Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.11.2016

XII ZB 227/15

Normen:
BGB § 1603 Abs. 1, Abs. 2 S. 3
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2 S. 3
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2 S. 3

Fundstellen:
FamRB 2017, 43
FuR 2017, 85
NJW-RR 2017, 449

BGH, Beschluss vom 09.11.2016 - Aktenzeichen XII ZB 227/15

DRsp Nr. 2016/19135

Umfang einer Erwerbsobliegenheit des eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehenden Elternteils im Rahmen des Kindesunterhalts

Zum Umfang einer Erwerbsobliegenheit des Elternteils, der eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 5. Senats für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19. Mai 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 1603 Abs. 1 ; BGB § 1603 Abs. 2 S. 3;

Gründe

I.

Der Antragsteller ist der im Mai 2007 geborene Sohn der Antragsgegnerin. Er macht im vorliegenden Verfahren, vertreten durch seinen Vater, gegen die Antragsgegnerin für die Zeit ab Oktober 2011 Kindesunterhalt in Höhe des - nach Altersstufen gestaffelten - Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergelds geltend.

Der Antragsteller lebt gemeinsam mit seiner inzwischen volljährigen Schwester im Haushalt des Vaters. Die Ehe der Eltern ist seit dem 6. Dezember 2011 rechtskräftig geschieden.

Die 1964 geborene Antragsgegnerin war als Sozialversicherungsfachangestellte tätig. Aufgrund einer seit 2009 bestehenden psychischen Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis ist sie zu 70% schwerbehindert und bezieht monatlich eine (befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung von netto 1.081 € sowie eine VBL-Rente von 230 €. Die Antragsgegnerin erbringt Pflegeleistungen für ihre gebrechliche Mutter.

Der Vater des Antragstellers ist angestellter Werkstattleiter und bezieht ein monatliches Bruttoeinkommen von mindestens 4.200 €. Er hat am 28. Dezember 2011 erneut geheiratet. Von seiner neuen Ehefrau lebt er seit Ende 2013 getrennt.

Die Antragsgegnerin hat sich gegenüber dem Unterhaltsbegehren des Antragstellers vor allem auf mangelnde Leistungsfähigkeit berufen und auf eine Ersatzhaftung des Vaters nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB verwiesen.

Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Antragsgegnerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zahlungen wegen Unterhaltsvorschussleistungen teilweise an den zuständigen Landkreis zu leisten sind. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

1. Das Oberlandesgericht hat die Antragsgegnerin als für den Mindestunterhalt hinreichend leistungsfähig angesehen. Von ihrem monatlichen Renteneinkommen von netto zwischen 1.247 € (2011) und 1.311 € (ab 2015) seien keine Abzüge wegen "Lohnpfändungen" zu machen. Es könne nicht hingenommen werden, dass der Antragsteller durch einen Vorwegabzug der ihm aus anderen Verfahren zustehenden Kostenerstattungsansprüche seinen Mindestunterhalt teilweise selbst finanziere.

Darüber hinaus seien der Antragsgegnerin Einkünfte aus einer schuldhaft unterlassenen stundenweisen Erwerbstätigkeit fiktiv anzurechnen. Die Antragsgegnerin sei nicht aus gesundheitlichen Gründen in vollem Umfang erwerbsunfähig, sondern - wenn auch mit nicht unerheblichen Einschränkungen - durchaus fähig und in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Bewilligung einer Rente komme zwar eine starke Indizwirkung für die von der Antragsgegnerin behauptete Erwerbsunfähigkeit zu. Der Rentenversicherungsträger dokumentiere damit, dass eine Vermittlung in eine reguläre Beschäftigung nicht ernsthaft erwartet werden könne. Die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit erfolge nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI aber schon dann, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung für unbestimmte Zeit nicht in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Darüber, ob die Antragsgegnerin in dem zeitlich begrenzten Umfang von bis zu drei Stunden täglich keiner Beschäftigung nachgehen könne, enthalte der Rentenbescheid mithin keine Aussage.

