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BSG - Entscheidung vom 22.06.2005

B 6 KA 68/04 B

Normen:
GG Art. 12 Abs. 1 Art. 3 Abs. 1
SGB V § 85 Abs. 3 § 85 Abs. 3a § 85 Abs. 3b § 85 Abs. 3c § 85 Abs. 4

BSG, Beschluß vom 22.06.2005 - Aktenzeichen B 6 KA 68/04 B

DRsp Nr. 2005/18983

Honorarverteilungsmaßstab in der Kassenärztlichen Versorgung, Zulässigkeit von Honorarkontingenten

Bei einem Honorarverteilungsmaßstab kann die Bildung von Honorartöpfen für die einzelnen Arztgruppen durch das Bestreben gerechtfertigt sein, dass die in § 85 Abs. 3 bis 3c SGB V normierten Obergrenzen für Erhöhungen der Gesamtvergütungen sich in den verschiedenen Arztgruppen gleichmäßig auswirken und nicht die Anteile einzelner Arztgruppen an den Gesamtvergütungen verringert werden, weil andere Gruppen durch Mengenausweitungen ihre Anteile absichern oder sogar vergrößern. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 12 Abs. 1 Art. 3 Abs. 1 ; SGB V § 85 Abs. 3 § 85 Abs. 3a § 85 Abs. 3b § 85 Abs. 3c § 85 Abs. 4 ;

Gründe:

I. Die Klägerin ist Kinderärztin und begehrt höheres Honorar für ihre vertragsärztliche Tätigkeit. Mit ihrer Klage gegen den Honorarbescheid für die Quartale III/1997 bis II/1998 hat sie zahlreiche Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen und des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) beanstandet. Sie ist in den Vorinstanzen aber nur mit einem Einwand erfolgreich gewesen. Dieser bezog sich auf die Regelung im HVM, dass bei der Aufteilung der Gesamtvergütungen auf die Fachgruppentöpfe (Facharztfonds) nach Maßgabe des Durchschnittsanteils der jeweiligen Fachgruppe an den Gesamtvergütungen des Jahres 1995 die nach dem 31. Dezember 1995 stattfindende Veränderung der Anzahl der in den Facharztgruppen zugelassenen abrechnenden Ärzte zu berücksichtigen sei (so die Arztzahlveränderungsregelung des § 2 Abs 4 HVM idF vom 8. November 1997 - mit Geltung ab 1. Januar 1997 laut § 9 Satz 3 HVM -, im Gefolge der Regelung vom 23. November 1996, die eine Berücksichtigung erst ab Veränderungen von Arztzahlen um mehr als 10 % vorsah). Das Sozialgericht ( SG ) hat die Beklagte verpflichtet, über die Honoraransprüche der Klägerin insoweit erneut zu entscheiden. Die Beklagte ist mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 31. März 2004).

