem Zeitrahmen als Anhaltspunkt ein Vorleistungswert für Beitragszeiten vor 1992 in Höhe der Mindest-EP des § 262 SGB VI von höchstens 33,75 EP. Dadurch aber werden außerdem auch Versicherte von der günstigeren Übergangsregelung ausgeschlossen, die allein auf Grund von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit eine höhere Vorleistung als jedenfalls 33,75 EP in kürzerer Zeit erbracht haben. So hat die Klägerin in 492 Beitragsmonaten, davon 431 Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, Werte in Höhe von 52,1000 EP vorgeleistet.

Allerdings ist der Senat der Auffassung, dass diese sachwidrige und nicht begründbare Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte auf verschiedene Art und Weise beseitigt werden kann. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der insoweit nur dadurch begrenzt ist, dass gleiche Vorleistungswerte zu gleichen Rechtsfolgen führen.

2. Ungerechtfertigte Benachteiligung der 60-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner

Die "45-Jahre-Klausel" (mit "Pflichtbeiträgen für eine Beschäftigung oder Tätigkeit") ist auch deswegen gleichheitswidrig, weil sie die günstigere Zuordnung nur nach dem Zufallsprinzip und nur für seltene Fälle vorsieht, in denen die Begünstigten außerdem noch bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente älter als 60 Jahre sein müssen. Insoweit werden Versicherte mit gleich hoher Vorleistung ohne Sachgrund benachteiligt. Der Gesetzestext erweckt den Schein, das Gesetz bilde eine Sondergruppe der langjährig wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit Pflichtversicherten. Es schließt davon aber faktisch die 60-jährigen "vorzeitigen" Rentnerinnen aus und beruht auf keiner erkennbaren empirischen Grundlage.

a) Im Gesetzgebungsverfahren (dazu oben 2. Teil, V. B. 2.) hat bereits der vom Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung gehörte Sachverständige Prof. Dr. Ruland (VDR e.V.) auf die Frage des Abgeordneten Urbaniak, wie viele Personen von dieser Übergangsregelung betroffen sein dürften, mitgeteilt, er müsse leider passen; was den genauen Umfang des Personenkreises anbetreffe, sei man immer auf Schätzungen angewiesen. Der Sachverständige, der keinen Schätzwert angab, sagte zwar zu, sich nachträglich um eine schriftliche Auskunft zu der Frage bemühen zu wollen; jedoch findet sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein Hinweis, dass er eine solche Auskunft gegeben hätte. Der Sachverständige Michaelis (Geschäftsführung der Beklagten) hat auf neuere Untersuchungen zum Rentenzugang 1995 hingewiesen; dazu liegen inzwischen die oben (Rentenversicherung in Zeitreihen, ua S 103 ff) genannten Daten vor. Da diese Untersuchungen - wie schon vom Sachverständigen Michaelis angekündigt - sich auf die Frage beziehen, wie viele Versicherte mehr als 45 Versicherungsjahre bzw Jahre mit allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten haben, lassen sie jedoch nur den Schluss zu, dass seit 1997 - wenn überhaupt - nur äußerst wenige Personen im Alter von 60 Jahren bei Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit die 45 Jahre ausschließlich an Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt haben können. Sie werden nachträglich ohne Sachgrund besser gestellt als Rentner, die zum selben Zeitpunkt eine höhere Vorleistung auf Grund anderer gesetzlicher Pflichtbeitragszeiten erbracht hatten.

b) Diese Willkürlichkeit der Begünstigung dieser wenigen Personen folgt aber augenfällig schon aus der Gestaltung des Gesetzestextes selbst. Wer bei Inkrafttreten der Regelung am 1. Januar 2000 bereits 60 Jahre alt oder älter war, wurde weder nach Anlage 20 SGB VI noch nach § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI von einem Abschlag betroffen.

Wer nach 1999 das 60. Lebensjahr vollendet und gemäß § 237a Abs 1 SGB VI ein Gestaltungsrecht auf Altersrente für Frauen erlangt, kann bis zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nur zurückgelegt haben, wenn er vom Tag der Vollendung des 14. Lebensjahres, dem früher erstmöglichen Eintrittsdatum, bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres mit allenfalls einjähriger Unterbrechung (zB durch Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft, Kindererziehung etc) in einer pflichtversicherten Beschäftigung oder Tätigkeit gestanden hat. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Versicherungsbiografie äußerst untypisch ist. 60-jährige "vorzeitige" Rentnerinnen werden also faktisch stets und auch bei höherer Vorleistung ausgeschlossen.

c) Gleiches gilt, wenn das Gestaltungsrecht "Altersrente für Frauen" erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeübt wird. Spätestens muss dies jedoch im elften Monat des 65. Lebensjahres (= 64 Jahre und elf Monate) erfolgen. Nur dann kann überhaupt noch eine "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente, wenn auch nur noch für den zwölften Monat des 65. Lebensjahres in Betracht kommen, also nur ein Monat an Rente "vorzeitig" bezogen werden. Damit ergibt sich kraft Gesetzes sogar für solche Versicherte, die das Gestaltungsrecht erst mit 64 Jahren und elf Monaten erwerben, es ausüben und deshalb nur für einen Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente beziehen können, ein zusätzliches Zeitfenster von vier Jahren und elf Monaten. In der gesamten Versicherungsbiografie ab Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen dann höchstens fünf Jahre und elf Monate nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne solche bei Arbeitslosigkeit) belegt sein. Es liegt auf der Hand, dass die Begünstigungsgrenze keine empirisch nach typisierenden Merkmalen abgegrenzte einheitliche Gruppe von Versicherten erfasst. Auch die Versicherten, die vor Vollendung des 65. Lebensjahres und nach Beginn des 61. Lebensjahres Altersrente in Anspruch nehmen, werden trotz gruppentypisch sehr unterschiedlicher Versicherungsverläufe der "45-Jahre-Klausel" unterworfen. Männer "im Westen" haben bei Inanspruchnahme der Rente zu etwa einem Drittel die Voraussetzungen der Klausel erfüllt, Frauen zu weniger als 5 vH; im Beitrittsgebiet liegen die Werte bei etwa 18 vH (Männer) und weniger als 3 vH (Frauen). Gleich hohe Vorleistungen werden außerdem ohne Sachgrund äußerst ungleich behandelt (siehe schon dazu 4. Teil, 1. Abschnitt, I. Nr 3).