Die Antragsgegnerin habe weder dargetan noch bewiesen, dass es ihr nicht möglich (gewesen) sei, werktäglich mindestens zwei bis drei Stunden oder jedenfalls bis zum Erreichen der Hinzuverdienstgrenze nach § 96 a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie habe insoweit ihre Erkrankungen bzw. gesundheitlichen Beeinträchtigungen, an denen sie leide, im Einzelnen und nachvollziehbar darstellen und vortragen müssen, inwiefern sich diese auf ihre Erwerbsfähigkeit bzw. auf die Dauer ihrer täglichen Arbeitsfähigkeit auswirkten. Das von ihr vorgetragene psychosomatische Trauma bzw. die Depression, weil ihr der Antragsteller im Zuge eines Sorgerechtsverfahrens weggenommen worden sei, reiche ebenso wenig wie der vorgelegte Schwerbehindertenausweis aus, um einen substantiierten Sachvortrag zum vorliegenden Krankheitsbild und den sich hieraus im Erwerbsleben ergebenden Beeinträchtigungen zu ersetzen. Das von ihr vorgelegte psychiatrische Attest sei nicht aussagekräftig. Statt dessen habe sie erklärt, sie pflege ihre Mutter an sechs Tagen in der Woche jeweils drei Stunden, also 18 Stunden in der Woche. Es bestünden daher durchaus realistische Beschäftigungschancen außerhalb eines vollschichtigen Arbeitsverhältnisses, nämlich im Rahmen einer Nebentätigkeit von bis zu drei Stunden täglich.

Aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung sei die Antragsgegnerin in der Lage, auf dem freien Markt eine Teilzeitbeschäftigung für Büroarbeiten zu erhalten. Ihr sei es möglich gewesen, während des gesamten streitigen Zeitraums ein Einkommen in Höhe der Hinzuverdienstgrenze von aktuell 450 € zu erzielen. Zur Erfüllung ihrer verschärften Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind habe sie sich bereits mit Zugang der Zahlungsaufforderung im November 2009 um eine Erwerbstätigkeit bemühen müssen. Es ergäbe sich somit ein erzielbares Einkommen von zwischen 1.647 € (2011) und 1.761 € (ab 2015).

Der Vater des Antragstellers habe nicht anstelle der Antragsgegnerin oder in Form einer quotenmäßigen Beteiligung für den Barunterhalt des Antragstellers aufzukommen, weil er seine Unterhaltspflicht durch die Betreuung des Sohnes erfüllt habe. Die Antragsgegnerin habe dies zwar bestritten, aber schon nicht angegeben, von welcher Fremdperson der Antragsteller betreut worden sei bzw. dass der Vater keine nennenswerten Betreuungsleistungen mehr erbringe.

Der Vater sei auch nicht als anderer leistungsfähiger Verwandter nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zum Barunterhalt verpflichtet. Zwar komme bei einem entsprechenden Einkommensgefälle der Eltern eine solche Verpflichtung des betreuenden Elternteils grundsätzlich in Betracht und sei aufgrund des vom Vater erzielten reinen Nettoeinkommens von monatlich mindestens 2.860 € bei Steuerklasse III bzw. 2.390 € bei Steuerklasse II in Erwägung zu ziehen. Die guten Einkommensverhältnisse des Vaters würden allerdings lediglich die gesteigerte Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB und damit eine Beschränkung auf den notwendigen Selbstbehalt zwischen 950 € (2011) und 1.080 € (ab 2015) entfallen lassen. Denn der Vergleich der Nettoeinkünfte der Eltern ergebe ersichtlich kein Differenzverhältnis von nahezu 1:3, das erst die Haftung der Antragsgegnerin auf den Barunterhalt insgesamt entfallen ließe. Deren Unterhaltspflicht mit den ihren angemessenen Selbstbehalt von 1.150 € (2011) bis 1.300 € (ab 2015) übersteigenden Einkünften bliebe von einer etwaigen Mithaftung des Vaters ohnehin unberührt. Dass der Vater ein höheres Einkommen erziele, habe die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Antragsgegnerin nicht nachgewiesen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht komme, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen könne. So liege der Fall gerade hier. Darüber hinausgehend komme eine Mithaftung des betreuenden Elternteils nach einer umfassenden Billigkeitsbetrachtung in Frage, die insbesondere die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Erwerbstätigkeit berücksichtigen müsse sowie den Umstand, dass der besser verdienende betreuende Elternteil das Kind faktisch an seinen gehobenen Lebensverhältnissen bereits teilhaben lasse.

