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BAG - Entscheidung vom 18.10.2005

3 AZR 48/05

Normen:
BetrAVG § 1 (Auslegung)
EStG § 3b
SGB VI § 157 § 161 Abs. 1 § 162 Nr. 1
Arbeitsentgeltverordnung § 1

Fundstellen:
AuA 2006, 113
DB 2006, 224
NZA 2006, 1064

BAG, Urteil vom 18.10.2005 - Aktenzeichen 3 AZR 48/05

DRsp Nr. 2006/324

Betriebliche Altersversorgung; Sozialversicherungsrecht - Begriff des ruhegehaltsfähigen Einkommens; Nichtanrechnung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen

Orientierungssätze: Knüpft eine als Betriebsvereinbarung ergangene Versorgungsordnung eine zusätzliche Versorgung an den Teil des Einkommens des Arbeitnehmers, "der die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Angestelltenversicherung übersteigt" und sieht sie gleichzeitig vor, dass "in der Höhe schwankende Zuwendungen" bei der Zusatzversorgung nicht zu berücksichtigen sind, erfordert der Zweck der Regelung nicht die Einbeziehung von Zuschlägen zur Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit in die Berechnung der betrieblichen Altersversorgung. Diese Zuschläge sind in der gesetzlichen Altersversorgung weitgehend beitragsfrei und stehen insoweit von vornherein neben der Systematik der Beitragszahlung und damit der gesetzlichen Altersversorgung.

Normenkette:

BetrAVG § 1 (Auslegung) ; EStG § 3b ; SGB VI § 157 § 161 Abs. 1 § 162 Nr. 1 ; Arbeitsentgeltverordnung § 1 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Betriebsrente. Sie haben dabei unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge bei der Berechnung einer "zusätzlichen Versorgung" einzubeziehen sind oder nicht.

Der am 20. Oktober 1937 geborene Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen der chemischen Industrie, vom 6. August 1979 bis zum 31. Oktober 2002, zuletzt als Schichtmeister, beschäftigt. Seitdem bezieht er eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Betriebsrente von der Beklagten.

Grundlage der Betriebsrente ist eine zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat am 12. Januar 1989 geschlossene Betriebsvereinbarung, mit der eine Versorgungsordnung eingeführt wurde (VO 1989). Nach der Versorgungsordnung gab die Beklagte eine Direktzusage. Der Höhe nach teilt sich diese in eine Grundversorgung (Teil B, Plan I = §§ 6 f. VO 1989) und eine Zusatzversorgung/zusätzliche Versorgung (Teil C, Plan II = §§ 8 ff. VO 1989). Die Regelungen zur zusätzlichen Versorgung lauten auszugsweise:

"§ 8 Bemessungsgrundlage und ruhegeldfähiges Einkommen

(1) Für denjenigen Teil des ruhegeldfähigen Einkommens, der die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Angestelltenversicherung übersteigt, gewährt die Firma zusätzlich zur Grundversorgung weitere Versorgungsleistungen.

(2) Als monatliche Bemessungsgrundlage eines Kalenderjahres gilt der Teil des ruhegeldfähigen Einkommens im Monat Januar dieses Kalenderjahres, der die zu diesem Zeitpunkt gültige Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Angestelltenversicherung übersteigt.

(3) Das ruhegeldfähige Einkommen eines Monats umfaßt das Bruttomonatsgehalt ohne Überstunden- und Mehrarbeitsvergütungen, Gewinnbeteiligungen, über zwölfmal hinaus gezahlte Monatsbezüge, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Jubiläumsgaben, Gratifikationen, Sachbezüge, Aufwandsvergütungen oder sonstige einmalige, nicht monatlich regelmäßig gezahlte oder in der Höhe schwankende Zuwendungen.

...

§ 9 Höhe der zusätzlichen Versorgung

(1) Als monatliche Alters- und Invalidenrente werden für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr 1,667 % der Bemessungsgrundlage im Jahr des Eintritts des Versorgungsfalles gewährt; dabei kommen jedoch höchstens 35 Dienstjahre zur Anrechnung.

..."

Die Versorgungsordnung der Beklagten wurde im Betrieb durch eine Broschüre bekannt gemacht. Darin heißt es ua.:

"Die zusätzliche Versorgung soll die Lücke schließen, die für Gehaltsteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht, weil hierfür keine Beiträge entrichtet werden können und damit die staatliche Versorgung im Verhältnis zum Arbeitseinkommen geringer ist."