3. Zur objektiven besonderen Benachteiligung von Rentnerinnen, die Kinder erzogen haben

Darüber hinaus liegt eine objektive Gleichheitswidrigkeit auch darin, dass Versicherte, die "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" (ohne Arbeitslosigkeit) nur deswegen nicht haben, weil sie ein Kind bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr unter den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kindererziehungszeit erzogen haben (§ 57 SGB VI iVm § 56 SGB VI ), gegenüber Versicherten, die keine Kinder erzogen haben, benachteiligt werden. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Ausdruck "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" in § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI auch Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung (§§ 3 Satz 1 Nr 1, 55 Abs 1 und Abs 2 Nr 2 , 177 , 249 SGB VI ) umfasst. Kinderberücksichtigungszeiten iS von § 57 SGB VI , die - seit 1992 - bis zu sieben Jahren den Erwerb von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrechen können, werden durch die vom RRG 1999 gestaltete gesetzliche Regelung jedoch nicht berücksichtigt.

a) Wer sechs Jahre den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten erfüllt hat, kann die "45-Jahre-Klausel" unter keinen Umständen erfüllen. Denn der äußerste Zeitrahmen für Unterbrechungen beträgt - wie ausgeführt - fünf Jahre und elf Monate. Auch insoweit wird eine gleichwertige Vorleistung ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt. Dies wirkt sich für die Frauen, die durch die "45-Jahre-Klausel" ohnehin benachteiligt werden, zusätzlich beschwerend aus.

b) Zugleich hat der Gesetzgeber des RRG 1999 mit dieser Regelung seine Verpflichtung nicht beachtet, eine Benachteiligung beitragsrelevant Versicherter, die Kinder erziehen oder erzogen haben, gegenüber kinderlosen Versicherten zu vermeiden (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG ). Das BVerfG hat seit dem Beschluss des Ersten Senats vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60 ff) in nunmehr ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil des Ersten Senats vom 3. April 2001, 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242 ff; Beschluss des Zweiten Senats vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, dort vor allem S 27 bis 34 des Umdrucks) die Pflicht der gesetzgebenden Gewalt des Bundes geklärt, nicht nur im steuerfinanzierten Sozialrecht, sondern auch jeweils in den einzelnen Systemen der Sozialversicherung darauf zu achten, dass der sog generative Beitrag der Kindererziehenden in einer seiner Bedeutung für das jeweilige System angemessenen Weise berücksichtigt wird. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Begünstigungsgrenze des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI keinen Ausgleich einer Benachteiligung infolge einer Kindererziehung unterlässt, sondern Kindererziehung, die den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten (§ 57 SGB VI ) erfüllt, erstmals als für die Versicherten nachteilig bewertet. Damit steht die Vorschrift in offenem Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot; dieses verbietet im Sachbereich gesetzlicher Regelungen über Ehe und Familie, die gemäß Art 6 Abs 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, versicherungsrechtliche Benachteiligungen daran zu knüpfen, dass ein Versicherter die als rentenversicherungsrechtliche Vorleistung anerkannte Kindererziehung - auch vor Einführung von Kinderberücksichtigungszeiten (1992) - erbracht hat. Die 1999 beschlossene Regelung macht die begünstigende Stufe 2 von der Dauer der Vorleistungen ab Vollendung des 14. Lebensjahres abhängig; sie musste daher die Vorleistung der Kindererziehung auch für frühere Zeiten und in dem Maß berücksichtigen, das 1999 gesetzlich als Vorleistung anerkannt war.

c) Der Senat sieht sich außer Stande, diese Vorschrift insoweit verfassungskonform dahingehend zu ergänzen, dass auch Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten zur Erfüllung der geforderten Zeitdauer beitragen. Denn Art 1 Nr 44 Buchst a RVNG hat § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI dadurch geändert, dass nach dem Wort "Anrechnungszeiten" das Wort "Berücksichtigungszeiten" eingefügt wurde. Somit wurde - im Zusammenhang der Voraussetzungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit - die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für die Rahmenzeit der letzten zehn Jahre vor Beginn der Altersrente als Verlängerungstatbestand anerkannt. Die gesetzgebende Gewalt hat also in einem Gesetzeswerk zur Thematik des § 237 SGB VI die Frage der Relevanz von Kinderberücksichtigungszeiten geprüft und sie nur im genannten Zusammenhang der Entstehung jenes Gestaltungsrechts für erheblich erachtet, nicht aber bei § 237a SGB VI . Daher vermag der Senat nicht zu erkennen, dass er zu einer verfassungskonformen Ergänzung des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI um Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten befugt wäre.

IV. Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI , welche die genannten Gleichheitsverstöße ausräumen könnte, ist nicht möglich. Es ist - soweit ersichtlich - keine Rechtsprechung oder Literatur vorhanden, die eine solche Möglichkeit aufzeigte.

V. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 1

Die Antwort auf die Vorlagefrage 1 ist entscheidungserheblich (dazu bereits auch oben zB 3. Teil, 3. und 4. Abschnitt). Zwar geht der Senat davon aus, dass der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum hat, die vorstehend im 4. Teil genannten Gleichheitsverstöße auszuräumen. Auf Grund einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift durch das BVerfG ist jedoch gewährleistet, dass eine den Verstoß beseitigende neue gesetzliche Regelung ergeht, sodass die Gleichheitswidrigkeiten der Ausgestaltung des Vermögenswerts des Stammrechts auf Altersrente für Frauen beseitigt würden. Dann wird die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr verletzt sein. Insoweit hängt die Entscheidung des Revisionsgerichts in der Hauptsache davon ab, wie das BVerfG die Vorlagefrage 1 beantwortet. Entweder müsste die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden (dazu oben 3. Teil aaO) oder aber eine Sachentscheidung erst auf der Grundlage der zur Beseitigung der Gleichheitsverstöße erforderlichen gesetzlichen Neuregelung ergehen. Für die Klägerin kann derzeit auf Grund von Dauer und Wert ihrer Vorleistung nicht ausgeschlossen werden, dass sie auch zu einem höheren Geldwert führen wird, wenn die "45-Jahre-Klausel" verfassungsgemäß ersetzt wird. Gemäß Art 100 Abs 1 GG musste danach die Frage, ob die nachkonstitutionelle Vorschrift des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI in der genannten Fassung verfassungsgemäß ist, dem BVerfG vorgelegt werden.

2. Abschnitt: Zur Vorlagefrage 2

Mit der Vorlagefrage 2 wird zur Prüfung gestellt, ob die dort genannten Normen gleichheitswidrige Inhaltsbestimmungen des Renteneigentums der Klägerin an ihrem Stammrecht (Vollrecht) insoweit sind, als sie (heute) verbindlich anordnen, den monatlichen Geldwert des Stammrechts auch dann noch dauerhaft durch den Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat zu mindern, wenn der Vermögensvorteil der Rentnerin aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente in voller Höhe ausgeglichen worden sein wird.

I. Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung

1. Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe

a) Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der "Monatsbetrag der Rente", dh der Geldwert des Stammrechts (Vollrechts) auf Rente, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten EP, der Rentenartfaktor, der das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente bestimmt und bei dieser 1,0 beträgt (§ 63 Abs 4 SGB VI ), und der aktuelle Rentenwert, der erstmals der Summe der EP (als deren "Kurswert") einen konkreten Geldwert zuordnet (§§ 68 , 255a bis 255f SGB VI ), mit ihrem Wert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden. Rentenartfaktor und aktueller Rentenwert sind hier nicht im Streit; die Beklagte hat insoweit - auch nach Auffassung der Klägerin - zutreffende Werte zu Grunde gelegt. Die "persönlichen EP" (§ 66 SGB VI ) ergeben sich aus dem Produkt der Summe der EP (§§ 70 bis 76c SGB VI ) und dem Zugangsfaktor (§§ 77 und - hier nicht einschlägig - 78 und 78a SGB VI ). Die Summe der EP bezeichnet den relativen Wert der kalenderjährlich erbrachten Vorleistungen des Versicherten während des Versicherungslebens. Grundsätzlich richtet sich die individuelle Höhe des Geldwerts eines Stammrechts auf Rente nach der Summe der EP (§ 63 Abs 1 bis 3 SGB VI ). Das bedeutet, dass die Summe der EP (der Rangwert) grundsätzlich zugleich die Summe der persönlichen EP ist und den individuellen Faktor für die Höhe der Altersrente bestimmt. Der Wert der Vorleistung bestimmt prinzipiell den jeweiligen Geldwert eines Stammrechts (Vollrechts) auf Altersrente. Deshalb ist der Zugangsfaktor prinzipiell 1,0.

b) Seit dem RRG 1992 (zur Textentwicklung s oben 2. Teil, II. A. Nr 3 bis 5, B. Nr 1 bis 4, ferner VI. A. Nr 2, B.) werden gemäß § 63 Abs 5 SGB VI bei Inanspruchnahme einer Altersrente (oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr) Vorteile (oder Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden; im hier anzuwendenden Gesetzestext ist derselbe Rechtsinhalt mit der Formulierung erfasst, Vorteile (und Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden. Prinzipiell ist daher der Zugangsfaktor 1,0 und somit die Summe der EP identisch mit der Summe der "persönlichen EP". Entgegen der irreführenden Bezeichnung bedeutet die Multiplikation des Zugangsfaktors mit der Summe der EP also nicht die persönliche (individuelle) Zuordnung von EP, sondern eine Entscheidung darüber, in welchem Umfang sich die Höhe der individuellen Rente nach der während des Versicherungslebens erworbenen Summe der EP richtet. Prinzipiell gilt die Maßgeblichkeit der Vorleistung.

c) In der Altersrentenversicherung gilt der Grundsatz der vollen Anrechnung der während des Versicherungslebens erbrachten Vorleistung, sodass der Zugangsfaktor 1,0 beträgt und damit die Höhe der "persönlichen EP" mit der Summe der EP identifiziert. Anderenfalls wäre das System der vorleistungsbezogenen Rente aufgegeben. Ein anderer Zugangsfaktor als 1,0 darf daher dem Geldwert des Stammrechts eines Rentners nur und nur insoweit zu Grunde gelegt werden, als dadurch dessen individuelle (Vermögens-)Vorteile (und - hier nicht einschlägig - Nachteile) aus einer (gegenüber dem gesetzlichen Regelfall) unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Jede Veränderung des Zugangsfaktors bestimmt somit "in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind" (so § 77 Abs 1 SGB VI ). Das bedeutet: Ein niedrigerer Zugangsfaktor legt fest, dass die während des Versicherungslebens vom Versicherten durch seine Vorleistungen erworbene Summe der EP nur teilweise die Rentenhöhe bestimmt, teilweise aber endgültig für unbeachtlich erklärt wird. Demgemäß legt § 77 SGB VI für die Altersrentenversicherung des SGB VI fest, dass bei Inanspruchnahme einer RAR der Zugangsfaktor (mindestens) 1,0 beträgt.

d) Dasselbe gilt allerdings - systemwidrig - auch, wenn der Versicherte schon vor dem 65. Lebensjahr, mit dessen Vollendung das Recht auf RAR entsteht, Altersrente frühzeitig in Anspruch nimmt, dies jedoch nach der für das jeweilige Gestaltungsrecht maßgeblichen Regelung nicht "vorzeitig" geschieht. Damit werden Versicherte mit gleicher Vorleistung weiterhin entgegen § 63 Abs 5 SGB VI ungleich behandelt, weil diejenigen, die ein Gestaltungsrecht nicht "vorzeitig", aber vor Vollendung des 65. Lebensjahres frühzeitig ausüben, zusätzliche Rentenbezugsdauern und entsprechende Vermögensvorteile haben, ohne dass sie hierfür höhere Vorleistungen erbracht hätten (dazu bereits oben 3. Teil, 4. Abschnitt, II. Nr 4). Wie bereits ausgeführt, ist dies beim Gestaltungsrecht "Altersrente für Frauen" deswegen noch hinnehmbar, weil es für Bezugszeiten ab Januar 2017 abgeschafft worden ist und die hier streitige Nichtabschmelzung der Vorteile aus längeren Rentenbezugszeiten Teil einer Übergangsregelung ist, die diesen systemwidrigen Zustand abbaut.

Jedoch werden nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI die Vermögensvorteile aus Rentenbezugszeiten, die "vorzeitig" in Anspruch genommen wurden, gemäß § 63 Abs 5 SGB VI vollständig abgebaut, falls der Versicherte (oder sein Hinterbliebener) entsprechend lange lebt. Für jeden Kalendermonat "vorzeitig" in Anspruch genommener Rente wird der Vorleistungswert (die Summe der EP) um 0,003 ihres Wertes (und dadurch in demselben Maße der Geldwert des Stammrechts) gesenkt, der Zugangsfaktor also entsprechend niedriger als 1,0 festgesetzt.

2. Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung

Das Gesetz legt fest, dass für die gesamte Rentenbezugsdauer (und für die einer Hinterbliebenenrente) für jeden "vorzeitigen Rentenbezugsmonat" der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 gemindert wird. Der "Vorteil" des Versicherten, der "vorzeitig" Altersrente in Anspruch nimmt, besteht nach dem Gesetz also im Vermögenswert der Summe der Rentenbeträge, die er für Monate vor dem für ihn maßgebenden Rentenalter bezieht (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI ). Denn bei Inanspruchnahme der Rente ab dem "maßgebenden" Alter ist ihm eine volle Berücksichtigung seiner Vorleistung, also eine abschlagsfreie Altersrente auf Lebenszeit (und ggf Hinterbliebenenrente), auch vor Vollendung des 65. Lebensjahres garantiert. Das Sonderrecht verschafft ihm dann zusätzliche Rentenzahlbeträge ohne besondere Vorleistung. Der abzuschmelzende Vorteil, den jeder "vorzeitige" Rentner hat, ist daher die Summe der Rentenzahlbeträge für die Kalendermonate, in denen er die Rente "vorzeitig" bezieht.