Im Berufungsurteil ist in Anknüpfung an die Ausführungen des SG ausgeführt, die Regelung über Änderungen der Honorarvolumina allein auf Grund von Arztzahlveränderungen habe in der Gruppe der Kinderärzte wegen der Verminderung der Arztzahlen zu einer geringfügigen Verminderung des Fachgruppenbudgets geführt. Die Auszahlungspunktwerte hätten dadurch in den Quartalen III/1997 bis II/1998 um 9 % bis ca 16 % unter den Durchschnittspunktwerten der budgetierten Arztgruppen gelegen. Die Regelung sei mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit nicht vereinbar. Weitere Arztzulassungen erklärten für sich allein genommen eine Ausweitung der Leistungsmenge nicht. Eine automatische Veränderung der Honorarvolumina entsprechend den Ärztezahlen wäre nur gerechtfertigt, wenn davon auszugehen wäre, dass im selben Umfang, in dem sich die Arztzahl verändere, auch eine medizinisch begründete Änderung des Leistungsgeschehens erfolge, etwa durch Veränderungen der Zusammensetzung der Patientenschaft oder durch eine sonstige bedarfsbedingte Expansion der ärztlichen Leistungen. Dies sei indessen nicht der Fall. Ein solcher Zusammenhang könne auch nicht für die Bereiche angenommen werden, in denen die Zulassung in sog gesperrten Gebieten nur nach Maßgabe der Bedarfsplanung erfolge. Denn nicht jede neue Zulassung beruhe auf einer konkreten bedarfsgerechten Leistungsvermehrung. Beispielsweise erreiche eine neu eröffnete Praxis in der Regel erst nach ca drei Jahren eine durchschnittliche Auslastung. Eine generelle Berücksichtigung von Arztzahlveränderungen lasse sich schließlich auch nicht mit § 85 Abs 4a Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V ) rechtfertigen, wonach für die Vergütungsanteile von fach- und hausärztlicher Versorgung Veränderungen der Zahl der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte zu berücksichtigen seien. Denn aus dieser Spezialregelung zur Förderung der hausärztlichen Versorgung könnten keine allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Die Beklagte macht mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II. Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die Beklagte hat als grundsätzlich bedeutsam (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) die Rechtsfrage aufgeworfen - hier sinngemäß verkürzt -,

ob sie zu einer zeitlich begrenzten Anwendung der Arztzahlveränderungsregelung berechtigt war, um damit den besonderen Verhältnissen der vertragsärztlichen Versorgung in den neuen Bundesländern Rechnung zu tragen.

Ihre Ausführungen erfüllen die Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG . Die Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, ebenso dann, wenn zwar keine ausdrückliche normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG [Kammer], DVBl 1995, 35 ).

In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist geklärt, dass ein HVM den verschiedenen Arztgruppen Honorarkontingente zuordnen kann, sofern dabei der aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 Grundgesetz herzuleitende Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit beachtet wird. Hiernach kann die Bildung von Honorartöpfen für die einzelnen Arztgruppen durch das Bestreben gerechtfertigt sein, dass die in § 85 Abs 3 bis 3c SGB V normierten Obergrenzen für Erhöhungen der Gesamtvergütungen sich in den verschiedenen Arztgruppen gleichmäßig auswirken und nicht die Anteile einzelner Arztgruppen an den Gesamtvergütungen verringert werden, weil andere Gruppen durch Mengenausweitungen ihre Anteile absichern oder sogar vergrößern (stRspr; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 - B 6 KA 44/03 R - [unter 3h], zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

Diesem Ziel, zu verhindern, dass eine Fachgruppe ihre Leistungsmenge zu Lasten der Honorarvolumina anderer Fachgruppen ausweiten kann, widerspräche es, wenn die Erhöhung der Arztzahl einer Fachgruppe unabhängig davon, ob damit eine bedarfsbedingte Ausweitung der Leistungsmenge einhergeht, eine Steigerung ihres Honorarvolumens zu Lasten anderer nach sich zöge. Das liefe auf die Anerkennung angebotsinduzierter - sich je nach Arztzahl ändernder - Honorarvolumina hinaus bzw trüge - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - in sich die Tendenz zu einer auslastungsunabhängigen Alimentierung der Vertragsärzte. Dies stünde nicht mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit in Einklang.

