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Notwendiger Selbstbehalt bei Erwerbslosen und Erwerbstätigen

Urteilsbesprechung mit Praxishinweis: OLG Celle weicht bei der Frage, ob beim notwendigen Selbstbehalt zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen zu differenzieren ist, von der BGH-Rechtsprechung ab.

OLG Celle - Urteil vom 01.02.2008 (21 UF 195/07

Im Gegensatz zu einem kurz vorher erlassenen Urteil des BGH (Urteil vom 09.01.2008 - XII ZR 170/05, DRsp Nr. 2008/3877 = FamRZ 2008, 594 ff.) kommt das OLG Celle zu dem Ergebnis, dass von einem einheitlichen notwendigen Selbstbehalt auszugehen sei.

Die meisten Oberlandesgerichte differenzieren in ihren Unterhaltsgrundsätzen bei den Selbstbehalten zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. So beträgt der notwendige Selbstbehalt des Erwerbstätigen derzeit 900,00 € und der des Nichterwerbstätigen 770,00 €. Lange Jahre hatte das OLG Frankfurt am Main in den Unterhaltsgrundsätzen eine derartige Differenzierung abgelehnt. Erst aufgrund des Urteils des BGH vom 09.01.2008 hat das OLG Frankfurt am Main seine Unterhaltsgrundsätze entsprechend geändert.

Durch das Urteil des OLG Celle wird nun jedoch erfreulicherweise die Diskussion fortgesetzt, ob eine derartige Differenzierung wirklich gerechtfertigt ist. Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente für die Ansicht des OLG Celle.

Nach den §§ 1581 , 1603 BGB ist derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Nach § 1603 Abs. 2 BGB gilt gegenüber minderjährigen und diesen gleich gestellten volljährigen Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH muss einem Unterhaltspflichtigen deshalb jedenfalls der Betrag verbleiben, den er für seinen eigenen Lebensbedarf benötigt. Danach ist der Selbstbehalt also bedarfsorientiert zu bestimmen. Eine Differenzierung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen beim Selbstbehalt kommt daher nur dann in Betracht, wenn tatsächlich festgestellt werden könnte, dass ein Nichterwerbstätiger günstiger leben könnte als ein Erwerbstätiger. Dies wird vom OLG Celle zu Recht verneint.

Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die berufsbedingten Aufwendungen insoweit unberücksichtigt bleiben müssen, da diese ja bereits bei der Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens einkommensmindernd berücksichtigt werden.

Welche Möglichkeiten also hat ein Nichterwerbstätiger, um sparsamer zu leben als ein Erwerbstätiger? Der BGH verweist insoweit darauf, dass ein nicht erwerbstätiger Unterhaltsschuldner regelmäßig mehr Zeit zur Verfügung habe, seine Ausgaben durch eine sparsame Lebensführung zu reduzieren. Diese Feststellung kann man jedoch zu Recht anzweifeln. Zunächst einmal unterstellt der BGH damit, dass eine sparsamere Lebensführung tatsächlich möglich ist. Bedenkt man, dass von dem notwendigen Selbstbehalt in Höhe von 900,00 € lediglich 520,00 € auf den allgemeinen Lebensbedarf entfallen, stellt sich die Frage: Wo soll der Unterhaltsschuldner noch sparen? Ist der nicht erwerbstätige Unterhaltschuldner verpflichtet, sich um eine Arbeit zu bemühen, dürfte es ihm auch an der vom BGH unterstellten freien Zeit mangeln, da er diese für eine Arbeitssuche aufzuwenden hat. In diesen Fällen sind darüber hinaus die erheblichen Bewerbungskosten zu berücksichtigen, die ein Erwerbstätiger nicht hat.

Soweit der BGH ausführt, dass ein differenzierter Selbstbehalt dem Unterhaltsschuldner auch als Erwerbsanreiz diene, führt das OLG Celle zutreffend aus, dass dies zumindest gegenüber Minderjährigen nicht als Argument dienen kann. Gegenüber Minderjährigen besteht die Pflicht, alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt einzusetzen (§ 1603 Abs. 2 BGB), so dass im Rahmen des Selbstbehalts für einen Erwerbstätigenbonus kein Raum ist. Es war bisher auch einhellige Meinung, dass ein Erwerbstätigenbonus nur im Rahmen des Ehegattenunterhalts als Ausnahme vom Halbteilungsgrundsatz und nicht im Rahmen des Kindesunterhalts von Bedeutung ist. Es stellt sich auch die Frage, warum ein Unterhaltsschuldner dafür „belohnt“ werden soll, wenn er das tut, zu dem er sowieso verpflichtet ist. Bei einer Differenzierung besteht außerdem die Gefahr, dass ein unterhaltsberechtigtes Kind gegenüber einem nicht Erwerbstätigen einen höheren Unterhaltsanspruch hat als gegenüber einem Erwerbstätigen. Soll in diesen Fällen der Unterhaltspflichtige etwa seine Arbeitsstelle wieder aufgeben, um höheren Unterhalt zahlen zu können? In letzter Konsequenz wäre er dazu wohl nach § 1603 BGB verpflichtet.

Praxistipp:

Nach dem BGH und den meisten Oberlandesgerichten ist im Mangelfall zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen im Hinblick auf den Selbstbehalt zu differenzieren. Es ist jedoch im Einzelfall immer darauf zu achten, ob nicht ausreichend Gründe vorliegen, den Selbstbehalt des Nichterwerbstätigen angemessen zu erhöhen.

Weitere Informationen zu diesem Thema im Rechtsportal:

•Familienrecht, Lexikon des Unterhaltsrechts, „Selbstbehalt"
•BGH, Urteil vom 09.01.2008 - XII ZR 170/05 - DRsp Nr. 2008/3877 = FamRZ 2008, 594 ff