a) Der Versicherte kann höchstens 60 Monatsbeträge und mindestens einen Monatsbetrag an Rente "vorzeitig" und damit zusätzlich zu der allen Versicherten gleichermaßen versprochenen RAR auf Lebenszeit in Anspruch nehmen. Bereits damit steht fest, dass der konkrete zusätzliche Geldwert, der dem einzelnen Versicherten auf Grund seiner individuellen Ausübung seines Rechts auf "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente zugeflossen ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt in vollem Umfang abgeschmolzen sein wird. Denn für jeden tatsächlichen Rentenbezugsmonat wird dem "vorzeitigen" Rentner von der Rentenhöhe, die er durch seine Vorleistung verdient hat, ein Teil in Höhe von 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat nicht ausgezahlt. Der jeden Monat einbehaltene Abschlag von der durch seine Vorleistung erworbenen Rentenhöhe beträgt ab Rentenbeginn mindestens 0,003 dieses Betrages, also höchstens 18 vH.

b) Wurde zB nur für einen Monat die Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen und beträgt der durch die volle Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) erworbene Geldwert des Stammrechts auf Altersrente 1.000 Euro, beträgt der zusätzliche Vermögensvorteil nur 1.000 Euro. Dieser Wert wird abgeschmolzen, indem der Monatsbetrag der Altersrente über die gesamte Rentenlaufzeit für jeden Monat um 3 Euro auf 997 Euro gekürzt wird. Die monatlichen Einzelansprüche belaufen sich damit auf 997 Euro. Dadurch werden ab Rentenbeginn in jedem tatsächlichen Rentenbezugsmonat 3 Euro zu Gunsten der Beitragszahler eingespart. Nach 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten (= 27,778 Jahren; entspricht etwa 27 Jahren und zehn Bezugsmonaten) ist der gesamte individuelle Zusatzvorteil von 1.000 Euro, den der Versicherte aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente hatte, aufgezehrt.

Hat er 60 "vorzeitige Bezugsmonate" und eine durch Vorleistung erworbene Rente in Höhe von 1.000 Euro monatlich, beträgt sein Vermögensvorteil 60.000 Euro. Der Monatsbetrag von 1.000 Euro wird ab Rentenbeginn für jeden tatsächlichen Bezugsmonat um 18 vH gekürzt, also um 180 Euro je Monat auf 820 Euro (also auf einen Zugangsfaktor von 0,82). Ab Rentenbeginn spart die Versichertengemeinschaft je tatsächlichem Bezugsmonat von vornherein jeweils 180 Euro ein. Nach 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten ist damit der zusätzliche Vermögensvorteil durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente in Höhe von 60.000 Euro ausgeglichen, also nach 27 Jahren und zehn Monaten tatsächlicher Bezugszeit. In diesem Zeitraum sind bei jedem "vorzeitigen" Rentner seine individuellen Vermögensvorteile aus seiner längeren Rentenbezugszeit auf Grund des vom Gesetz gewählten statischen Abschlagswertes von 0,003 für jeden einzelnen "vorzeitigen" Bezugsmonat vollständig ausgeglichen.

II. Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils

1. Zur lebenslangen Rentenabschmelzung

Das Gesetz (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a und Nr 4 SGB VI ) bestimmt, dass die Rentenkürzung auch nach dem Ende des Vorteilsausgleichs weitergeführt wird, solange aus dem Versicherungsverhältnis noch Altersrente oder eine Hinterbliebenenrente in Anspruch genommen wird. Dementsprechend hat die Beklagte in der Rentenhöchstwertfestsetzung vom 20. Juni 2001 den gekürzten Rentenhöchstwert auf Dauer festgesetzt und damit gesetzmäßig angeordnet, dass der von der Klägerin in 492 Beitragsmonaten erzielte Vorleistungswert von 52,1000 EP zuzüglich von 0,7558 EP für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten in Höhe von 3,1713 EP, also um den Wert von mehr als drei Arbeitsjahren mit durchschnittlich entlohnter versicherter Beschäftigung auf Lebenszeit und ggf für Hinterbliebenenrenten unberücksichtigt bleibt. Die "Versichertengemeinschaft" spart dadurch weiterhin auf Kosten der Klägerin durch ihre Vorleistung erworbene Rentenbeträge ein, obwohl der die Kürzung rechtfertigende Vorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Rente entfallen sein wird. Durch diese "Einsparungen" werden - über 40 Jahre hinweg durchschnittlich - in versicherungsmathematischer Beschreibung - die Vermögensvorteile ausgeglichen, welche "vorzeitige" Altersrentner (und deren Hinterbliebene), die früher als 27,778 Jahre nach Rentenbeginn gestorben sind, mit in ihr Grab genommen haben.

2. Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung

Auch im Falle der Klägerin geht es hierbei nicht um eine erst künftig möglicherweise eintretende, sondern um eine bereits in einem Verwaltungsakt auf Dauer getroffene Verfügung, die gesetzmäßig ist und eine zwingende gesetzliche Anordnung konkretisiert, die ihr Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art 3 Abs 1 GG und zugleich ihr als Renteneigentum durch Art 14 Abs 1 GG geschütztes Stammrecht auf Altersrente verletzt. Wird der Verwaltungsakt vom 20. Juni 2001 entgegen dem Begehren der Klägerin nicht aufgehoben, steht damit heute schon endgültig fest, dass die Beklagte ihr ihre in 492 Beitragsmonaten erworbene Altersrente (und ggf nachfolgende Hinterbliebenenrenten) um den Vorleistungswert von mehr als drei Arbeitsjahren mit durchschnittlichen Beitragszeiten auch dann noch kürzen muss, wenn ihr gesamter Vermögensvorteil aus dem "vorzeitigen" Bezug ausgeglichen sein wird.

III. Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs

Die Verletzungen von Art 3 Abs 1 iVm Art 14 Abs 1 GG ergeben sich zur Überzeugung des Senats vor allem aus zwei Ungleichheiten.

1. Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils

Eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung liegt vor, soweit die Vorzeitigkeitsregelung des § 237a Abs 2 Satz 2 und 3 iVm Anlage 20 SGB VI , Abs 3 SGB VI iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI die Klägerin jedenfalls vom Zeitpunkt des Ausgleichs des Vermögensvorteils aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Altersrente gegenüber Altersrentnern mit gleicher Vorleistung ohne rechtfertigenden Grund benachteiligt, weil ihr die volle Anrechnung ihrer Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) ohne Rechtsgrund versagt bleibt. Der einzige Grund, der eine Nichtberücksichtigung der erbrachten und abschließend in der Summe der EP bewerteten Vorleistung des Versicherten (insbesondere durch Beitragszeiten) rechtfertigen kann, ist die durch § 63 Abs 5 SGB VI verfassungs- und systemgemäß für alle Rentner zwingend angeordnete Vermeidung von Vorteilen, die der einzelne Versicherte zu Lasten der Beitragszahler und der Steuerzahler daraus zieht, dass er eine längere Rentenbezugsdauer hat, als allen Versicherten für den Regelfall versprochen ist. Die - systemgemäße - Einräumung eines besonderen Gestaltungsrechts für Frauen war bis zum 1. August 1996 stets zusätzlich mit der Zuerkennung eines systemwidrigen Vermögensvorteils zu Lasten der Beitragszahler, indirekt auch der meisten Beitragstragenden und der Steuerzahler, verbunden und hat die - jedenfalls gesetzesfremde - "Frühverrentungspraxis" gefördert (subventioniert). Einen Sachgrund, jemandem die durch Vorleistung erworbene Rentenhöhe auch dann noch zu versagen, wenn er seinen zusätzlichen Vermögensvorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme seiner Altersrente mittels Rentenkürzung zurückgezahlt hat, gibt es nicht.

2. Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner

Diese Ungleichbehandlung kann nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass andere Versicherte, die ihre Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen haben, sterben, bevor sie (oder ihre Hinterbliebenen) ihre Vermögensvorteile ausgeglichen haben. Denn nach dem SGB VI stehen die Inhaber der Gestaltungsrechte, die "vorzeitig" Rente beanspruchen, untereinander in keinem Gesamtschuldverhältnis und in keinem Haftungsverbund. Eine gesetzliche Norm, die eine Gesamtschuldnerschaft oder Gesamthaftung der "vorzeitigen" Rentner auf Ausgleich der "Zusatzkosten" anordnete, ist - unabhängig von ihrer problematischen Gültigkeit - im SGB VI nicht enthalten. Kein Renteneigentümer haftet mit dem von ihm durch seine Vorleistung Erworbenen für den Ausgleich von rechtmäßig, aber systemwidrig erlangten Vorteilen eines anderen Renteneigentümers. Kein Renteneigentümer muss mit seiner Rente dafür einstehen, dass in versicherungsmathematischen Berechnungen der Schein erweckt werden kann, die Ausübung von Gestaltungsrechten vor Vollendung des 65. Lebensjahres sei über 40 Jahre hinweg betrachtet im Wesentlichen kostenneutral. In der Wirklichkeit steigt hingegen tatsächlich die Ausgabenlast und damit die Beitragslast (nicht notwendig der Beitragssatz) in den Jahren der vorzeitigen Inanspruchnahme an. Erst bei einer durchschnittlichen Betrachtung über vier Jahrzehnte anhand der Unterstellung, dass die letzten Rentenbezieher, bei denen man im genannten Sinne "einsparen" kann, im Alter von 100 Jahren gestorben sein werden, entsteht der bloße Schein einer Kostenneutralität. Dies ändert aber nichts an der Wirklichkeit der mehr als 27 Jahre andauernden Erhöhung der Lasten für die Beitrags- und Steuerzahler (und indirekt auch für den Teil der beitragstragenden Arbeitnehmer) und daran, dass die länger Lebenden "die Schulden" der früher Gestorbenen bezahlen sollen, ohne dass ein entsprechender Schuldner- oder Haftungsverbund zwischen ihnen bestanden hat.

3. Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben

Objektiv gleichheitswidrig ist auch der relative Abschlagswert von 0,003 für jeden "vorzeitigen" Rentenmonat, der zu einer Dauer des Vorteilsausgleichs von 27 Jahren und zehn Monaten führt. Er bewirkt eine benachteiligende Ungleichbehandlung der länger lebenden gegenüber den früher sterbenden "vorzeitigen" Rentnerinnen, die das Gestaltungsrecht "Altersrente für Frauen" vorzeitig ausgeübt haben. Nach 27,778 Jahren ab Rentenbeginn sind die meisten davon (und ihre Hinterbliebenen) ohne vollen Ausgleich des Vermögensvorteils gestorben. Für Rentner ist diese Grenze ambivalent. Die niedrige Ausgleichsrate geht über eine lange Laufzeit und die meisten Rentner sterben vorher, ohne den Vorteil ausgeglichen zu haben; (allerdings hinterlassen etwa 75 vH rentenberechtigte Hinterbliebene, die aber ebenfalls zumeist vor der "Rückzahlung" sterben). Andererseits steht ihnen nicht ihre volle Rente, sondern nur ein gekürzter Rentenbetrag zur Verfügung. Bei einer am verlässlichen Geldzuwachs orientierten ökonomischen Betrachtungsweise ist es für jeden Versicherten wahrscheinlich günstiger, "vorzeitig" Rente in Anspruch zu nehmen; nur etwa 700.000 Versicherte sind derzeit älter als 87,778 Jahre.

a) Nach den oben genannten Gesetzesmaterialien wurde bei den Beratungen zum RRG 1992 und zum RuStFöG, an welche sich auch das WFG anlehnt, über die Höhe der Abschlagsrate, nicht aber über die davon abhängige Laufzeit des Vorteilsausgleichs gesprochen. Die Verknüpfung der Ausübung des Gestaltungsrechts "Altersrente für Frauen" mit einer Minderung der Rentenhöhe für Monate der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente wurde im Zusammenhang der Zurückdrängung der "Frühverrentungspraxis" und der Verbesserung der zahlenmäßigen Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern gesehen. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit solle durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, sodass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entstehe. "Wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten" solle ein Rentenbezug vor den maßgeblichen Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein.

b) Welche "Vorfinanzierungskosten" in einem Leistungssystem anfallen können, das gemäß § 153 SGB VI auf dem Vorrang der gesetzlichen Leistungsversprechen vor den gesetzlich festzulegenden Einnahmen und auf einer kalenderjährlichen (heute: faktisch monatlichen) Umlagefinanzierung beruht, ist damals weder näher erläutert worden noch erkennbar, sondern augenfällig "rentenversicherungsfremd". In der GRV hat das Gesetz vorab die Leistungsausgaben durch gesetzliche Leistungsversprechen vorgegeben, sodann hat es kalenderjährlich durch gesetzliche Regelungen über die Einnahmen für deren Deckung zu sorgen. "Vorfinanzierungskosten" eines Rentenversicherungsträgers können daher allenfalls vorübergehend und nur insoweit entstehen, als die gesetzgebende Gewalt ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Deckung ihrer Leistungsversprechen gesetzlich zu regeln, nicht erfüllt hat.