Für eine Mithaftung des Vaters sei im vorliegenden Fall kein Raum. Dieser habe auch für den Unterhalt der weiteren volljährigen Tochter aufzukommen. Zudem nehme der Antragsteller an den "gehobenen Lebensumständen" seines Vaters teil, so dass diesen höhere finanzielle Belastungen träfen.

Die Beschränkung der Antragsgegnerin auf den angemessenen Selbstbehalt habe nicht zur Folge, dass diese dem Antragsteller gegenüber nicht im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert erwerbspflichtig wäre. Zwar habe der Bundesgerichtshof ausgeführt, das Bestehen eines erheblichen finanziellen Ungleichgewichts zulasten des Barunterhaltspflichtigen lasse dessen verschärfte Unterhaltspflicht entfallen. Dies sei jedoch so zu verstehen, dass der Barunterhaltspflichtige lediglich mit Blick auf seine Leistungsfähigkeit wie ein nicht gesteigert Unterhaltspflichtiger zu behandeln sei, ihm also der angemessene Selbstbehalt verbleiben müsse. Dagegen sei kein überzeugender Grund dafür ersichtlich, warum der barunterhaltspflichtige Elternteil in den Fällen des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB nur aufgrund der günstigen finanziellen Lage auf Seiten des anderen Elternteils von seiner verschärften Erwerbsverpflichtung entlastet sein sollte. Zu bedenken sei zudem, dass sich auf Haftungserleichterungen nur derjenige berufen könne, der selbst seinen Obliegenheiten uneingeschränkt nachkomme.

2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren.

aa) Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bestimmt sich in erster Linie nach dem von ihm erzielten bzw. nach dem ihm möglichen und in zumutbarer Weise erzielbaren Einkommen (vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 2003 - XII ZR 83/00 - FamRZ 2003, 1471 , 1473). Den Unterhaltspflichtigen trifft grundsätzlich eine Obliegenheit zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - FamRZ 2013, 1558 Rn. 12 ff.; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 1 Rn. 736). Erfüllt er seine Erwerbsobliegenheit nicht, ist ihm ein fiktives Einkommen in Höhe des aus einer ihm möglichen und zumutbaren Tätigkeit erzielbaren Verdienstes zuzurechnen (Senatsurteil vom 9. Juli 2003 - XII ZR 83/00 - FamRZ 2003, 1471 , 1473; Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 2 Rn. 245).

Die Darlegungs- und Beweislast für eine mangelnde oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit trägt der Unterhaltspflichtige. Dies gilt ebenfalls für ein von ihm geltend gemachtes Fehlen einer realen Beschäftigungschance (Senatsbeschlüsse vom 22. Januar 2014 - XII ZB 185/12 - FamRZ 2014, 637 Rn. 11 ff. und vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 - FamRZ 2013, 1378 Rn. 18 mwN; BVerfG FamRZ 2014, 1977 Rn. 17). Auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit darf dem Unterhaltspflichtigen allerdings nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist (Senatsbeschluss vom 19. Juni 2013 - XII ZB 39/11 - FamRZ 2013, 1378 Rn. 18; BVerfG FamRZ 2010, 793 ).

Für den Unterhalt einsetzbar sind sodann im Rahmen von § 1603 Abs. 1 BGB die erzielten bzw. erzielbaren Beträge, die den angemessenen eigenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen (angemessener Selbstbehalt) übersteigen.

bb) Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will, muss grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben, und er hat ferner darzulegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - FamRZ 2013, 1558 Rn. 13; zum Ehegattenunterhalt wegen Krankheit Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 - XII ZR 190/03 - FamRZ 2007, 200 , 201 f. und vom 27. Juni 2001 - XII ZR 135/99 - FamRZ 2001, 1291 , 1292).

