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BAG - Entscheidung vom 30.08.2005

3 AZR 477/04

Normen:
Überleitungstarifvertrag VEBA Kraftwerke Ruhr AG § 10

BAG, Urteil vom 30.08.2005 - Aktenzeichen 3 AZR 477/04

DRsp Nr. 2006/1988

Betriebliche Altersversorgung; Betriebsübergang und Betriebsverfassungsrecht; Tarifauslegung und Umstrukturierung; Gleichbehandlung - Betriebliche Altersversorgung: Inhalt einer ablösenden Versorgungszusage nach Fusion

Orientierungssatz: Ergänzende Auslegung der Berechnungsregeln einer Betriebsvereinbarung, die Ausführungsbestimmungen zu einem die Verschmelzung zweier Unternehmen begleitenden Tarifvertrag enthält.

Normenkette:

Überleitungstarifvertrag VEBA Kraftwerke Ruhr AG § 10 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zu zahlenden Invaliditätsrente.

Der 1958 geborene Kläger war ursprünglich seit dem 1. September 1979 bei der V K R AG beschäftigt. Diese fusionierte zum 1. Januar 1999 mit der PE AG. Diese bildet wiederum seit Mitte 1999 mit der B AG den E-Konzern, zu dem auch die Beklagte gehört. Wegen eines Augenleidens war dem Kläger schon ab Mai 1994 eine Berufsunfähigkeitsrente bewilligt worden. Sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten endete am 15. Dezember 2000.

Bei der V K R AG galt zuletzt eine Versorgungsordnung idF vom 8. Oktober 1992 (VKR-VO), in deren § 5 eine Invalidenrente vorgesehen war. Um im Zuge der Fusion mit der PE AG die Arbeitnehmerrechte zu vereinheitlichen und Besitzstände zu regeln, schlossen die Tarifvertragsparteien 1998 einen Überleitungstarifvertrag (ÜTV). Dessen § 10 lautet:

"§ 10 Altersversorgung der Arbeitnehmer der ehemaligen VKR

1. Ab dem Zeitpunkt des Wechsels in die Zuständigkeit des Tarifwerkes für die Arbeitnehmer der Unternehmen der PE-Gruppe gilt die Versorgungsordnung der PE AG für Betriebsangehörige mit Dienstbeginn ab dem 01.04.1988 in der jeweils gültigen Fassung.

(Kompensation: z.B. BV Fahrten zwischen Wohnungs- und Arbeitsstätte, Zukunftsanteil Treuegeld).

2. Die bei der ehemaligen VKR erreichte Dienstzeit wird gesondert nach dem für die ehemalige VKR geltenden Versorgungswerk betrachtet.

3. Für die Berechnung der Unverfallbarkeit gilt die Summe der Dienstzeiten bei der ehemaligen VKR und PE.

4. Näheres wird in einer Betriebsvereinbarung geregelt."

In der Versorgungsordnung der PE AG (PE-VO) ist in § 6 Nr. 1 Buchst. b vorgesehen, dass ab Vollendung des 20. Lebensjahres neben den tatsächlichen Beschäftigungsjahren auch

"Zurechnungszeiten, d.h. fiktive Dienstzeiten, die bei vorzeitigem Eintritt des Versorgungsfalles wegen Todes oder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit noch bis zum Monatsende nach Vollendung des 55. Lebensjahres fehlen"

als ruhegeldfähige Dienstzeit gelten.

Die in § 10 Nr. 4 ÜTV vorgesehene und am 21. April 1999 abgeschlossene Betriebsvereinbarung (BV) sieht für die Berechnung der Altersversorgung von Arbeitnehmern der ehemaligen V K R AG folgende Regelung vor:

"§ 3 Berechnung der Leistungen

Für die bei VKR verbrachte Dienstzeit gilt die VKR-Versorgungsordnung. Nach dem Wechsel in eine in § 1 des Überleitungstarifvertrages genannte Gesellschaft gilt die PE-Versorgungsordnung. Als Dienstbeginn für die Berechnung der Leistungen nach der PE-Versorgungsordnung gilt das Datum, das auch für die Leistungsberechnung nach der VKR-Versorgungsordnung gültig ist. Nach Eintritt des Versorgungsfalles wird für jedes Versorgungswerk getrennt die Betriebsrente ohne Berücksichtigung des Wechsels in der Altersversorgung berechnet. Die so errechnete Betriebsrente gemäß VKR-Versorgungsordnung wird durch die tatsächlich verbrachten Dienstjahre bis zum Eintritt des Versorgungsfalles dividiert und mit den Dienstjahren bis zum Wechsel des Arbeitsverhältnisses multipliziert. Die Betriebsrente gemäß PE-Versorgungsordnung wird ebenfalls durch die insgesamt verbrachten Dienstjahre dividiert und mit den restlichen Dienstjahren (gesamte Dienstzeit abzgl. VKR-Dienstzeit) multipliziert.