Die Beklagte hat auf der Basis eines ruhegehaltsfähigen Einkommens des Klägers für Januar 2002 in Höhe von 4.535,17 Euro und einer zum maßgeblichen Zeitpunkt gültigen Beitragsbemessungsgrenze von 4.500,00 Euro eine monatliche zusätzliche Versorgung in Höhe von 13,48 Euro unter Berücksichtigung von 23 anrechenbaren Dienstjahren berechnet. Dabei hat sie das Tarifentgelt des Klägers von 3.861,79 Euro, die übertarifliche Zulage von 276,05 Euro, die Erschwerniszulage von 11,15 Euro sowie die Schichtzulage von 386,18 Euro berücksichtigt. Außer Acht gelassen hat sie die vom Kläger erzielten Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge. Diese wurden ihm seit Beginn des Arbeitsverhältnisses entsprechend den jeweiligen Einsätzen gemäß Schichtplan gezahlt. Bei der Berechnung von Urlaubsgeld, Weihnachtsgratifikation und Entgeltfortzahlung gingen sie mit einem Durchschnittswert von 18,5 % des Grundgehalts ein.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte sei verpflichtet, auch die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge in die Berechnung seiner zusätzlichen Versorgung einzubeziehen. Auf der Basis eines Jahresdurchschnittswertes errechnet er sich eine monatliche Differenz bei der Altersversorgung von 321,61 Euro. Diese macht er rückwirkend für die Monate November 2002 bis Februar 2004 sowie auch für Zeiträume danach als künftige Leistung geltend.

Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

1. 5.145,76 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB auf jeweils 321,61 Euro ab dem 1. Dezember 2002, 1. Januar, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 2003 sowie ab 1. Januar, 1. Februar und 1. März 2004,

2. beginnend mit März 2004, fällig zum 31. März 2004 eine monatliche zusätzliche Versorgung in Höhe von 335,02 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die zusätzliche Versorgung richtig berechnet zu haben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ergibt die Auslegung der VO 1989, dass die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge bei der Berechnung der zusätzlichen Versorgung nicht zu berücksichtigen sind. Es handelt sich um "in der Höhe schwankende Zuwendungen" nach § 8 Abs. 3 Satz 1 VO 1989.

1. Dafür spricht bereits der Wortlaut der Regelung.

Die streitbefangenen Zuschläge fallen nicht in jedem Kalendermonat in derselben Höhe an. Ihr Anfall hängt vielmehr davon ab, inwieweit im jeweiligen Monat die Arbeitszeit so verteilt ist, dass die Voraussetzungen der Zuschläge vorliegen. Sie sind danach in der Höhe schwankend. Unerheblich ist es insoweit, dass ausschließlich für Zeiten der Entgeltfortzahlung eine Pauschalierung erfolgt.

Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei diesen Zahlungen auch um Zuwendungen iSd. VO 1989. Der Begriff "Zuwendung" ist in § 8 Abs. 3 Satz 1 VO 1989 durch das Wort "sonstige" mit den vorher aufgezählten nicht berücksichtigungsfähigen Einkommensarten, darunter zB auch Überstunden und Mehrarbeitsvergütungen, verbunden. Auch diese Leistungen sind deshalb im Sprachgebrauch der Betriebsparteien Zuwendung. Das spricht dagegen, unter Zuwendungen mit dem Landesarbeitsgericht lediglich solche Zahlungen des Arbeitgebers zu verstehen, die nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung stehen. Der Sprachgebrauch der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes, die im "Zuwendungstarifvertrag" für Angestellte eine auch von der Betriebstreue abhängige Jahressonderleistung geregelt hatten, ist nicht auf die Beklagte als Unternehmen der chemischen Industrie übertragbar.

2. Der Gesamtzusammenhang der VO 1989 spricht ebenso für dieses Ergebnis.

In § 8 Abs. 3 Satz 1 VO 1989 sind mehrere Entgeltbestandteile ausdrücklich als nicht berücksichtigungsfähig behandelt. Neben den Überstunden- und Mehrarbeitsvergütungen sind dies Gewinnbeteiligungen, über zwölfmal hinaus gezahlte Monatsbezüge, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, Jubiläumsgaben, Gratifikationen, Sachbezüge und Aufwandsvergütungen. Allen diesen Leistungen ist es gemeinsam, dass es sich um Aufstockungen eines "Basisgehaltes" handelt. Auch die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge stellen eine derartige Aufstockung dar.