(1) Bezieht der Unterhaltspflichtige eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI , so setzt dies grundsätzlich voraus, dass er wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ). Das zeitliche Leistungsvermögen von täglich drei Stunden entspricht der Grenze für eine Vermittlung durch die Agentur für Arbeit (§ 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III : 15 Stunden wöchentlich; vgl. auch § 138 Abs. 3 Satz 1 SGB III ). Nach demselben Maßstab erfolgt auch die Abgrenzung zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II und der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte nach dem Sozialgesetzbuch XII8 Abs. 1 SGB II , § 41 Abs. 3 SGB XII ).

Erfüllt der Unterhaltspflichtige die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, so ergibt sich daraus mithin, dass er nicht drei Stunden oder mehr arbeitstäglich erwerbstätig sein kann und dass er einer Vermittlung durch die Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung steht. Eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht. Das stimmt mit der vom Gesetz für Renten wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe vorgesehenen Hinzuverdienstgrenze nach § 96 a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI (entsprechend der Geringverdienertätigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ; derzeit 450 €) überein.

(2) Dementsprechend trägt der Unterhaltspflichtige nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung (sog. Mini-Job) gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZR 178/09 - FamRZ 2012, 517 Rn. 30 ff. zur Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Ehegatten).

Das gilt entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts und der Rechtsbeschwerde bereits im Rahmen der Leistungsfähigkeit nach § 1603 Abs. 1 BGB . Denn dem Unterhaltspflichtigen obliegt die Ausschöpfung seiner Leistungsfähigkeit auch außerhalb der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB bereits im Rahmen seiner allgemeinen Verpflichtung nach § 1603 Abs. 1 BGB . Das von der Rechtsbeschwerde zitierte Senatsurteil vom 12. Januar 2011 (BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 ) besagt nichts anderes. Es betrifft das Erreichen der Regelaltersgrenze, das die Erwerbsobliegenheit im Rahmen von § 1603 Abs. 1 BGB entfallen lässt. Dass Bezieher von Altersrenten im Einzelfall eher und in größerem Umfang zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage sein können als Bezieher von Renten wegen Erwerbsminderung, ändert nichts an der bewussten Grenzziehung durch den Gesetzgeber, die auch im Unterhaltsrecht zu beachten ist (vgl. § 1571 BGB ).

Zwar kann der Unterhaltspflichtige bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zur Erlangung einer entsprechenden Beschäftigung nicht auf die Vermittlung der Agentur für Arbeit zurückgreifen. Das schließt indessen seine Erwerbsobliegenheit nicht aus. Denn er ist ohnedies gehalten, sich auch durch eigene Initiative über Stellenangebote zu informieren und sich um geeignete Stellen zu bewerben. Dementsprechend genügt der Unterhaltspflichtige nach der Rechtsprechung des Senats auch in anderen Fällen allein durch die Meldung als arbeitsuchend nicht seiner Erwerbsobliegenheit (Senatsurteile vom 31. Mai 2000 - XII ZR 119/98 - FamRZ 2000, 1358 , 1359 und vom 18. Januar 2012 - XII ZR 178/09 - FamRZ 2012, 517 Rn. 30 für den unterhaltsberechtigten Ehegatten; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 1 Rn. 782).

b) Nach den genannten Maßstäben hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, dass sie zu einer Erwerbstätigkeit im vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten Umfang nicht in der Lage ist. Die Einkommensermittlung des Oberlandesgerichts leidet hingegen daran, dass der verweigerte Abzug wegen Pfändungen nicht auf tragfähigen Erwägungen beruht.