..."

Für die Betriebsrente des Klägers berechnete die Beklagte zunächst jeweils die fiktive Höchstversorgung nach der VKR-VO (614,68 DM) und nach der PE-VO (1.333,01 DM), letztere unter Berücksichtigung der Zurechnungszeiten. Beide Beträge dividierte sie entsprechend der tatsächlichen Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses durch 21,33. Nach Multiplikation mit der jeweils unter der Geltung der beiden Versorgungsordnungen zugebrachten Dienstzeit errechnete sie eine anteilige VKR-Rente von 557,09 DM und eine anteilige PE-Rente von 124,98 DM (aufgerundet insgesamt 683,00 DM).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine monatlich höhere Betriebsrente zu, weil bei der Berechnung der anteiligen Versorgungsrente nach der PE-VO nach deren § 6 Nr. 1 Buchst. b auch die fiktiven Zurechnungszeiten zu berücksichtigen seien. Bei der Berechnung der anteiligen PE-Rente seien daher 14,08 Jahre als Multiplikator einzusetzen, nämlich zwei Jahre tatsächliche Beschäftigungszeit plus 12,08 Jahre Zurechnungszeit, gerechnet bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres. Der Divisor sei entsprechend zu erhöhen, was zu einem der Höhe nach unstreitigen weiteren monatlichen Betriebsrentenbetrag von 222,93 Euro führe. Sollte der erhöhte Divisor auch Anwendung bei der Berechnung der VKR-Rente finden, ergebe sich immer noch ein monatlicher Mehrbetrag von 120,15 Euro.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Januar 2001 bis einschließlich Oktober 2002 weitere 4.904,31 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 222,93 Euro seit dem 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November und 1. Dezember 2001 sowie 1. Januar 2002, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September und 1. Oktober 2002 zu zahlen

und

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem Monat November 2002 über freiwillig gezahltes Ruhegeld in Höhe von 349,21 Euro weitere 222,93 Euro brutto monatlich nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen,

hilfsweise

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Januar 2001 bis einschließlich Oktober 2002 weitere 2.643,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 235,00 DM = 120,15 Euro seit dem 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September, 1. Oktober, 1. November und 1. Dezember 2001 sowie 1. Januar 2002, 1. Februar, 1. März, 1. April, 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August, 1. September und 1. Oktober 2002 zu zahlen und

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem Monat November 2002 über freiwillig gezahltes Ruhegeld in Höhe von 349,21 Euro brutto weitere 120,15 Euro brutto monatlich nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie habe die fiktive Zurechnungszeit bis zum 55. Lebensjahr des Klägers schon bei der Berechnung der Höchstversorgung nach der PE-VO berücksichtigt. Quotelung und das Verhältnis der jeweiligen Renten zueinander ergäben sich jedoch allein aus § 3 BV, der zumindest nach Sinn und Zweck nur von der Berücksichtigung tatsächlich erbrachter Dienstzeiten ausgehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Mit der Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger eine um 222,93 Euro monatlich höhere Betriebsrente zugesprochen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Zurechnungszeiten nicht nur bei der Berechnung der fiktiven Vollrente gemäß PE-VO, sondern auch bei deren Quotierung zu berücksichtigen.

I. 1. Nach § 10 Nr. 1, 2 ÜTV gilt für den Kläger ab dem Zeitpunkt des Wechsels zur Beklagten die PE-VO, während die bei der früheren Arbeitgeberin, der ehemaligen V K R AG verbrachte Dienstzeit nach dem dortigen Versorgungswerk "betrachtet" wird. § 10 Nr. 4 ÜTV bestimmt, dass "Näheres ... in einer Betriebsvereinbarung geregelt" wird. Damit wollten die Tarifvertragsparteien den Betriebsparteien nur die Ausfüllung dieses Regelungsrahmens überlassen, insbesondere die Aufstellung der Berechnungsregeln. Eine Befugnis der Betriebsparteien zu einer von § 10 Nr. 1 bis 3 ÜTV abweichenden Regelung ergibt sich daraus nicht.

2. § 3 Nr. 1 A PE-VO sieht ebenso wie § 5 VKR-VO eine Invalidenversorgung vor. Nach § 5 Nr. 3 Abs. 1 PE-VO wird "Ruhegeld wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ... nach Eintritt dieses Zustandes im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen" gezahlt. Gemäß § 6 Nr. 1 Buchst. a und b PE-VO gelten als ruhegeldfähige Dienstzeit neben der tatsächlichen Beschäftigungszeit auch "Zurechnungszeiten, d.h. fiktive Dienstzeiten die bei vorzeitigem Eintritt des Versorgungsfalles wegen Todes oder wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit noch bis zum Monatsende nach Vollendung des 55. Lebensjahres fehlen". Zur Berechnung bestimmt § 7 A Nr. 2 PE-VO, dass für jedes ruhegeldfähige Dienstjahr ein Ruhegeld von 0,6 % des ruhegeldfähigen Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze gewährt wird.

3. Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 BV gilt als Dienstbeginn auch für die Berechnung der Leistungen nach der PE-VO das Datum, das für die Leistungsberechnung nach der VKR-VO maßgeblich ist. Daraus und aus dem Regelungsziel des ÜTV ergibt sich, dass der Kläger die in § 4 Nr. 1 Buchst. c PE-VO geregelte 5jährige Wartezeit erfüllt hat, obwohl sein Arbeitsverhältnis schon am 15. Dezember 2002, also knapp 2 Jahre nach dem Wechsel zur Beklagten endete.

Die danach vorzunehmenden zwei Rechenschritte sind in den Sätzen 4 bis 6 des § 3 Abs. 1 BV beschrieben. Der erste Rechenschritt besteht darin, für jedes Versorgungswerk getrennt die - fiktive - Betriebsrente ohne Berücksichtigung des Wechsels zur Beklagten zu berechnen. Das bedeutet, dass die fiktive Vollrente gemäß PE-VO, also die Rente, die er erhalten würde, wenn er die gesamte Zeit bei der Beklagten beschäftigt gewesen wäre, unter Berücksichtigung der fiktiven Dienstzeit nach § 6 Nr. 1 Buchst. b PE-VO zu berechnen ist. Sie beläuft sich unstreitig auf 1.333,01 DM.

Bei dem zweiten Rechenschritt geht es um die Berücksichtigung des Umstandes, dass die PE-VO nach § 10 Nr. 1, 2 ÜTV erst seit dem Zeitpunkt des Wechsels zur Beklagten (1. Januar 1999) gilt. Nach dem Wortlaut der Sätze 5 und 6 des § 3 Abs. 1 BV wird der Divisor bei beiden Quotienten aus der gesamten tatsächlich verbrachten Dienstzeit gebildet. Im Falle des Klägers sind dies 21,33 Jahre. Dies bezieht sich auf den "Normalfall" der Altersrente des bis zum Erreichen der Altersgrenze betriebstreuen Arbeitnehmers sowie auf die Fälle der Hinterbliebenen- und Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente, bei denen es wegen des späteren Zeitpunkts des Versorgungsfalles nicht zur Berücksichtigung von Zurechnungszeiten kommt. § 3 Abs. 1 Satz 6 BV bezieht sich erkennbar nicht auf vorzeitig eintretende Versorgungsfälle, für die § 6 Nr. 1 Buchst. b PE-VO die Berücksichtigung von Zurechnungszeiten vorsieht. Dieser Fall ist in § 3 BV nicht geregelt. Die Lücke ist durch ergänzende Auslegung zu schließen. Es wäre inkonsequent, die Zurechnungszeiten zwar bei der Berechnung der fiktiven Vollrente, nicht aber bei der Ermittlung der anteiligen Rente zu berücksichtigen. Zudem würden bei der von der Beklagten angewandten Berechnungsweise von der V K R AG übernommene Arbeitnehmer zum Teil schlechter gestellt als Arbeitnehmer, die zum selben Zeitpunkt bei der Beklagten neu eintreten. Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebsparteien das gewollt haben, gibt es nicht.

Die Lücke kann nur in der Weise geschlossen werden, dass die Zurechnungszeiten auch bei der Quotierung der fiktiven Vollrente gemäß PE-VO berücksichtigt werden, und zwar sowohl im Dividenden wie im Divisor. Jede andere Auslegung und jede andere Schließung der Lücke würde § 10 Nr. 1 ÜTV widersprechen, wonach ab dem Zeitpunkt des Wechsels zur Beklagten die PE-VO gilt.

4. Die Betriebsrente des Klägers gem. PE-VO ist also in der Weise zu berechnen, dass die nach dieser Vorschrift berechnete fiktive Vollrente multipliziert wird mit einem Quotienten, bei dem die Zurechnungszeiten nach § 6 Nr. 1 Buchst. b PE-VO sowohl im Zähler wie auch im Nenner berücksichtigt werden. Somit beläuft sich die Teilrente gemäß PE-VO auf 561,60 DM. Abzüglich der von der Beklagten ursprünglich gezahlten 124,98 DM ergibt sich daraus eine um 223,24 Euro höhere monatliche Betriebsrente. Das sind mehr als die vom Kläger geltend gemachten und vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen 222,93 Euro monatlich.

II. Auf die Verfahrensrügen der Beklagten kommt es somit nicht an.

Vorinstanz: LAG Niedersachsen, vom 05.05.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 6 Sa 1519/02
Vorinstanz: ArbG Hannover, vom 04.07.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 12 Ca 804/01