c) Zutreffend wurde damals in der Begründung des Gesetzentwurfs ( RRG 1992) hervorgehoben, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich 1,0 ist. In den oben genannten Anhörungen im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat der Sachverständige Prof. Dr. Ruland (VDR e.V.) sich zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn im Wesentlichen dahingehend geäußert, er müsse die Frage, ob die vorgesehene Abschlagsrate ausreiche, die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, an den Mathematiker weitergeben, der das berechne. Dabei müsse seines Wissens eine Reihe von Annahmen gemacht werden und das könne sich so oder so gestalten. Jedenfalls sei die "Grenze" von 0,3 vH je Monat für die Versicherten eine relativ günstige Regelung; versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher angesetzt werden können. In der Anhörung vom 22. Mai 1996 (zum RuStFöG hat er bekundet, er sei hier auch auf das Glauben angewiesen und glaube den Mathematikern des VDR e.V. Ferner hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände mitgeteilt, sie halte den Abschlag von 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch für zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsse der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Anderenfalls komme es zu dauerhaften Belastungen der GRV. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, täten dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten. Der Sachverständige Prof. Dr. Schmähl bekundete, es gebe etwas Streit, ob die Abschläge versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert seien; im internationalen Vergleich seien die Abschläge im Ausland deutlich höher. Weitere Äußerungen zu diesem Thema finden sich nicht. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Rechtmäßigkeit der Vorgaben, die den "Versicherungsmathematikern" gemacht oder von diesen selbst aufgestellt wurden, und die ihrer normativen Wertungen (zB "fair") jemals juristisch geprüft wurde.

d) Allein in der Erwähnung von nicht näher benannten "Vorfinanzierungskosten" und in den genannten Stellungnahmen klingt der Aspekt an, dass eine Neubestimmung der Bedeutung des Zugangsfaktors im Sinne einer "Kollektivhaftung" der länger Lebenden miterwogen worden sein könnte, dass er also nicht nur den vom Versicherten durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Rente individuell erlangten Vermögensvorteil ausgleichen soll. Dann müsste der Zugangsfaktor - insofern grundsätzlich anders als das bisherige Recht (§§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 SGB VI ) - als Mittel dafür dienen, die Zusatzbelastung der GRV durch "vorzeitige" Rentenzahlungen für die Rentenversicherung insgesamt in einem - allerdings nur mathematischen Sinn - "kostenneutral" auszugestalten. Ein solcher Denkansatz, der die gesetzliche Konstituierung eines "Zwangshaftungsverbundes" der Versicherten, die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nehmen, vorausgesetzt hätte, hat jedoch weder in den "Gesetzesmaterialien" noch in §§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 Buchst a SGB VI und auch an keiner anderen Stelle in diesem Gesetz auch nur ansatzweise Ausdruck gefunden. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, ob ein solches Vorhaben verfassungsgemäß gewesen wäre.

e) Bereits die in einem Parallelverfahren (Az: B 4 RA 3/03 R) mit Unterstützung der Beklagten durch den Senat vorgenommenen Überprüfungen der Berechnung des Abschlags, die ohne die Annahme eines besonderen Zwangshaftungsverbundes anhand statistischer Vorgaben über die fernere Lebenserwartung und unter Berücksichtigung fortgeschriebener Sterbetafeln erfolgten, haben hierzu ergeben, dass zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen um einige Jahre kürzere Vorteilsausgleichszeiten mit höheren Abschlägen sowohl für Männer als auch für Frauen zu Grunde zu legen wären. Diese Ergebnisse wurden nun unter Anwendung des statistischen Medians bestätigt. Da die Sterbetafeln nur Aussagen über die Sterbewahrscheinlichkeiten einzelner Altersjahrgänge treffen, kann aus ihnen weder die tatsächliche Lebenserwartung einer einzelnen Person noch auf statistischer Grundlage eine empirisch typisierende Aussage über die tatsächliche typische Lebenserwartung von Personen entnommen werden. Es ist aber erkennbar, wann nach Ablauf von wie vielen Jahren der größte Teil eines Jahrgangs voraussichtlich gestorben sein wird. Für die Berechnung kommen verschiedene statistische Modelle in Betracht, vor allem Modus, Mittelwert und Median. Während der Modus auf das Lebensjahr mit der höchsten Sterbehäufigkeit abstellt und auf Grund der hohen Streuung sehr ungenau ist, wird bei der Mittelwert-Methode der Durchschnittswert aller Sterbefälle eines Jahrgangs gebildet. Auch diese Methode ist sehr ungenau, da "Ausreißer", also besonders früh oder besonders spät versterbende Personen zu einer erheblichen Verfälschung des Gesamtergebnisses führen. Zwar kann mit keiner statistischen Methode die individuelle Lebenserwartung eines Versicherten berechnet werden, und auch die Bestimmung der ferneren Lebenserwartung anhand des Medians enthält auf Grund des gegenüber dem Durchschnittswert höheren Standardfehlers Ungenauigkeiten. Jedoch bildet für die hier entscheidende Frage der Ermittlung eines Zeitpunktes, ab wann möglichst wenige Rentenbezieher bereits vorher verstorben sind und möglichst wenige Rentner erst hinterher versterben werden, der sog Median, also die 50-zu-50-"Wahrscheinlichkeit" des Überlebens der "vorzeitigen" Rentner, - im Hinblick auf die ab Altersrentenbeginn laufende sog fernere Lebenserwartung - die genaueste Methode. Mittels dieser wird anhand der (ggf sog "fortgeschriebener") Sterbetafeln der Zeitpunkt abgelesen, zu dem (bisher) die Hälfte der Vertreter eines Rentnerjahrgangs verstorben ist und die andere Hälfte noch lebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Ausgleichsrentner als auch die Rentner ohne Abschlag eines Jahrgangs zu diesem Median-Zeitpunkt versterben, ist zu diesem Zeitpunkt am höchsten. Erhöht man die Ausgleichszeit, wächst zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als 50 vH der Rentner vor ihrem Ablauf verstorben sind und somit die Gruppe derjenigen, die ihren Vorteil "mit ins Grab nehmen", im Vergleich zu der noch den Ausgleich zahlenden Gruppe größer ist. Verringert man die Ausgleichszeit, würde die Gefahr dieser Ungleichbehandlung minimiert, zugleich müsste wegen der geringeren Zeitspanne der Abschlag erhöht werden. Die Median-Methode entspricht daher am ehesten dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Unter Zugrundelegung der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes und der Formel B = (z : (a + z)) x 100 (B = längere Bezugsdauer in %; a = voraussichtliche Bezugsdauer eines bei Rentenbeginn 60-, 61-, 62-, 63- bzw. 64-Jährigen ab dem 65. Lebensjahr; z = Anzahl der Monate um die die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird) ergibt sich für männliche Versicherte differenziert nach Zugrundelegung des Durchschnittsalters bzw. des Medians folgender Abschlag:

-Männliche Rentner -

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 60-Jährigen in Jahren

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 60-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (60 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 60-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 60 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

19,84

238,08

25,20

0,0042

Median

20,4247

245,0964

24,4801

0,00408

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 61-Jährigen in Jahren

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 61-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (48 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 61-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 48 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

19,06

228,72

20,98

0,0043

Median

19,5681

234,8172

20,4414

0,004258

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Jahren

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (36 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 36 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

18,29

219,48

16,4024

0,004556

Median

18,72421

224,69

16,02207

0,0044505

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (24 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 24 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

17,54

210,48

11,4025

0,004751

Median

17,8928

214,7136

11,1776

0,004657

Methode

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (12 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 12 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