In diese Richtung weist indessen die vom SG und vom LSG beanstandete Arztzahlveränderungsregelung des § 2 Abs 4 HVM, nach der ab dem 1. Januar 1997 die seit dem 31. Dezember 1995 eingetretenen Veränderungen der Ärztezahlen für die Honorarvolumina der sog Fachgruppentöpfe (Facharztfonds) zu berücksichtigen sind. Diese Bestimmung ist vom SG und vom LSG entsprechend ihrem Wortlaut dahin ausgelegt worden, dass jede Änderung der Arztzahl in einer Facharztgruppe automatisch zu einer Erhöhung oder Verminderung des ihr zugeordneten Honorarvolumens und zugleich zur Verringerung bzw Erhöhung der den anderen Arztgruppen zugeordneten Honorarvolumina führe. An diese Auslegung der landesrechtlichen Bestimmung des § 2 Abs 4 HVM ist das Revisionsgericht gebunden (s § 162 SGG , dazu zB Urteil vom 9. Dezember 2004, aaO [unter 5a]). Ausgehend von dieser Auslegung ergibt sich aus dem vom BSG in ständiger Rechtsprechung herausgestellten Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit ohne weiteres die von den Vorinstanzen gezogene Schlussfolgerung der Rechtswidrigkeit der Regelung, ohne dass es einer Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. SG und LSG haben zutreffend darauf abgehoben, dass weitere Zulassungen allein eine Erhöhung des Honorarvolumens für die Fachgruppe zu Lasten anderer Fachgruppen nicht rechtfertigen können. Zur Rechtfertigung bedürfte es vielmehr weiterer Gründe, so zB, dass zugleich eine medizinisch gerechtfertigte Änderung des Leistungsgeschehens vorliegt - etwa durch Veränderungen der Zusammensetzung der Patientenschaft, der Zahl der Patienten und Behandlungsfälle, oder durch eine sonstige bedarfsbedingte Expansion oder Reduktion der ärztlichen Leistungen. Ob die Vorinstanzen die Regelung des § 2 Abs 4 HVM auch anders hätten auslegen können, zB einschränkend dahin, dass Veränderungen der Arztzahl nur unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Veränderung der Honorarkontingente führen (sodass nicht die Regelung selbst als rechtswidrig anzusehen wäre, sondern ggf nur die Honorarberechnungen hätten neu vorgenommen werden müssen), ist vom Revisionsgericht wegen seiner Bindung an die vom LSG vorgenommene Auslegung des Landesrechts nicht zu beurteilen.

Eine Klärungsbedürftigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, die von SG und LSG beanstandete HVM-Bestimmung sei aber wegen besonderer Verhältnisse in den neuen Bundesländern als zeitlich begrenzte Regelung gerechtfertigt. Zwar trifft ihr Hinweis zu, hier sei in den 90er-Jahren eine "normativ angestrebte Steigerung" von Arztzahlen und Leistungsmengen erfolgt. Die in den Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte vorgesehene bedarfsgerechte Zulassungsdichte - mit entsprechender Leistungsverlagerung aus dem stationären in den ambulanten Bereich - sei Mitte der 90er-Jahre in den Ostländern in weiten Bereichen noch nicht erreicht gewesen, denn die Bevölkerung habe zunächst in Fortsetzung der in der DDR bestehenden Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung oft direkt die Krankenhäuser bzw deren Ambulanzen in Anspruch genommen und erst später auch in den spezialisierten Bereichen zunehmend Vertragsärzte aufgesucht, sodass erst allmählich ihre Anzahl habe steigen können. Auch wenn mit der Beklagten davon ausgegangen wird, insoweit habe es sich um eine Leistungsmengenausweitung gehandelt, die "vom Normgeber der Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte gewollt" gewesen sei (Beschwerdebegründung S 6), so eignet sich dies trotzdem nicht als Rechtfertigung der in Frage stehenden Regelung. Diese speziellen Verhältnisse in den neuen Bundesländern reichen nach dem Maßstab der Honorarverteilungsgerechtigkeit gemäß der Rechtsprechung des BSG auch nicht für eine zeitlich begrenzte Regelung automatischer Berücksichtigung von Arztzahlveränderungen aus, solange es an der Bewertung fehlt, ob es medizinisch begründete Änderungen des Leistungsbedarfs im Verhältnis der Fachgruppen zueinander gibt.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).

Vorinstanz: LSG Chemnitz, vom 31.03.2004 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KA 8/00
Vorinstanz: SG Dresden, vom 03.05.2000 - Vorinstanzaktenzeichen S 11 KA 317/98