aa) Durch die Berufung auf den Bezug einer Rente wegen voll geminderter Erwerbsfähigkeit hat die Antragsgegnerin allerdings hinreichend dargelegt, dass sie zu einer voll- oder teilschichtigen Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist. Dass ihr darüber hinausgehend auch eine Tätigkeit im reduzierten Umfang von arbeitstäglich bis zu drei Stunden möglich ist, wird davon aber noch nicht ausgeschlossen. Auch der von ihr vorgelegte Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 70% rechtfertigt einen solchen Schluss nicht. Damit hat die Antragsgegnerin weder Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angegeben noch in nachvollziehbarer Form dargelegt, inwieweit ihre gesundheitlichen Störungen sich auf ihre Erwerbsfähigkeit auswirken.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde musste das Oberlandesgericht darauf auch nicht - nochmals - hinweisen. Das Oberlandesgericht hat die Antragsgegnerin vielmehr darauf hingewiesen, dass ihr bisheriger Sachvortrag zur vollständigen Erwerbsunfähigkeit nicht ausreichend sei. Die Antragsgegnerin hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie seit der "Wegnahme" ihres Kindes (des Antragstellers) wegen Depressionen krankgeschrieben sei und zudem Bluthochdruck habe. Außerdem habe sie noch, "was man sonst so hat, Halswirbelsäule, Krampfadern, eine ausgeprägte Sehschwäche". Dem Oberlandesgericht ist darin zuzustimmen, dass eine vollständige Erwerbsunfähigkeit auch für eine Geringverdienertätigkeit damit nicht dargelegt ist. Das Oberlandesgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin im Umfang von 18 Wochenstunden Pflegeleistungen an ihre Mutter erbringt, was zusätzlich für ihre Erwerbsfähigkeit im Rahmen einer Geringverdienertätigkeit spricht.

Abgesehen davon, dass die behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch die Antragsgegnerin darzulegen und zu beweisen war, hatte das Oberlandesgericht durch den gegebenen Hinweis seiner Pflicht aus § 139 ZPO genügt und musste den Hinweis nicht wiederholen oder erneuern, da die Antragsgegnerin hinreichende Veranlassung zu einem erschöpfenden Sachvortrag hatte. Mangels hinreichenden Sachvortrags spielt es auch keine Rolle, dass der Vortrag - wie von der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird - von Seiten des Antragstellers nicht (ausdrücklich) bestritten worden ist.

Die von der Antragsgegnerin geleistete Pflege der Mutter entbindet sie nicht von der sie im Rahmen des Kindesunterhalts treffenden Erwerbsobliegenheit. Der Antragsteller geht der Mutter der Antragsgegnerin im Rang vor (§ 1609 Nr. 1, 6 BGB ; vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 2016 - XII ZB 693/14 - FamRZ 2016, 887 Rn. 22). Auch die für weitergeleitetes Pflegegeld geltende Anrechnungsregelung des § 13 Abs. 6 Nr. 1 SGB XI erlaubt keinen Rückschluss auf einen Vorrang der Pflegetätigkeit vor der im Interesse des Kindes gebotenen Erwerbstätigkeit. Zu beachten ist vielmehr, dass das Anrechnungsverbot vor allem die Fälle abdecken soll, in denen das Pflegegeld an eine Pflegeperson weitergeleitet wird, die unterhaltsrechtlich nicht erwerbsverpflichtet ist oder die die Pflege neben ihrer Erwerbstätigkeit leistet (vgl. Senatsurteil vom 1. März 2006 - XII ZR 157/03 - FamRZ 2006, 846 , 848; BT-Drucks. 14/580 S. 5).

Das Oberlandesgericht hat der Antragsgegnerin ein beispielsweise durch Bürotätigkeiten erzielbares Einkommen von zwischen 400 € und 450 € pro Monat zugerechnet. Das ist von der Rechtsbeschwerde insoweit nicht angegriffen worden und begegnet rechtsbeschwerderechtlich auch sonst keinen durchgreifenden Bedenken.

bb) Hinsichtlich der abgelehnten Abzüge wegen Pfändungen entbehrt der angefochtene Beschluss indessen einer tragfähigen Begründung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gilt - außerhalb der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB - der allgemeine Grundsatz, dass Ansprüchen Unterhaltsberechtigter kein allgemeiner Vorrang vor anderen Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen zukommt. Andererseits dürfen diese Verbindlichkeiten auch nicht ohne Rücksicht auf die Unterhaltsinteressen getilgt werden. Vielmehr bedarf es eines Ausgleichs der Belange von Unterhaltsgläubiger, Unterhaltsschuldner und Drittgläubiger. Ob eine Verbindlichkeit im Einzelfall zu berücksichtigen ist, kann danach nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. Insoweit sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - FamRZ 2013, 1558 Rn. 19 mwN).