16,80

201,60

5,9523

0,0049603

Median

17,07

204,84

5,8582

0,004881

Würde man die Ausgleichszeit für die Rückzahlung des Vorteils mittels eines Abschlags an diesem Median orientieren, fiele dieser zwar mit ca. 0,0045 für Männer höher aus, zugleich würde es aber heißen, dass die Höhe des Abschlags sich an dem Zeitpunkt orientiert, an dem der auf Grund der Frühverrentung gewährte Vorteil ausgeglichen und gleichzeitig mit 50 %iger Wahrscheinlichkeit sowohl der vorzeitige Rentenbezieher selbst als auch alle anderen Rentner dieses Jahrgangs verstorben sein werden. Daher wäre es für den Einzelnen - anders als nach geltendem Recht - bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht mehr voraussichtlich vorteilhaft, Rente "vorzeitig" in Anspruch zu nehmen. Die wirtschaftliche Förderung der Frühverrentung zu Lasten der länger Lebenden entfiele.

f) Das Gesetz hat hingegen einen für alle gleichen sowie zudem statischen Ausgleichszeitpunkt festgesetzt. Er führt dazu, dass ein 60-Jähriger, der z.B. wegen Arbeitslosigkeit Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nimmt, erst im Alter von 87 Jahren und zehn Monaten seinen Vermögensvorteil ausgeglichen hat. Danach muss er auf Lebenszeit (ggf durch seine Hinterbliebenen) für den Ausgleich der Vermögensvorteile der vor dem Ausgleichszeitpunkt Gestorbenen sorgen. Solche Versicherten werden - wie gesagt - nicht nur gegenüber den "abschlagsfreien" Rentnern mit gleicher Vorleistung, die älter als 87 Jahre und zehn Monate sind (etwa 700.000 Versicherte sind so alt) benachteiligt, sondern auch gegenüber den vor dem Ausgleichszeitpunkt verstorbenen Versicherten, die ihren Rentenvorteil nach gesetzlicher Planung "mit ins Grab" nehmen dürfen. Dies ist bei gleicher Vorleistung eine vermeidbare, jedenfalls deutlich verringerbare Ungleichbehandlung, die durch Sachgründe nicht gerechtfertigt ist. Bei den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes steigt mit zunehmendem Alter die Lebenserwartung, da bestimmte Sterblichkeitsrisiken mit zunehmendem Alter überwunden werden. Dennoch handelt es sich um eine Momentaufnahme, die nur die derzeitigen Verhältnisse ohne Rücksicht auf zu erwartende Entwicklungen (zB Fortschritt in der Medizin) wiedergibt. Es ist nicht ausgeschlossen (in der GRV wie bei privaten Versicherungsträgern) den Sterblichkeitstrend auch unter Berücksichtigung solcher zukünftigen Entwicklungen einzuschätzen. Die Gesetzgebung könnte auch einen dynamischen statt statischen Abschlag regeln.

g) Ferner wird - wie bereits gesagt - auch auf die bislang vom Gesetz geregelte Art und Weise eine Kostenneutralität für die Beitrags- und Steuerzahler und ggf Beitragstragenden nicht in Wirklichkeit, sondern nur in versicherungsmathematischer Darstellung eines Durchschnittswertes über einen Zeitraum von 40 Jahren erreicht. Demgegenüber steigen in der Wirklichkeit die Lasten zunächst an. Später werden sie dann mit einer Zeitverschiebung um Jahrzehnte auch von den älteren Rentnern und ihren Hinterbliebenen durch unzulässige Sonderopfer ausgeglichen.

h) In der Wirklichkeit werden außerdem in den Jahren vor dem Vorteilsausgleichszeitpunkt den Selbstzahlern, die dem nicht ausweichen können, und den Arbeitgebern, die nicht in entsprechendem Umfang ihre pflichtversicherte Belegschaft reduzieren können, zusätzliche Beitragslasten aufgebürdet, ebenso den Steuerzahlern und, falls der Arbeitgeber sich durch den sog Beitragsabzug refinanziert, die dadurch beitragstragenden Arbeitnehmer. Diese Regelung führt zugleich kraft Gesetzes zu gleichheitswidrigen Beitragslastverschiebungen unter den Finanzierern der GRV. Denn Arbeitgeber, die pflichtversicherte Beschäftigte "frühverrenten", senken insoweit ihre Beitragsschuld gegen den Rentenversicherungsträger, erhöhen zugleich dessen Leistungspflichten und damit (wegen der oben genannten Vorrangigkeit des gesetzlichen Leistungsversprechens vor der gesetzlichen Einnahmensicherung) im kalenderjährlichen Umlageverfahren die Beitragsschulden sowohl der anderen Arbeitgeber, die nicht in gleichem Maße Arbeitnehmer "frühverrenten" oder sonst entlassen können, als auch die der Selbstzahler, die in aller Regel dem zusätzlichen Beitragsdruck überhaupt nicht ausweichen können (näher dazu: prognosAG, Bestandsaufnahme und Bewertung praktizierter Modelle zu vorgezogenen Ruhestandsregelungen, Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Forschungsbericht 152 >1987<; Rosenow/Naschold, Die Regulierung von Altersgrenzen - Strategien von Unternehmen und die Politik des Staates, herausgegeben vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 1994, insbesondere S 238 bis 247; Gatter/Hartmann, Betriebliche Verrentungspraktiken zwischen arbeitsmarkt- und rentenpolitischen Interessen, MittAB 1995 S 412 bis 424; Bäcker/Naegele, Ältere Arbeitnehmer zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Frühverrentung, WSI Mitteilungen 1995 S 777 bis 784).

4. Zur Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern

Die Problematik der Abschlagsberechnung im Sinne eines Ausgleichs von erlangten Vorteilen durch vorzeitigen Rentenbezug stellt sich verschärft, wenn man auf die unterschiedliche fernere Lebenserwartung von Männern und Frauen abstellt, die sich signifikant unterscheidet. Seit der Einführung von Sterbetafeln im 17. Jahrhundert ist bekannt, dass Frauen eine deutlich höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen. Auch die Beklagte hat bereits eingeräumt, dass demgemäß der Rentenabschlag für Frauen deutlich niedriger als der für Männer ausfallen müsste, da sie entsprechend mehr Zeit haben, den durch vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente erlangten Vorteil auszugleichen. Unter Zugrundelegung der Formel B = (z : (a + z)) x 100 (s o III. 3. e) würden sich, wie bereits oben für Männer errechnet, für Frauen folgende veränderte Rentenabschläge ergeben:

- Rentnerinnen -

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 60-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 60-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (60 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 60-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 60 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

23,92

287,04

20,903

0,003483

Median

25,0234

300,28

19,9813

0,00333

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 61-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 61-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (48 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 61-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 48 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