3. Auch der mit der zusätzlichen Versorgung verfolgte Zweck erfordert keine Einbeziehung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge in die Berechnung dieser zusätzlichen Versorgung.

a) Zu Recht geht der Kläger mit der von der Beklagten im Betrieb verbreiteten Erläuterung der VO 1989 davon aus, dass die zusätzliche Versorgung die Lücke schließen soll, die für Gehaltsteile "oberhalb" der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen, weil hierfür keine Beiträge entrichtet werden können und damit die staatliche Versorgung Teile des Arbeitseinkommens nicht berücksichtigt. Dieser Zweck ergibt sich aus § 8 Abs. 1 VO 1989, wonach weitere Versorgungsleistungen nur für denjenigen Teil des ruhegeldfähigen Einkommens, "der die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Angestelltenversicherung übersteigt", gewährt werden. Die hier streitbefangenen Zuschläge stehen aber von vornherein weitgehend neben der Systematik der Beitragszahlung und der Beitragsbemessungsgrenze und damit auch der gesetzlichen Altersversorgung, die durch die zusätzliche Versorgung aufgestockt werden sollte (zur Abhängigkeit der Rente von den durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelten § 63 Abs. 1 SGB VI ; in der Systematik vergleichbar § 32 Abs. 1 AVG ). Im Einzelnen gilt Folgendes:

Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung richtet sich nach der Beitragsbemessungsgrundlage, die sie hinsichtlich der Beitragspflicht kappt; Beitragsbemessungsgrundlage wiederum sind nur die beitragspflichtigen Einnahmen (nunmehr §§ 157 , 161 Abs. 1 SGB VI ; früher ähnlich § 112 Abs. 1 AVG ). Der Begriff der "beitragspflichtigen Einnahmen" meint bei Personen, die - wie der Kläger - gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden, das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (nunmehr § 162 Nr. 1 SGB VI ; früher § 112 Abs. 3 Buchst. a AVG ).

Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV kann die Bundesregierung jedoch durch Rechtsverordnung bestimmen, dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten. Insoweit maßgeblich ist die Arbeitsentgeltverordnung , nach deren § 1 diese Zahlungen - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - kein Arbeitsentgelt im Sinne des Sozialversicherungsrechts darstellen, soweit sie lohnsteuerfrei sind.

Die Lohnsteuerfreiheit der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit regelt § 3b EStG . Diese - wiederholt geänderte - Bestimmung sah auch in ihrer bereits für den Veranlagungszeitraum 1989, dem Jahr des Abschlusses der Betriebsvereinbarung, anwendbaren Fassung vor, dass derartige Zuschläge weitgehend steuerfrei waren. Auch die durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, verkündet am 2. August 1988 (BGBl. I S. 1093), für Veranlagungszeiträume ab 1990 geltende Fassung (Art. 1 Nr. 4 dieses Gesetzes; zur Anwendbarkeit ab dem Veranlagungszeitraum 1990: Art. 1 Nr. 73a des genannten Reformgesetzes), sah eine weitgehende Steuerfreiheit derartiger Zuschläge vor. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

b) Die Zuschläge zur Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind somit für den in der gesetzlichen Altersversorgung unabhängig von der Beitragsbemessungsgrenze absicherbaren Lebensstandard weitgehend ohne Belang. Der Zweck, diesen Lebensstandard abzusichern, erforderte deshalb keine Einbeziehung dieser Zuschläge in die VO 1989.

Vor dem Hintergrund dieser sozialversicherungsrechtlichen Systematik lag es nahe, dass die Betriebsparteien in der VO 1989 davon abgesehen haben, die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge ausdrücklich in § 8 Abs. 3 Satz 1 als nicht berücksichtigungsfähig zu bezeichnen.

4. Schließlich spricht gegen die vom Kläger vorgenommene Auslegung, dass sie zu unangemessenen, zufälligen Ergebnissen führen könnte. Die zusätzliche Versorgung bemisst sich nach den im Januar eines Kalenderjahres geltenden Verhältnissen (§ 8 Abs. 2 VO 1989). Da es vom Zufall abhängt, welche Zuschläge bei einem bestimmten Arbeitnehmer gerade in diesem Kalendermonat anfallen, würde die Einbeziehung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge in die zusätzliche Versorgung auch zu rein zufälligen Ungleichheiten zwischen einzelnen Arbeitnehmern führen. Es kann den Betriebsparteien ohne ausreichende Anhaltspunkte in der Versorgungsordnung nicht unterstellt werden, dass sie derartige Unterschiede hätten machen wollen.

Hinweise:

Weiterführende Hinweise: Einzelfall

Vorinstanz: LAG Niedersachsen, vom 10.11.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 6 Sa 1255/04
Vorinstanz: ArbG Wilhelmshaven, vom 01.07.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Ca 176/04
Fundstellen
AuA 2006, 113
DB 2006, 224
NZA 2006, 1064