Das Oberlandesgericht hat die vom Amtsgericht noch gebilligten Abzüge abgelehnt, weil nicht hingenommen werden könne, dass der Antragsteller durch einen Vorwegabzug der ihm aus anderen Verfahren zustehenden Kostenerstattungsansprüche seinen Mindestunterhalt teilweise selbst finanziere. Dagegen rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass es sich nicht um Kostenerstattungsansprüche des Antragstellers, sondern seines Vaters handele. Es fehlt mithin bereits an einer hinreichenden Abwägung der Belange der Beteiligten des Unterhaltsverhältnisses und des (Dritt-)Gläubigers, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Abzug gerechtfertigt ist.

3. Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben, weil nicht ausgeschlossen ist, dass die Pfändungen zu berücksichtigen sind und dies zu einer für den Mindestunterhalt eingeschränkten Leistungsfähigkeit führen kann. Da hierfür weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt.

4. Für das weitere Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass die Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin aufgrund der bisherigen Einkommensermittlung auch im Hinblick auf die Erwerbsobliegenheit und das der Antragsgegnerin insoweit zugerechnete fiktive Einkommen nicht auf einer sie treffenden gesteigerten Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB beruht. Da die Antragsgegnerin danach ihren angemessenen Selbstbehalt nicht anzugreifen braucht, käme es bei im Ergebnis übereinstimmender Einkommensermittlung nicht darauf an, ob durch den Vater des Antragstellers als anderen unterhaltspflichtigen Verwandten im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB das Eingreifen einer gesteigerten Unterhaltspflicht ausgeschlossen würde. Dass das Oberlandesgericht auf der bisherigen Grundlage auch eine Mithaftung des Vaters aufgrund § 1606 Abs. 3 BGB nicht angenommen hat, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - FamRZ 2013, 1558 Rn. 26 ff.). Das Oberlandesgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass der Vater seine Unterhaltspflicht grundsätzlich durch die Betreuung des Kindes erfüllt hat. In welchem konkreten Umfang er das Kind persönlich betreut oder er sich der Hilfe Dritter bedient hat, spielt hierfür keine entscheidende Rolle, weil er als allein sorgeberechtigter Elternteil zweifelsfrei die Betreuungsverantwortung für den Antragsteller trägt und getragen hat.

Sollte das Oberlandesgericht nunmehr zu einer Abziehbarkeit der gepfändeten Beträge gelangen, so wäre erneut zu prüfen, ob der angemessene Selbstbehalt der Antragsgegnerin gewahrt wäre und verneinendenfalls in welchem Umfang die gesteigerte Unterhaltspflicht durch eine Unterhaltspflicht des Vaters als weiterer unterhaltspflichtiger Verwandter nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB entfällt. Hierbei wäre neben den - von der Antragsgegnerin darzulegenden - Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Vaters allerdings auch dessen Betreuungsleistung zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 297/12 - FamRZ 2013, 1558 Rn. 26).

Schließlich wird das Oberlandesgericht im Hinblick auf die Zahlung an den Träger der Unterhaltsvorschusskasse zu beachten haben, dass der Anspruch auf das Land und nicht - wie vom Oberlandesgericht tituliert - auf den Landkreis übergeht.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 9. November 2016

Vorinstanz: AG Königs Wusterhausen, vom 26.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 10 F 48/13
Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 19.05.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 UF 72/14
Fundstellen
FamRB 2017, 43
FuR 2017, 85
NJW-RR 2017, 449