23,04

276,48

17,3611

0,003616

Median

24,0827

288,9924

16,6094

0,00346

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (36 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 36 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

22,18

266,16

13,5256

0,003757

Median

23,1471

277,7652

12,9605

0,0036

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (24 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 24 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

21,32

255,84

9,3808

0,003908

Median

22,2166

266,5992

9,0023

0,00375

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (12 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 12 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

20,46

245,52

4,8876

0,004073

Median

21,2925

255,51

4,6964

0,003914

Daher stellt sich darüber hinaus die Frage, ob in dem nach derzeitiger Gesetzeslage gleichhohen Abschlag nicht zugleich ein Verstoß gegen Art 3 Abs 2 GG , jedenfalls gegen Art 3 Abs 1 GG zu sehen ist, da Frauen auf Grund ihrer statistisch höheren Lebenserwartung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit den Nachteil eines statischen Abschlags bei frühzeitiger Verrentung auch nach Ablauf von 27,778 Jahren länger tragen müssten als Männer. Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Männer als Frauen den erlangten Vorteil "mit ins Grab nehmen", auf Grund der geringeren Lebenserwartung von Männern ebenfalls entsprechend höher. Diese Wahrscheinlichkeit einer Ungleichbehandlung gegenüber Männern ist durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt. Insbesondere ist diese (statistisch wahrscheinliche) Ungleichbehandlung nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich. Im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise könnte diese Ungleichbehandlung durch einen prozentualen Abschlag bei der Festlegung der Minderung (Zugangsfaktor) gegenüber Frauen kompensiert werden. Durch einen unterschiedlichen Abschlag für Frauen und Männer, der sich am Median orientiert, würde diese sachwidrige Gleichbehandlung jedenfalls grundsätzlich vermieden. Auch hier hätte zudem ein dynamischer Abschlag in Vergleich zum statischen Abschlag den Vorteil, dass Veränderungen in der Lebenserwartung entsprechend berücksichtigt werden könnten.

Hierdurch würde nicht gegen Europäisches Recht verstoßen, sondern eine ungerechtfertigte inhaltliche Benachteiligung von Frauen beseitigt. Art 141 EG betrifft ausschließlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen durch den Arbeitgeber bei der Gewährung von Entgelt, hingegen nicht die Gleichbehandlung innerhalb der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v0m 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen bezieht sich ausschließlich auf das nationale Arbeitsrecht. Die Einführung von geschlechtsunabhängigen "Unisex-Tarifen" wurde bisher nicht vorgeschrieben. Art 7 der Richtlinie 79/7/EWG, mit welcher das Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts auch für den Bereich staatlicher Sozialleistungen im Recht der Gemeinschaft verankert wurde, enthält eine Ausnahmevorschrift, die es den Mitgliedsstaaten gestattet, ua die Festsetzung des Rentenalters, sowie bestimmte Vergünstigungen für Personen, die Kinder großgezogen haben sowie die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen wegen Alters oder Invalidität usw vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ( EuGH ) kann ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Art 7 unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen einführen, wenn dies notwendig ist und objektiv mit unterschiedlichen Lebenserwartungen verbunden ist (Urteil vom 4. März 2004 Peter Haackert/PVAng (C-303/02). Eine solche Verbindung besteht, wenn die Ungleichbehandlung erforderlich wird, um zu verhindern, dass das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit gefährdet wird oder um die Kohärenz zwischen dem System der Altersrenten und dem der anderen Leistungen zu gewährleisten (Entscheidung Rechtssache C-104/98 Johann Buchner ua gegen Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Slg. 2000, I-03625).

5. Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und dessen Grenzen

Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, die Ungleichbehandlungen zu beheben. Er ist jedoch in der Frage gebunden, dass er dem Versicherten nach Abschmelzung seines individuellen Vermögensvorteils durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wieder den Geldwert des Stammrechts auf Rente zuerkennen muss, den der Versicherte durch seine volle Vorleistung (Summe der EP) erworben hatte. Dann ist die ab dem Ausgleichszeitpunkt bislang bestehende Ungleichbehandlung gegenüber anderen Altersrentnern mit gleicher Vorleistung behoben. Die Benachteiligung gegenüber vor dem Ausgleichszeitpunkt sterbenden "vorzeitigen" Altersrentnern, die durch das weite Hinausschieben des Zeitpunkts des Vorteilsausgleichs verstärkt wird, kann der Gesetzgeber auf verschiedene Art und Weise beheben. Er kann sich zB am Median orientieren und dadurch der Frühverrentung den wirtschaftlichen Anreiz nehmen, da dann die Wahrscheinlichkeit, einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber einem Rentenbezug ab 65 zu erlangen, nur 50:50 beträgt. Zugleich kann der Gesetzgeber die Gleichbehandlung der Geschlechter, die eine deutlich unterschiedliche fernere Lebenserwartung haben, durch eine ebenfalls am Median orientierte getrennt berechnete fernere Lebenserwartung von Frauen und Männern und daran ausgerichtete Berechnung des Abschlags bei Frühverrentung gewährleisten. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass er sich an den Sterbetafeln, die zum Teil fortgeschrieben sind, orientiert oder sogar das Konzept des statischen und dauerhaften Abschlags vom Zugangsfaktor zu Gunsten eines dynamischen Abschlags aufgibt, um auch den Sterbetrend in die Kalkulation miteinzubeziehen.

IV. Keine verfassungskonforme Auslegung möglich

Eine verfassungskonforme Auslegung des nach § 237a Abs 2 iVm Anlage 20 SGB VI iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI maßgeblichen Textes, der Zugangsfaktor sei für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0, ist - soweit ersichtlich - bislang in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht erwogen worden und nach Auffassung des Senats auch nicht möglich.

V. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 2

Die Antwort auf die Vorlagefrage 2 ist entscheidungserheblich. Ist die Vorlagefrage 1 zu bejahen und das nachkonstitutionelle Gesetz auch im Übrigen verfassungsgemäß, muss das Revisionsgericht die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG zurückweisen, falls auch die Vorlagefrage 2 zu bejahen ist. Verstößt die Abschlagsregelung iS der Vorlagefrage 2 jedoch gegen das Grundgesetz , müsste zwar eine gesetzliche Neuregelung die gleichheitswidrigen Regelungen beseitigen. Jedoch würde bereits die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes durch das BVerfG gewährleisten, dass eine solche Neuregelung ergeht. Es ist kein Umstand derzeit ersichtlich, der ausschließen könnte, dass die Neuregelung für die Klägerin günstiger sein wird.

Ist die Vorlagefrage 1 zu verneinen, muss der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI auch die Gleichheitswidrigkeit iS der Vorlagefrage 2 beseitigen, falls auch diese zu verneinen ist.

Vorinstanz: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - L 4 RA 54/02 - 16.05.2003,
Vorinstanz: SG Köln, vom 26.07.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 8 RA 19/02
Fundstellen
AuR 2005, 427